Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Hauck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037500
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nicht in der Stimmung, die Ursache dieses Sinneswandels zu ergründen. Ich werde jetzt die Buchungen für ihn vornehmen.”

      “Such ihm was Hübsches raus”, stichelte Maggie.

      “Ich werde schon was finden, womit Dr. Pingelig zufrieden ist. Oder willst du das lieber machen, Maggie, du kennst seine Unarten und Vorlieben schon etwas länger als ich!”

      “Nein, mach du das mal. Erstens hast du es in letzter Zeit immer gemacht, deshalb hat er auch dich zu sich reingerufen, und zweitens bekommst du dann den Abriss, wenn er was zu beanstanden hätte”, meinte Maggie mit ihrem süßesten Lächeln.

      “Wenn ich nicht wüsste, dass du meine Freundin bist, würde ich jetzt...”, Sally hob scherzhaft drohend einen Ordner hoch.

      “Na, was würdest du tun, Sally?”, Maggie amüsierte sich köstlich, “würdest du den Aktenordner nach mir werfen?!”

      “Genau”, schnaubte Sally grinsend, “aber jetzt werde ich die Buchungen vornehmen. Sei stille, und stör mich nicht, hörst du?!”

      “Ich bin ganz ruhig, mucksmäuschenstill!”

       Pünktlich um 16.00 Uhr erschien Philip in Thomas’ Vorzimmer. Sally sagte ihrem Chef Bescheid, dass sein Kollege jetzt da sei.

      “Ja, ich komme”, entgegnete Thomas, warf sich sein Jackett über und verließ sein Büro.

      “Na dann, Philip”, begrüßte er seinen Kollegen, “lassen Sie uns den Vertretern unserer Stadt unsere Aufwartung machen.”

      Und zu Sally gewandt meinte er: “Sally, haben Sie meinen Flug ge­bucht?”

      “Ja, Sir, Sie fliegen übermorgen um 11.00 Uhr ab John F. Kennedy-Airport. Ankunft in Caracas um...”

      “Ja, schon gut, Sally, so genau wollte ich es gar nicht wissen! Ich hab’s eilig! Wo sind die Unterlagen?”

      “Kommen morgen.”

      “Warum erst morgen? Das hätte alles viel schneller gehen können!”

      “Tut mir leid, Sir, ich dachte, dass es morgen noch reicht, weil Sie erst übermorgen fliegen...”

      “Sie dachten, Sie dachten! Na ja, was soll’s, ich muss jetzt los. Ich hoffe, dass Sie morgen alles zusammen haben. Kommen Sie, Philip, ich möchte auf dem Empfang pünktlich erscheinen!”

      Thomas schob seinen Kollegen mit sanftem Druck aus dem Zimmer.

      “Mann, hat der heute eine Laune”, stöhnte Sally, “ich kann nur hoffen, dass er nicht öfter seinen Glückstag hat, dann ist er ja noch ungenießbarer als sonst!”

      “Hauptsache, er ist ein paar Tage weg”, erwiderte Maggie achselzuckend, “dann bring ich meine Kaffeemaschine von zuhause mit. So geht uns die Arbeit doppelt so schnell von der Hand!”

      “Wehe, du machst das Arbeitstempo kaputt!”, empörte sich Sally im Scherz, “wenn du dann nämlich keinen Kaffee mehr auf der Arbeit trinken kannst, bist du auch nicht mehr so produktiv, aber er erwartet dasselbe Tempo. Das wird dann vielleicht ‘lustig’.”

      “Schon gut, wir werden uns schon was einfallen lassen. Auf jeden Fall wird es die nächsten Tage nicht so stressig sein, als wenn er anwesend wäre. Das ist doch schon mal was!”

      “Da hast du allerdings Recht”, meinte Sally versöhnlich.

      Die beiden Richter erschienen pünktlich auf dem Empfang.

      Thomas hasste Empfänge und Cocktailpartys, denn dort war alles in konzentrierter Form auf kleinstem Raum versammelt, was er ums Verrecken nicht ausstehen konnte: Politiker, Show-Größen, Alkohol, Kaffee und dümmliches Geschwätz. Diese Art von Konversation, die es auf derlei Anlässen gab, fand er nur langweilig, peinlich und unwürdig. Aber dieses Mal musste er da hin. Außerdem kam Philip mit, und das war ein kleiner Lichtblick.

      Wenigstens ein normaler Mensch in einer Ansammlung von Einfaltspinseln und Angebern. Warum konnten nicht alle Leute so sein wie er? Die Welt würde sicher ein großes Stück besser aussehen, wenn es noch mehr Leute von seiner Sorte geben würde. Thomas seufzte leise bei dem Gedanken daran, dass es leider nur wenige Leute von seiner Sorte gab z. B. seinen Sohn Justin. Der war sein ganzer Stolz. Justin hatte das College mit Bravur gemeistert und studierte jetzt in Harvard Jura. Er würde ein würdiger Nachfolger für Thomas sein und die Dynastie der McNamaras aufrechterhalten. Immerhin waren sie schon in der siebten Generation Juristen.

