Paps hat getobt und ihn angeschrien und beschimpft und etwas von Blasphemie und all solchen Sachen gesagt. Onkel Jerry hat ihn dann noch mehr gereizt, indem er ihn immer mit Tom anredete, weil er ganz genau wusste, dass sein Bruder das auf den Tod nicht leiden konnte, wenn man ihn Tom nannte. Beinahe wären die beiden in echt christlicher Nächstenliebe mit Fäusten aufeinander losgegangen, aber Mama war dazwischen gefahren und hatte die Kampfhähne auseinander gebracht. Dann hatte Mama Onkel Jerry böse angesehen und gesagt, es sei wohl besser, wenn der jetzt gehen würde. Und Onkel Jerry hatte gesagt, dass er das schon viel eher hätte tun sollen und dass es ihm jetzt endgültig reichen würde.
“Ja, geh nur, und komm ja nicht so schnell wieder”, hatte Paps gewettert, “und bleib schön lange weg. Je weniger ich dich sehen muß, umso besser! Das ist sowieso besser für uns alle. Du bist der Schandfleck unserer Familie. Wenn du nicht mehr auf der Bildfläche erscheinst, kannst du auch niemandem mehr im Wege stehen!”
Onkel Jerry hatte geantwortet, dass er sich mit Sicherheit so weit entfernen würde, dass er, Punkt eins, niemandem mehr im Wege wäre, und dass er, Punkt zwei, hoffe, dass niemand aus dieser elenden Familie von Besserwissern ihm im Wege stehen würde in Zukunft. Paps solle ja nicht dort aufkreuzen, wo er jetzt hinginge, denn er würde ihn mit Sicherheit rausschmeißen. Er wolle sich was Eigenes aufbauen, wo die Gesetze des Herrn Doktor McNamara nicht gelten würden.
“Auf nimmer wiedersehen, Tom”, hatte er geschlossen und sich auf dem Absatz rumgedreht, das Haus verlassen und die Tür so heftig hinter sich zugeknallt, dass die Glasscheibe gesplittert war.
“Ich schick dir die Rechnung für die Scheibe”, hatte Paps ihm hinterher geschrieen, aber Onkel Jerry hatte ihn gar nicht mehr beachtet.
“Und da soll das mit einer Versöhnung klappen?”, murmelte Sophie seufzend vor sich hin.
Laetitia dachte ihrerseits noch eine Weile über das Gespräch mit Sophie nach.
Hoffentlich wird sich nicht etwas Ähnliches zwischen Vater und Tochter abspielen, wie es sich zwischen den beiden Brüdern abgespielt hat, fuhr es ihr durch den Kopf. Sophie hat von Thomas nicht nur die Cleverness, sondern auch den Dickkopf geerbt. Sie ist zwar nicht so verbissen und verkniffen wie ihr Vater, aber sie weiß, was sie will. Und sie hat eine spitze Zunge. Das gefällt Thomas natürlich gar nicht. Sophie ist wirklich ganz schön schlagfertig, und oft weiß Thomas dann nichts darauf zu sagen. Kein Wunder, dass ihn das ärgert. Er kann halt nicht verlieren. Das ist noch so eine negative Eigenschaft an ihm. Hoffentlich wird ihm das mal nicht zum Verhängnis.
Teil 1 – Kapitel 4
Thomas hatte sich durch den Abend mit Martha wieder abgeregt. So war er am nächsten Morgen glücklicherweise einigermaßen genießbar. Er verbarrikadierte sich den ganzen Tag mit Philip in seinem Büro und klärte seinen Kollegen genau über alles auf, was Smith recherchiert hatte. Dann wies er ihn an, das Material am besten in einem Bankschließfach zu deponieren, bis er wieder zurück in New York wäre. Ferner sollte Philip die Schlüssel zu dem Fach bei zwei absolut vertrauenswürdigen Freunden von ihm, die sich nicht kannten, hinterlegen. Falls nun Thomas oder Philip etwas zustoßen sollte, könnten diese Leute an die Unterlagen herankommen, damit den Tod der beiden Männer rächen und die Drogenbarone doch noch zur Strecke bringen.
Am Morgen seines Abflugtages schaute Thomas kurz bei seinen beiden Sekretärinnen herein und packte ihnen noch ein bisschen mehr Arbeit auf die Schreibtische.
“Wo ich schon bis Ende der Woche außer Haus bin”, meinte er jovial, “nicht, dass Ihnen langweilig wird, wenn ich weg bin.”
Haha, dachten Maggie und Sally, unseretwegen kannst du bleiben, wo der Pfeffer wächst. Der wächst nämlich ungefähr da, wo du hinfährst. Vielleicht frisst dich ja auch ein Hai oder sonst ein wildes Tier. Das wäre kein Verlust. Höchstens schade um das Tier, das dich frisst. Du wirst ihm bestimmt schlecht bekommen, und womöglich krepiert es noch an dir, du Kotzbrocken.
Nachdem Thomas zum Flughafen aufgebrochen war, beeilte sich Philip, das hochbrisante Beweismaterial in Sicherheit zu bringen. Er ging zu der Bank, die dem Gerichtsgebäude gegenüberlag, mietete dort ein Fach für die Unterlagen und war sehr zufrieden, als er die beiden Schlüssel dazu ausgehändigt bekam. Nun stand er allerdings vor einer wichtigen Frage: Bei wem sollte er die Schlüssel hinterlegen?
Tja, jetzt wird es erst richtig interessant, dachte er, wer dürfen die beiden “Glücklichen” sein, die die Schlüssel aufbewahren sollen und im Zweifelsfalle Thomas’ und meinen Tod rächen? Hm, sie dürfen in nicht zu engem Kontakt zu mir stehen, damit sie nachher nicht selbst dran sind. Maggie und Sally wollte Thomas ja verständlicherweise nicht einweihen, weil der Gegner auf sie als erstes kommen wird. Die beiden tun mir leid. Wenn etwas schiefgeht, hängen sie mit drin, und niemand wird ihnen glauben, dass sie von der ganzen Sache nichts gewusst haben. Die sitzen, ohne es zu ahnen, auf einem Pulverfass, das jederzeit hochgehen kann.
Philip fiel ein alter Studienkollege ein, der drüben in Connecticut eine Anstellung als Richter hatte. Martin war ein langjähriger Freund, aber sie hatten nicht viel Kontakt, weil sie beide sehr beschäftigt waren. Trotzdem hatte das der Freundschaft keinen Abbruch getan. Auch wenn sie sich wenig sahen, so brauchte es nicht lange, bis sie wieder auf einer Wellenlänge waren. Sie wussten, wo der andere stand und hatten großes Vertrauen zueinander.
Das macht sich ganz prima, dachte Philip, Martin gehört nicht zu dem Kreis der Leute, die ich regelmäßig sehe. Auf den würden die Kolumbianer nicht so schnell kommen. Und er ist absolut vertrauenswürdig. Wenn ich ihn um einen Gefallen bitte und ihm sage, dass ich ihm leider nicht die näheren Umstände erklären kann, wird er diskret sein und keine Rückfragen stellen. Na gut, ihn werde ich heute Abend besuchen. Oder nein, noch besser, ich fahre gleich rüber zu ihm und besuche ihn im Gericht, denn mein Anliegen ist ja dienstlicher Natur. Ferner fällt es gar nicht auf, wenn ich ihn während der Arbeitszeit treffe, weil man nur schwerlich damit rechnet, dass es um so eine brisante Sache geht. Und den zweiten Schlüssel hinterlege ich bei einem Notar mit einer Anweisung, was er machen soll, wenn ich ins Gras beiße.
Martin war positiv überrascht, als Philip bei ihm kurz vor Dienstschluss auftauchte. Er nahm den Freund mit in sein Büro und erkundigte sich nach dessen Ergehen sowie dem Grund des unverhofften Besuches.
“Eine dienstliche Angelegenheit! Ich brauche deine Hilfe”, erwiderte Philip.
“Na, dann schieß mal los, Philip, worum geht es?!”
“Tja, es ist ein wenig außergewöhnlich. Ich hoffe, dass du für das, was ich dir jetzt erzähle, Verständnis haben wirst.”
Philip sah den Freund unsicher an.
“Philip, ich bin dein Freund!”
“Okay, ich weiß”, wiegelte Philip ab, “aber ich bin da in etwas hineingeraten, was mir über den Kopf wachsen könnte bzw. mich den Kopf kosten könnte.”
“Es ist doch nicht etwas Illegales?!”, meinte Martin besorgt.
“Nein, aber es ist eine sehr zweischneidige Sache”, entgegnete Philip seufzend, “Martin, ich kann dich leider nicht einweihen. Bitte stell keine Fragen. Alles, um was ich dich bitte, ist, diesen Schlüssel hier für mich aufzubewahren. Er ist eine Art Lebensversicherung. Falls mir was zustoßen sollte, geh bitte zu der Bank, die dem Gerichtsgebäude, wo ich arbeite, gegenüberliegt. Er passt zu einem Kundentresorfach, die Nummer ist auf dem Schlüssel eingraviert.”
“Was liegt da drin?”
“Beweismaterial.”
“Warum deponierst du als Richter des Obersten Gerichtshofs von New York City Beweismaterial in einem Kundentresor?!”
“Weil der vorsitzende Richter es mir aufgetragen hat.”
“Tickt McNamara jetzt völlig aus?”
“Allerdings”, erwiderte Philip, “er ist nach Venezuela gereist. Offiziell in einer privaten Angelegenheit.”
“Und