“Sorry, ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten”, nahm sich der so Gemaßregelte zurück.
Thomas sah sein Gegenüber mit giftigem Blick an und murrte nicht sonderlich überzeugend: “Na ja, schon gut.”
Es entstand eine betretene Stille. Irgendwie war die schöne Stimmung dahin. Thomas wurde es zunehmend unwohler in seiner Haut, denn in ihm keimte der Gedanke auf, dass Peter ihn vielleicht als sehr nachtragend einschätzen würde, nachdem er so brüskiert reagiert hatte. Und schließlich wollte er doch wenigstens bei diesem kurzen Zusammentreffen einen möglichst positiven Eindruck hinterlassen. Deshalb fügte er jetzt wirklich sehr versöhnlich und mit einem charmanten Lächeln an: “Nun ja, Peter, Ihr Angebot, mich bei Ihrem Segeltörn unterwegs mit an Bord zu nehmen, ist wirklich sehr entgegenkommend, aber ich befürchte, dass Sie wohl kaum an der Nordküste Venezuelas vorbeisegeln werden.”
Die Männer in der Runde waren absolut überrascht, als Thomas das sagte. Dass der Richter sogar außer Landes sein würde, damit hatte niemand gerechnet, und obendrein noch in einer persönlichen Angelegenheit!
“Oh, das klingt aber abenteuerlich”, wunderte sich ein anderer in der Runde, “klingt fast wie bei... ach, jetzt hab ich den Namen gerade vergessen... wie hieß noch dieser Typ... hach, ich hab den Namen auf der Zunge...”
“Indiana Jones?!”, warf ein weiterer ein.
“Genau!”, freute sich der andere, “genau, Indiana Jones.”
“Ja, das passt, der hat schließlich auch einen Doktortitel”, warf der nächste ein.
“Allerdings”, bestätigte wieder ein anderer und musterte dabei Thomas, “Indiana Jones, das passt. Finden Sie nicht auch, dass unser guter Thomas eine ziemlich große Ähnlichkeit mit Harrison Ford hat? Doch, das ist verblüffend!”
Thomas kam sich vor wie eine Kuriosität, die von einem dümmlichen Publikum bestaunt wird, denn jetzt musterten ihn alle, um zu sehen, ob er wirklich diesem, wie hieß der noch, ach, das war ja auch egal, also diesem Typen da oder wem auch immer ähnlich sah.
“Ja, ich finde Lionel hat Recht”, meinte Peter, und die anderen nickten zustimmend, “Sie sehen dem Schauspieler wirklich sehr ähnlich, Thomas!”
Und zu Philip gewandt, fügte er hinzu: “Finden Sie nicht auch, Philip?!”
Philip, der die ganze Zeit darauf gewartet hatte, dass sein Kollege explodierte und sich gleichzeitig köstlich amüsierte, schreckte hoch wie ein Erstklässler, dem der Lehrer mitten im Dösen eine Frage gestellt hat.
“Äh, nun ja, ich weiß nicht, ich...”
“Aber unser Dr. McNamara macht natürlich etwas ganz anderes”, versuchte der Bürgermeister die Situation zu retten, denn er wusste, dass Thomas sich nicht sonderlich für den Berufsstand der Schauspieler erwärmen konnte, “das kann man überhaupt nicht vergleichen.”
“Sicher”, bestätigte Lionel, “es fiel mir nur gerade so auf.”
Es entstand eine Pause. Philip überlegte allerdings fieberhaft, wie er Thomas unauffällig aus dieser Runde heraus manövrieren konnte. Denn er befürchtete, dass sich der Richter gleich nicht mehr beherrschen konnte. Nur leider war für die Männer in der Runde die Frage noch nicht geklärt, warum Thomas in einer persönlichen Angelegenheit nach Venezuela fahren wollte und warum diese Sache so dringend war, dass sie keinen Aufschub duldete.
Deshalb beschloss Thomas, eine möglichst neutrale und gleichzeitig plausible Erklärung abzugeben.
“Ich muss eine persönliche Angelegenheit mit meinem Bruder bereden”, entgegnete er, “und möglicherweise kann es bald dafür zu spät sein. Das würde ich mir nie verzeihen.”