      Zum Glück ist Justin nicht aus der Art geschlagen wie Jeremiah oder meine Tochter Sophie, dachte Thomas. Bei Sophie wundert es mich nicht, schließlich ist sie ein Mädchen, und davon kann man nicht viel erwarten. Wenn es Frauen in den Rechtswissenschaften zu etwas bringen, ist das eher die Ausnahme. So wie bei meiner Frau Martha. Martha ist wirklich brillant, eine absolut hochangesehene Professorin für Rechtswissenschaften in Yale. Und natürlich hat sie einen Doktortitel. Wenn ich mir überlege, dass manche Männer bei der Wahl ihrer Ehefrau nur nach dem Aussehen gehen, wird es mir schlecht. Ich brauche doch eine Frau, mit der ich mich vernünftig unterhalten und austauschen kann. Und sie muss meiner auch würdig sein.

      Dass Thomas Martha seiner für würdig hielt, lag daran, dass sie zum einen aus einer Intellektuellenfamilie stammte, die seit Generationen in Connecticut wohnte, wahrscheinlich schon seit Gründung der USA. Zum anderen hatte er sie während des Jurastudiums kennengelernt. Sie war außerordentlich engagiert, zu Hochleistung motiviert und deshalb auch sehr erfolgreich, allerdings nicht so arrogant wie Thomas. Die beiden hatten während des Studiums vermehrt dieselben Kurse belegt, ferner in denselben Projekten gearbeitet und waren sich dadurch nähergekommen. Irgendwann hatte es dann zwischen den beiden gefunkt. Thomas konnte nämlich im wahrsten Sinne des Wortes sehr leidenschaftlich und charmant sein, wenn er seine Leidenschaft für ein bestimmtes Thema oder bestimmte Person entdeckt hatte. In diesem Fall kam es zu einer idealen Übereinstimmung: Eine absolut brillante Juristin, die ferner mit einem sehr attraktiven Aussehen gesegnet war. Das war eine perfekte Ehe, und seit Jeremiah nicht mehr in den Staaten wohnte, gab es auch so gut wie keine Auseinandersetzungen mehr zum Thema: Was erfüllt mich mit wirklicher Lebensfreude? Sophie hatte immer zu Jeremiah gehalten und gemeint, dass die Art, wie die Familie Thomas McNamara lebte, überschrieben werden könnte mit: Wie mache ich mir das Leben zur Hölle? Das hatte sie ihrem Vater allerdings nicht gesagt, weil der ob solch einer Aussage ausgerastet wäre.

      Die Mutter hatte mehr Verständnis dafür, dass Sophie den Leistungsdruck, den Thomas auf sie ausübte, für übertrieben hielt. Martha bemühte sich sehr, der Tochter ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leistung und Entspannung zu vermitteln. Sie befürchtete nämlich, dass Sophie sich sonst zu sehr ein Beispiel an Jeremiah nehmen würde. Zudem wusste sie, dass die Tochter über Laetitia in Kontakt mit dem Onkel stand, was sie ihrem Mann aber nicht erzählte. Kontakt zu Jeremiah zu haben und ihn sogar gut zu finden, das war Rebellion in Thomas’ Augen. Er war der Meinung, dass sein Bruder nie etwas von Wert zustande gebracht hatte. Der absolute Schandfleck der Familie McNa­mara sei er. Das College hatte der Bruder gerade mal eben so geschafft, das Jurastudium direkt im ersten Semester abgebrochen. Dabei hätte er doch dankbar sein müssen, dass der Vater ihm diesen großartigen Studienplatz in Harvard verschafft hatte bei der schlechten Abschlussnote am College. Ohne Beziehungen wäre das gar nicht möglich gewesen. Dass Jeremiah viel lieber ein Ingenieursstudium gemacht hätte, hatte den Vater kein bisschen interessiert. Ein McNamara studierte Jura, Ende der Diskussion. Und natürlich hatte es den Vater auch nicht interessiert, warum Jeremiah so einen schlechten Collegeabschluss gemacht hatte. Oder besser gesagt, er wusste es schon. Denn ausgerechnet in dem Abschlussjahr war Grace McNamara, die Mutter, an Bauchspeicherdrüsenkrebs erkrankt und nach langem qualvollem Leiden gestorben. Jeremiah hatte ein sehr inniges Verhältnis zu seiner Mutter gehabt, und das alles ging natürlich nicht spurlos an ihm vorüber. Im Gegensatz zu Thomas, der zwar trauerte, sich aber nicht zu den Emotionen hinreißen ließ, die Jeremiah an den Tag legte. Das trieb den Vater erst recht zur Weißglut. Wieso konnte sich der jüngere Sohn nicht mehr zusammenreißen?

      Jeremiah war auf jeden Fall ein kluger Kopf, aber er ließ sich nicht in die Formen pressen, die andere ihm vorschrieben. Das werteten