Kurze Zeit später erschien sie wieder in der Küche, aber ohne Thomas.
“Was ist los?”, fragte die Mutter, “wo bleibt er denn? Hast du ihm nicht gesagt, dass das Abendbrot fertig ist?!”
“Doch”, entgegnete Sophie, “aber er hat heute megaschlechte Laune. Kommt mir vor wie ein Pharisäer, der versucht hat, Jesus mit ‘ner hinterhältigen Frage zu linken und dabei von Jesus langgemacht wurde zur Belustigung des erstaunten Publikums (Die Bibel, NT, z. B. Evangelium nach Lukas, Kap. 20, Verse 1 – 8 und 20 – 10). Ganz dicke Luft!”
“Sophie, du sollst doch nicht in so einer Art und Weise über biblische Inhalte sprechen. Ein bisschen mehr Respekt vor dem Wort Gottes wäre angemessen. Außerdem hat sich Jesus nie über andere Leute lustig gemacht. Er war immer voller Barmherzigkeit und Liebe und...”
“Das hab ich auch nicht behauptet, dass Jesus sich über andere lustig gemacht hat. Aber er hat seinen Zeitgenossen schon die Wahrheit auf’s Brot geschmiert. Was glaubst du, warum die derart sauer auf ihn waren?! Wenn Jesus heute leben würde, hätte er noch ganz andere Sprüche drauf. Also hab dich nicht so!”, rechtfertigte sich Sophie.
“Wie redest du eigentlich mit deiner Mutter?!”, empörte sich Thomas, der gerade im Türrahmen erschien. Martha hatte gerade zu einer ähnlichen Rüge angesetzt, aber ihr Mann war ihr zuvorgekommen.
“Ach Leute, seid doch nicht so humorlos!”, meinte Sophie, “hab’s doch nicht böse gemeint. Sorry, Mama, ich wollte dich nicht verletzen!”
Sie hatte sich entschlossen, besser ein wenig einzulenken, weil die Stimmung des Vaters eh schon schlecht genug war. Und sie musste ja keine Eskalation der Lage herbeiführen.
“Na, das wollte ich aber auch gemeint haben”, ranzte Thomas sie an und ließ sich erschöpft auf seinen Stuhl fallen, “was gibt’s denn heute Schönes, Schatz?!”, meinte er fragend in Marthas Richtung.
“Lasagne al forno mit Gorgonzola überbacken”, kam es aus der Nähe des Backofens.
Oh nein, dachte Thomas, heute bleibt mir aber auch nichts erspart. Ein Nudelgericht! Und dazu noch mit diesem elenden stinkenden Käse überbacken.
Aber laut sagte er: “Na, da bin ich ja mal gespannt.”
Er wollte Martha nicht verletzen und außerdem gar nicht erst Diskussionen über den Speisenplan aufkommen lassen, denn sonst würde es noch soweit kommen, dass Sophie ständig meuterte, weil es zu wenig Rohkost gab. Normalerweise machte Martha “anständiges” Essen, nur ab und zu kam so ein Nudelfraß auf den Tisch. Sie liebte die italienische Küche. Da konnte man nichts machen.
“Na, wie war dein Tag?”, erkundigte sich Martha, während sie ihm eine große Portion auf den Teller schob.
Thomas dachte: Oh, bitte nicht so viel. Mir ist der Appetit sowieso schon vergangen.
“Eigentlich ganz gut”, seufzte Thomas, “um genauer zu sein, er hätte perfekt werden können, wenn nicht... hach, nichts weiter.”
“Wenn nicht was?”, fragte Martha nach und setzte ihm seinen Teller vor, “was ist passiert, dass du derart schlechte Laune hast?”
Auch wenn Thomas Marthas Einschätzung seiner Stimmungslage fuchste, hütete er sich davor, sie anzuschnauzen.
“Ach”, meinte Thomas ärgerlich, “die Verhandlung lief spitzenmäßig. Wir waren schon kurz vor Mittag fertig. Die Geschworenen haben diesen Lumpen schuldig gesprochen, und ich konnte die Höchststrafe verhängen...”
“Na, dann ist doch alles in Ordnung!”, unterbrach ihn Sophie verwundert.
“Könnte ich vielleicht mal ausreden?!”, giftete sich Thomas.
“Schon gut”, murmelte Sophie.
“Dass du einen aber auch immer unterbrechen musst, Sophie!”, schimpfte Thomas, “das scheint in unserer Gesellschaft anscheinend immer mehr um sich zu greifen. Diese ganze Respektlosigkeit gegenüber Eltern ist einfach unglaublich!”
“Ach komm, Sophie hat es nicht bös gemeint. Sie wollte dich doch nur aufmuntern. Du bist wirklich nicht gut drauf, Schatz!”, verteidigte Martha ihre Tochter.
“Na schön, was soll’s. Ich komme also aus der Verhandlung und erwische meine Sekretärinnen beim Kaffeeklatsch. Und damit nicht genug. Denn diese Typen beim Empfang des Bürgermeisters, die haben mich total verhöhnt. Einer dieser Kerle wollte uns doch partout für das kommende Wochenende auf seine Segelyacht einladen, aber...”
“Das verstehe ich nicht, warum du deswegen böse bist”, wunderte sich Martha, “das ist doch sehr nett.”
Jetzt wurde es Thomas aber doch zu bunt. Schon wieder war er unterbrochen worden.
“Könnte ich vielleicht mal die ganze Geschichte erzählen?”, knurrte er.
“Ja, ja natürlich”, entgegnete Martha in einer Mischung aus Irritation und Reue.
“Deswegen bin ich ja auch nicht sauer”, fuhr Thomas genervt fort, “aber ich musste ablehnen, weil ich am Wochenende verhindert bin. Und dann mussten diese impertinenten Kerle in meinen Privatangelegenheiten wühlen. Als wenn das nicht reicht, wenn man sagt, dass man verhindert ist. Sowas Ungehobeltes, dann auch noch nachzubohren, was man denn vorhat.”
“Und was hast du vor, wenn ich fragen darf?”
Martha sah ihren Mann etwas irritiert an. Er hatte ihr gegenüber nichts erwähnt, was auf ein ausgefülltes Wochenende schließen ließ, und sie war außerdem ziemlich enttäuscht, dass das mit der Segelyacht nicht klappte. Das hätte ihr nämlich gut gefallen. Man saß ja sowieso zu viel drinnen. Da wäre ein Wochenende auf einer Segelyacht gerade recht gekommen. Und es wäre bestimmt nett gewesen, neue Leute kennenzulernen.
“Ich fliege übermorgen nach Venezuela”, brummte Thomas, “und bleibe bis zum Wochenende.”
“Nach Venezuela!”, Martha zog die Augenbrauen hoch, “wieso denn das?!”
“Na ja, ich... nun ja, nun, es kommt vielleicht ein wenig unvermutet und plötzlich, aber ich... ich habe ein schlechtes Gewissen bekommen. Weißt du, ich spekuliere doch auf das Amt des Bundesrichters. Und solche Leute sollen einen einwandfreien Ruf haben. Aber da gibt es doch diesen Streit zwischen Jeremiah und mir. Und ich fände es peinlich, wenn sowas öffentlich würde.”
Wieso öffentlich würde? wunderte sich Sophie im Stillen. Das ist doch wohl schon lange allgemein bekannt!
“Und was willst du dagegen machen?”, forschte Martha nach.
“Na ja, ich habe mir überlegt, dass ich das aus der Welt schaffen sollte”, entgegnete Thomas und gab sich schuldbewusst, “deshalb will ich auch möglichst schnell mit Jeremiah darüber sprechen. Und ich bin froh, dass ich es mir schon vorgenommen hatte, bevor dieser Typ da auf dem Empfang mich auf seine Yacht einladen wollte. Der war nämlich ein Präsidentenberater und wollte mich näher kennenlernen. Stell dir mal vor, wie peinlich das geworden wäre, wenn er das mit dem Zerwürfnis herausbekommen hätte.”
“Ich denke, du kannst es nicht leiden, wenn andere Leute in deinen Privatangelegenheiten wühlen, Paps?!”, wunderte sich Sophie.
“Sophie!”, zischte Thomas seine Tochter an, “treib mich nicht zur Weißglut!”
“Ich glaube, ich sage heute Abend besser nichts mehr”, murrte Sophie, “egal was ich sage, es ist immer verkehrt.”
“Ja, wahrscheinlich ist das besser, wenn du den Mund hältst”, befand Thomas.
“Mann, du bist heute wirklich ungenießbar”, ärgerte sich jetzt Martha, “und irgendwie habe ich immer noch keinen Zusammenhang zwischen deiner schlechten Laune und dieser Einladung herstellen können. Der Bursche, der uns einladen