“Das klingt ja beinahe so, als ginge es um Leben und Tod”, befand einer der Männer, “irgendwie erinnert einen das schon an Indiana Jones, auch wenn man das natürlich nicht vergleichen kann, wie unser Bürgermeister schon sagte.”
Damit nicht noch mehr Vergleiche gezogen werden konnten, leitete Philip jetzt möglichst schnell die “Verabschiedungssequenz” ein.
“Meine Herren”, meinte er, “Sie mögen uns verzeihen, aber uns ruft die Pflicht! Ich denke, Sie werden uns sicher entschuldigen, wenn wir etwas früher aufbrechen!”
“Aber sicher”, entgegnete der Bürgermeister, “wir haben Verständnis für Ihren vollen Terminkalender.”
“Tja, auch wenn es schade ist, Thomas, dass wir uns an diesem Wochenende nicht treffen können”, fügte Peter noch an, “so bleiben Sie doch mein Wunschkandidat für das Amt des Bundesrichters. Ich werde sehen, was sich machen lässt.”
“Vielen Dank”, erwiderte Thomas sichtlich beeindruckt, “das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich fühle mich außerordentlich geehrt.”
Thomas und Philip verabschiedeten sich kurz und verließen den “Ort des Grauens”. Auf dem Nachhauseweg nahmen sie sich gemeinsam ein Taxi, da sie relativ nahe beieinander wohnten. Thomas schwieg fast die ganze Zeit über, nur manchmal brummte er irgendwelche unverständlichen Schimpfworte vor sich hin.
Als Philip, der den kürzeren Weg hatte, aussteigen musste, meinte Thomas: “Danke, dass Sie uns da herausgeholt haben. Ich frage mich immer wieder, wie solch taktlose Leute in so hohen politischen Positionen sein können, wenn man mal von diesem Peter absieht!”
“Tja, da haben Sie Recht”, erwiderte Philip, “ich empfand einige der Anwesenden als sehr indiskret und die Vergleiche unpassend. Also dachte ich mir, dass es wohl besser wäre, zu verschwinden.”
“Allerdings!”, meinte Thomas gequält, “und ich weiß nicht, was es da für einen Zusammenhang mit dem Besuch bei meinem Bruder und dieser Indianergeschichte gibt.”
“Welche Indianergeschichte?!”, erwiderte Philip irritiert.
“Na, die haben mich doch mit einem Indianer namens Jones verglichen, der auf irgendwelche Abenteuerreisen geht!”, erregte sich Thomas.
Philip musste sich schwer zusammennehmen, um nicht loszulachen, als er antwortete: “Oh ja, ja natürlich.”
Oh weh, dachte Philip, Thomas kennt diese Filmfigur wirklich nicht. Allerdings ist es auch sehr gut, dass Thomas nicht den Vornamen seines Bruders genannt hat. Denn dann wären bestimmt einem der Männer diese Zeichentrickfiguren Tom & Jerry eingefallen, und dabei ist ja Kater Tom der Trottel und Verlierer. Also dann schon lieber mit Indiana Jones bzw. Harrison Ford verglichen werden. Der ist schließlich ein geschickter und charmanter Mann.
“Na ja, wir haben es mit Anstand hinter uns gebracht, Thomas”, fuhr Philip fort, “erholen Sie sich ein bisschen heute Abend, und denken Sie nicht mehr an diese Nervensägen. Wir sehen uns dann morgen im Büro!”
Philip wollte schon gehen, als Thomas ihn zurückrief.
“Philip”, raunte er ihm zu, “meinen Sie, die sind misstrauisch geworden?!”
“Wegen der Reise nach Venezuela?”, fragte Philip.
“Hm...”
“Ach nein, das glaube ich nicht”, beruhigte Philip seinen Kollegen.
“Dann ist es ja gut”, seufzte Thomas erleichtert, “einen schönen Abend und nochmals danke!”
Als Thomas nach Hause kam, saßen seine Frau und seine Tochter bereits in der Küche beim Abendbrot. Thomas schloss auf, sah sich missmutig um und gab der Tür einen ziemlich heftigen Schubs, so dass sie krachend ins Schloss fiel. Er quetschte sich ein “hallo” heraus und ging geistesabwesend