“Sag jetzt nicht, er will die Drogenmafia ausrotten!”, entgegnete Martin entsetzt und verdrehte nur die Augen.
Philip nickte.
“Oh mein Gott”, entfuhr es Martin.
“Der möge uns behüten”, stöhnte Philip, “aber wenn er das nicht tut und mir was passiert, gehst du zu dem Tresorfach und holst das Beweismaterial raus. Und dann machst du die Schweine bitte in meinem Namen fertig, okay?”
Philip sah Martin flehend an.
“Mit oder ohne Polizeischutz?”, konterte Martin mit gespieltem Sarkasmus.
“Am besten unter den Augen der New Yorker Öffentlichkeit. Geh damit zur Presse. Je mehr Mitwisser es gibt, desto sicherer ist dein Leben.”
“Das hört sich ja wunderbar an”, kommentierte Martin zerknirscht, “weißt du eigentlich, was du da von mir verlangst?!”
“Ja, Martin, aber ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll. Bitte, wenn ich schon sterben muss, weil mein Kollege größenwahnsinnig ist, dann möchte ich wenigstens sicher sein, dass nicht alles umsonst war. Falls die Mafia ihn da unten in Venezuela lang macht, dann ist sein Leben keinen Pfifferling mehr wert. Und ich habe so ein komisches Gefühl, als wenn das nicht gut gehen kann. Sollte es aber doch gut gehen, dann wird Thomas am kommenden Montag eine Hetzjagd anfangen, wie du sie noch nie gesehen hast.”
Martin nickte und biss sich auf die Lippen.
“Aber du hast ihm schon gesagt, dass er offiziell nicht der Jäger sein kann?”, erkundigte sich Martin.
“Na klar, aber er wird schon einen Staatsanwalt finden, den er sozusagen als Bauern vorschickt. Und außerdem ist für ihn die Genugtuung, seine Feinde aburteilen zu können, doch viel größer, als wenn er sie nur anklagen würde. Schließlich kann er als Richter das Strafmaß festlegen.”
Martin schnaufte nur leicht.
“Warum gerät euer Dr. Gnadenlos eigentlich so in Hektik?”, wollte er wissen.
“Keine Ahnung”, seufzte Philip, “vielleicht weil er sich davon Vorteile für eine Berufung an den Obersten Gerichtshof in Washington erhofft. Schließlich macht er damit einen ziemlichen großen Karrieresprung, zu dem die Gelegenheit so schnell nicht wiederkommen wird. Im richtigen politischen Lager ist er ja schon, jetzt muss nur noch irgend so ein Knalleffekt her à la ‘Seht mal her, das macht mir keiner so schnell nach!’. Ferner passt diese Versöhnungsnummer mit dem Bruder wunderbar ins Bild, zeigt das doch, dass er durchaus diplomatisch und differenziert agieren kann. Ich weiß zwar nicht, ob ihm nur hier im Umkreis der Titel Dr. Gnadenlos vorauseilt, aber grundsätzlich könnte das ein ziemlicher Minuspunkt bei einer Berufung sein.”
“Ich denke, ich werde dir schon deshalb helfen, damit ihr diesen schrecklichen Kerl möglichst bald los seid”, befand Martin, “gib mir den Schlüssel, ich lege ihn zuhause in meinen Tresor.”
“Vielen Dank, Martin”, freute sich Philip.
“Keine Ursache, Philip, du bist mein Freund.”
“Trotzdem, es ist viel verlangt. Das hätte nicht jeder für mich getan. Wenn alles gut ausgeht, werde ich mich revanchieren. Wenn nicht, weißt du ja, was du zu tun hast!”
Philip sah den Richter grinsend an.
“Ja, ich werde dich rächen”, entgegnete der mit seinem schönsten Lächeln.
“Genau!”
Nachdem sich Philip von Martin verabschiedet hatte, fuhr er direkt bei dem Notar vorbei, regelte dort alles bezüglich des Schlüssels und hinterlegte Anweisungen, was dieser im Falles seines Todes zu tun hatte.
Puh, das wäre erledigt, seufzte Philip in sich hinein. Dann wollen wir mal hoffen, dass Thomas wirklich erfolgreich sein wird. Sonst kann ich mir wahrscheinlich schneller die Radieschen von unten ansehen, als mir lieb ist. Warum bin ich nicht Zeitungsverkäufer oder U-Bahn-Fahrer geworden? Da verdient man zwar nicht so viel wie als Richter, aber es ist auch nicht so gefährlich, vor allem, wenn man einen Kollegen wie Thomas McNamara hat.
Teil 1 – Kapitel 5
Thomas landete am frühen Nachmittag des 12. Juli auf dem Flughafen von Caracas. Nach einem kurzen Transfer erreichte er die Küstenstadt Cumaná und checkte im Hotel ein. Sally hatte ihm wirklich ein schönes Hotel gebucht, das musste sogar er zugeben. Allerdings war es auch ziemlich teuer.
Na, egal, dachte er, es ist ja nicht für lang. Und wenn ich an meinen bevorstehenden Triumph denke, werden solche Sachen zu Nebensächlichkeiten.
Mach jetzt bloß keinen Fehler, Thomas, nicht, dass auf den letzten Metern noch was danebengeht. Aber wenn ich vorsichtig bin, kann eigentlich nichts danebengehen. Und jetzt ruhe ich mich erst mal etwas aus, morgen besorge ich mir den Grundbuchauszug, indem ich mich als interessierter Käufer ausgebe, und dann binde ich den Sack zu. Hm, und wenn ich obendrein den Streit mit Jeremiah beilegen kann, ist das umso besser. Obwohl... ich halte es eigentlich für total unwahrscheinlich. Eher fließt Wasser bergauf. Aber zumindest kann mir dann niemand die Schuld dafür in die Schuhe schieben, dass ich es nicht gewollt hätte. Schließlich habe ich den ersten Schritt gemacht.
Teil 1 – Kapitel 6
Als Philip am Morgen des 13. Juli an Thomas’ Vorzimmer vorbeikam, wehte ihm intensiver Duft von frisch aufgebrühtem Filterkaffee entgegen. Philip stutzte und machte einen Abstecher zu den beiden leidgeprüften Vorzimmerdamen. Sally und Maggie waren bester Laune trotz bergeweiser Arbeit. Auf einem kleinen Teewagen stand Sallys Kaffeemaschine, und sie bereiteten gerade schon die zweite Kanne zu.
“Hallo Ladys!”, ließ sich Philip vernehmen und steckte grinsend den Kopf zur Tür herein, “hey, das nenn ich eine Session. Kaffee total! Wie im Orient oder auf ‘ner venezolanischen Kaffeeplantage!”
Sally und Maggie fuhren entsetzt hoch, weil sie nicht damit gerechnet hatten, dass jemand hereinkam.
“Oh Mann, Philip, ich hätte beinahe einen Herzinfarkt gekriegt!”, stöhnte Sally und holte tief Luft.
“Tja, man muss zu seinen Verbrechen stehen”, erwiderte Philip grinsend, “es bleibt immer ein Restrisiko. Was ist, bekomme ich auch eine Tasse?”
“Nicht nachdem Sie uns so erschreckt haben!”, protestierte Maggie scherzhaft.
“Och, kommt schon, Mädels, seid doch nicht so grausam.”
“Erst müssen Sie sich entschuldigen oder eine andere Gegenleistung bringen”, meinte Sally grinsend, “alles hat seinen Preis.”
“Na schön, wenn ich Ihnen erzähle, wie die Leute beim Empfang des Bürgermeisters Thomas auf die Palme gebracht haben und er nichts dagegen machen konnte, bekomme ich dann einen Kaffee?!”, wollte Philip wissen.
Die Antwort war ihm schon von vornherein klar. Die beiden Sekretärinnen würden ihm förmlich aus der Hand fressen und ihm vielleicht sogar die Kaffeemaschine schenken, um diese Geschichte zu erfahren.
Philip bekam seinen Kaffee. Er ließ sich genüsslich auf einem winzigen freien Fleckchen von Sallys Schreibtisch nieder, rührte gemächlich in seiner Tasse und meinte dann: “Okay, hier ist sie, die Geschichte vom Richter im undurchdringlichen Dschungel Hollywoods. Bitte fest anschnallen und die Kaffeebecher hinstellen, es könnte Turbulenzen geben!”
Philips Warnung war sehr klug und vorausschauend gewesen. Sally und Maggie fielen fast von ihren Stühlen vor Lachen, als Philip von Indiana Jones und Harrison Ford erzählte.