Winterkönig. N. H. Warmbold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: N. H. Warmbold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742783073
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ihre Schrecken nicht verloren, und daran wird sich auch nichts ändern, weil ich einfach nicht vergessen kann. Nur die Wut ist nicht mehr so übermächtig, und ich kann mich jetzt wehren.“

      „Du hast Reiks Messer“, erinnerte Jula sie.

      Mara lächelte hintergründig. „Auch.“

      „Dann hat dich der König wohl nicht ohne Grund unbjita ’leki genannt, wie erzählt wird? Du bist wirklich … du kannst tatsächlich zaubern?“

      „Nun, ich kann Dinge, die die meisten Menschen nicht können, und ich lerne. Eigentlich ist das nicht ganz das passende Wort, aber ich kenne kein besseres, schon gar nicht auf Manduranisch.“

      „Also ist etwas dran an den Gerüchten, du könntest Gedanken lesen?“

      „Ja, und zwar ohne Hilfsmittel wie Kräuter oder Drogen, so wie Lorana das im Tempel macht. Und ohne die Person, in deren Bewusstsein ich eindringen will, berühren zu müssen. Kein Grund also, Abstand von mir halten.“ Sie kicherte vergnügt.

      „Tut mir leid, aber… es ist nur eine ziemlich beunruhigende Vorstellung. … Jederzeit? Und bei jedem?“

      „Ich nehme es an, ja. Aber ich mache es nicht gern und nur dann, wenn es gute Gründe dafür gibt.“

      „Ich kann mir eine Menge guter Gründe vorstellen.“

      „Die Mehrzahl der Dinge, an die du denkst, kann man auch anders erreichen“, erklärte Mara. „Wenn es zum Beispiel um die Frage geht, ob jemand lügt: Das kann jede gute Priesterin. Die Gefühle der meisten Menschen sind relativ leicht zu erkennen.“

      „Und wenn man jemanden beeinflussen möchte? Einen Menschen dazu bringen will, etwas zu tun, was er gar nicht möchte?“

      „Auch das kann man lernen. Jeder, von dem es heißt, er oder sie könne gut mit Menschen umgehen, macht im Grunde nichts anderes, auch der König oder Lorana, und sicher auch dein Hauptmann.“

      Jula lächelte sie verschmitzt an. „Ganz sicher sogar. Mein Hauptmann ist nämlich Reik.“

      „Wirklich?“ fragte Mara verblüfft. „Sagtest Du nicht, du hättest Dienst in der Kaserne am Westtor? Aber Reik ist …“

      „Reik ist der Hauptmann der Garde des Königs, deren Unterkünfte im Palast liegen“, bestätigte Jula. „Vor dir steht … ich meine, neben dir sitzt ein Mitglied der Garde seiner Majestät höchstpersönlich.“

      „Jula, warum hast du das denn nicht eher gesagt?“ rief Mara. „Das ist großartig! Wenn du wüsstest, wie stolz ich auf dich bin, ich …“ Ihr fehlten die Worte, also strahlte sie ihn einfach nur an und drückte ihm stürmisch einen Kuss auf die Wange. Jula umarmte sie lachend. „Du freust dich? Und du bist stolz auf mich?“

      „Und wie! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ich meine … Die Garde des Königs … das sind die absolut allerbesten. Nun erzähl schon, ich will alles wissen.“

      „Du bist ein Schatz, weißt du das?“, betonte Jula und begann dann mit seiner Geschichte: „Vor elf Tagen erhielt ich den Befehl, am nächsten Morgen zur neunten Stunde im Thronsaal zu erscheinen. Ich war ziemlich nervös, schließlich bin ich nicht jeden Tag im Palast, und ich wusste nicht, was mich erwartet. Außer mir waren noch vierzehn andere Soldaten anwesend, alle wie ich in ihrer besten Uniform und mit poliertem Kettenhemd, darunter vier Männer, die mit im Süden waren. So standen wir also da und warteten, jeder mehr oder weniger nervös, um uns herum einige Soldaten der Garde, die regungslos geradeaus blickten. Und dann kam … Nein, erst öffnete sich hinter uns eine Tür, der Hauptmann betrat den Saal und stellte sich zu den Männern der Garde. Natürlich trug auch er Uniform, Gardeuniform, um genau zu sein. Sein Blick war ernst, unbewegt und kalt. Glaub mir, das kann er wirklich gut. Dann kam der König, umgeben von seiner persönlichen Leibwache“, berichtete Jula weiter.

      „Es war alles sehr förmlich. Seine Majestät hielt eine kurze Ansprache, lobte unser bisheriges Verhalten und unsere Fähigkeiten als Soldaten in den Reihen der Armee Manduras. Und er sei sich sicher, wir würden uns der Ehre, ab heute Mitglieder der Garde zu sein, würdig erweisen. So ging es noch einige Zeit weiter, er sprach von Pflichtbewusstsein und Ehre, und ich wurde das Gefühl nicht los, er meinte mich. Später erzählten mir die anderen, ihnen sei es genauso ergangen. Irgendwann überließ seine Majestät uns dem Hauptmann und ging. Reik trat vor und musterte jeden einzelnen von uns, lange und eindringlich, bis er schließlich lächelte: 'Willkommen in der Garde'. Danach wurde er sofort wieder ernst und teilte uns mit, er erwarte uns in einer Stunde in voller Montur auf dem Gardehof, was mehr als genug Zeit wäre, unsere Habseligkeiten in die Unterkünfte der Garde zu schaffen.“

      Jula lachte. „Und seitdem habe ich eigentlich keine freie Minute mehr. Fast ständig müssen wir üben, vor allem Schwertkampf, zu Fuß und zu Pferde, und waffenlose Verteidigung. Verglichen damit ging es in der Kaserne am Westtor wesentlich ruhiger zu. Heute ist mein erster freier Nachmittag, und Abend.“

      „Wann musst du wieder dort sein?“, erkundigte sich Mara.

      „Nicht vor Sonnenaufgang ...“

      „Das ist fabelhaft, dann haben wir den ganzen Abend für uns!“, jubelte sie, runzelte dann aber nachdenklich die Stirn. „Und Len war nicht unter den anderen Männern? Du sagtest doch, vier von denen wären mit im Süden gewesen.“

      „Wie kommst du auf Len?“, wunderte sich Jula. „Nein. Mara, Len ist Gardist, seit gut zwei Jahren schon.“

      „Aber … Er erzählte mir doch, er sei nicht gerade ein guter Kämpfer.“

      „Das sagt er immer. Aber ist gut, verdammt gut sogar. Nur, dass er sich ständig mit Domallen vergleicht, also dem Hauptmann, und da kann er nur verlieren. Jeder verliert gegen ihn, obwohl die Männer ihn fast jeden Tag im Zweikampf zu schlagen versuchen. Eigentlich geht es nur darum, wie lange man gegen ihn durchhält. Len sagte mir, er könne sich nicht erinnern, wann Domallen das letzte Mal verloren hat.“

      „Bist du auch schon gegen ihn angetreten?“, fragte Mara gespannt.

      „Ja, zweimal. Das erste Mal hat er mich dazu aufgefordert. Na ja, sagen wir lieber, er hat er mir zugenickt. Er ist kein Mann der vielen Worte, und er hat mich so schnell entwaffnet, dass es geradezu peinlich war. Drei Tage später habe ich ihn dann gefordert. Und wieder verloren, nur nicht ganz so schnell. Ich glaube, ich war gar nicht mal schlecht, das fand auch ...“

      „Reik hält viel von deinen Fähigkeiten. Einmal erzählte er mir, du wärst für ihn einer der talentiertesten Kämpfer. Und dass du hervorragend kämpfen kannst.“

      „Das hat er wirklich gesagt?“, freute sich Jula. „Was gibt es da zu grinsen?“

      „Du würdest auch grinsen, wenn du deinen Gesichtsausdruck sehen könntest, während du von Reik sprichst. Du bewunderst ihn, stimmt's?“

      „Ja, sehr, er ist großartig. Ich habe immer davon geträumt, Soldat der Garde zu sein, zu den besten Soldaten von Mandura zu gehören. Und jetzt ist er mein Hauptmann, verstehst du? