Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Hauck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037500
Скачать книгу
und Aufzüge gab. Das war Thomas’ Glück, weil er auf diese Weise noch vor seinen Verfolgern den Haupteingang des Hotels erreichte und schnell ins Auto springen konnte. Die beiden Polizisten sahen nur noch, wie er gerade mit quietschenden Reifen den Parkplatz verließ.

      “Mierda”, schimpfte der eine, “jetzt ist er uns doch durch die Lappen gegangen.”

      “Ach, weißt du, Antonio”, tröstete ihn der andere, “der kommt nicht weit. Vielleicht ist es sogar gut, dass er abhauen konnte. Das macht unsere Version umso glaubwürdiger. Bedenke, wir haben den ‘Liebesbrief’ mit seinen Fingerabdrücken drauf, und vor allen Dingen mit denen von unserem sehr wertgeschätzten Señor Miguel Ramírez. Natürlich sind auch unsere drauf, aber das tut nichts zur Sache. Niemand bei der hiesigen Polizei weiß, dass wir für einen kolumbianischen Plantagenbesitzer arbeiten, der mit seinen landwirtschaftlichen Produkten sehr viel Geld verdient. Wie clever von Miguel, dass er überall seine Informanten hat.”

      “Da hast du auch wieder Recht, Ernesto”, pflichtete Antonio ihm bei, “aber wir sollten schnell unsere nichts ahnenden Kollegen anrufen und ihnen stecken, dass der Herr Richter auf der Flucht ist, weil wir ein sehr brisantes Dokument bei ihm gefunden haben.”

       Daraufhin benachrichtigte Ernesto seine Kollegen bei der Polizei. Die leitete sofort eine Ringfahndung ein. Das war ja ein Ding. Der ehrenwerte Richter aus New York war das fehlende Glied in der Beweiskette. Er führte ein Doppelleben, arbeitete offiziell für die Gerichtsbarkeit, und inoffiziell machte er mit den Drogenbaronen aus Kolumbien Geschäfte. Was hätte auch sonst dafür der Grund sein können, dass ein Staatsbeamter wie Thomas McNamara sich derart für Immobilien in Venezuela interessierte und vielleicht sogar noch weiterempfehlen wollte? Denn obwohl er als Richter nicht gerade schlecht verdiente, so waren diese Immobilien eigentlich für ihn preislich eine Nummer zu groß. Das hatte den Makler, der natürlich im Auftrag der Mafia handelte, stutzig gemacht.

      Und die Mafia reagierte sehr schnell. Zufällig war nämlich Miguel Ramírez, der wahrscheinlich ungekrönte König im Drogengeschäft, zurzeit gerade in Cumaná, was Thomas allerdings nicht wusste. Deshalb hatte er Thomas auch diesen “Liebesbrief” schreiben können mit folgendem Inhalt:

       Lieber Thomas!

       Ich freue mich außerordentlich, dass wir uns endlich mal persönlich kennenlernen können. Leider war ein Treffen ja aufgrund der Tatsache, dass wir vorsichtig sein wollten, bisher nicht möglich. Wie schön, dass du unter dem Vorwand, eine persönliche Angelegenheit regeln zu müssen, vor Ort sein kannst. Wir werden natürlich über weitere Investitionen in Immobilien reden, aber ich denke, wir sollten uns auch einfach mal einen netten Abend zusammen machen. Komm doch heute Abend in das kleine Restaurant, das dem Immobilienbüro gegenüber liegt. Dort erwartet dich ein Taxifahrer, der angewiesen ist, dich in meine bescheidene Villa in der Nähe des Strandes zu bringen. Ich freue mich auf dich. Herzlichst... Dein Miguel.

      Kein Wunder, dass es Thomas heiß und kalt geworden war, als er diese Zeilen las. Und ihm war auch klar, dass Ramírez irgendwie über den Immobilienmakler informiert worden sein musste.

      Der Makler hatte sofort Kontakt zu dem Drogenbaron aufgenommen, und der hatte umgehend Informationen eingeholt, warum sich McNamara in Venezuela befand. Thomas’ Sekretärinnen waren von ihm angewiesen worden, als einzige Erklärung für die Reise nach Südamerika anzugeben, es handele sich um eine persönliche Angelegenheit. Anschließend hatte Ramírez diesen Brief verfasst, wobei er bewusst darauf geachtet hatte, dass sich seine Fingerabdrücke auf dem Papier befanden. Die waren der Polizei nämlich wohlbekannt. Dann hatte er zuerst den Boten mit dem Brief zu Thomas geschickt, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Richter auch wirklich auf seinem Zimmer sein würde. Anschließend sollten die beiden falschen Polizisten Thomas gefangennehmen, sobald der den Brief gelesen hatte und auch seine Fingerabdrücke auf dem Papier waren. Ursprünglich hatten Ernesto und Antonio Anweisung, den Richter in Untersuchungshaft zu stecken, wo ihn dann die Handlanger von Miguel raushauen sollten - schließlich lässt man Freunde nicht in der Patsche sitzen. Anschließend sollte er auf Miguels Landsitz in Kolumbien gebracht werden, wo der ihn in einen extra für den Juristen hergerichteten Kerker stecken wollte mit einem Messingschild darüber, auf dem “Dr. Thomas McNamara, Vorsitzender Richter des Obersten Gerichtshofs von New York City” stand. Und dort würde Thomas eine Menge Zeit zum Nachdenken haben, denn Miguel wollte ihn nicht umbringen, sondern nur die Informationen aus ihm herausquetschen, die er von seinem Erzfeind haben wollte, ganz besonders aber auch den Grund für Thomas’ Reise nach Venezuela. Anschließend hatte er vor, den Richter geschickt zurück in die Hände der Polizei zu spielen, und zwar der richtigen Polizei. Die besaß ja den Brief, und außerdem wollte Miguel der Gerichtsbarkeit noch einige andere hieb- und stichfeste Beweise unterjubeln, so dass Thomas keinerlei Chancen haben würde, seine Unschuld zu beweisen. Auf diese Weise würde der vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofs von New York City für den Rest seines Lebens genau dorthin wandern, wo er zuvor seine Angeklagten hingeschickt hatte, nämlich ins Gefängnis. Und das würde für ihn - mal ganz abgesehen von dieser entsetzlichen Demütigung und Ungerechtigkeit, weil er ja unschuldig im Gefängnis saß - ein schrecklicher Spießrutenlauf werden, denn die Männer, die er in den Knast gebracht hatte, würden bei jeder Gelegenheit, die sich ihnen bot, es ihm heimzahlen. Von daher war Miguels Idee, dafür zu sorgen, dass sein Erzfeind unschuldig ins Gefängnis kam, ein noch größerer Triumph für ihn, als wenn er ihn zur Strecke gebracht und getötet hätte. Denn Gefängnis würde für Thomas noch viel schlimmer sein als der Tod.

       Thomas fuhr zunächst wie der Teufel. Nur weg! Als er aber bemerkte, dass ihm niemand folgte, mäßigte er seinen Fahrstil, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen und wandte sich nach Osten. Allerdings bog er schon bald in einen Feldweg ab, wo er hinter einer Mauer anhielt, denn er wollte nachdenken.

      Okay, Thomas, überlegte er, du hast einen fatalen Fehler gemacht, also mach jetzt nicht noch einen. Die Schlinge liegt eigentlich schon so eng um deinen Hals, dass es im Prinzip gar keine Möglichkeit mehr gibt, ihn da wieder raus zu ziehen. Natürlich waren diese Polizisten Handlanger von Ramírez. Aber sie hatten Polizeiuniformen an. Das bedeutet, dass Ramírez eigene Leute bei der Polizei einge­schleust hat. Damit habe ich jetzt nicht nur die Drogenmafia, sondern auch die Polizei am Hals. Das ist ja absolut bezaubernd. Egal wer mich einkassiert, es wird immer mein Verderben sein, denn ich lande früher oder später in den Händen von Miguel Ramírez, meinem Erzfeind. Obendrein wusste der, dass ich in einer persönlichen Angelegenheit hier unten bin. Wahrscheinlich hat er das über meine Sekretärinnen herausgekriegt. Und der Immobilienmakler hat ihm gesagt, in welchem Hotel ich mich befinde. Ein Glück, dass ich Sally und Maggie verboten habe zu erzählen, dass ich mich mit Jeremiah versöhnen will. Und offensichtlich haben sie sich auch an die Anweisung gehalten, weil Miguel das sonst bestimmt in seinem “Liebesbrief” erwähnt hätte. Das bedeutet, dass meine Gegner vielleicht gar nicht wissen, dass ich einen Bruder habe und dass der obendrein noch in Venezuela wohnt. Außerdem hat Ramírez wohl sehr spontan gehandelt, denn er hat mich ja in Zusammenarbeit mit dem Makler gelinkt. Das bedeutet wiederum, dass ich sie auch überrascht haben muss mit meinem Besuch vor Ort. Und damit wissen die wahrscheinlich gar nicht, dass ich sehr brisantes Beweismaterial habe, was ich gegen sie verwenden kann. Hm, wenn Ramírez mich wirklich liquidieren will, kann Philip diese Schweinehunde immer noch rankriegen. Aber ich befürchte, dass Ramírez mich gar nicht töten, sondern mich “interviewen” will. Und auf so ein “Interview” bin ich nicht gerade scharf, denn ich bin mir nicht sicher, wie lange ich durchhalte, wenn er mich foltert. Dann ist das Beweismaterial nichts mehr wert, und obendrein wird er sich meine Verbündeten in den Staaten vorknöpfen. Oh weh, das ist ja im Prinzip noch schlimmer, als wenn dieser Drecksack mich nur liquidieren wollen würde. Tja, falls er mich doch stellt, heißt der einzige Ausweg für mich Selbstmord. Denn nur so kann ich ihn dann doch noch zur Strecke bringen und das Leben der anderen Beteiligten retten. Na klasse, so hatte ich mir diese Aktion eigentlich nicht vorgestellt. Okay, und jetzt überleg, alter Junge, was du als Nächstes machst.

      Thomas legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht.

      Scheiße, Scheiße, Scheiße, dachte er, was für ein Elend. Okay, Gott, ich mach mit dir einen Deal. Wenn du mich hier lebend wieder herausholst, ohne dass Ramírez mich gekriegt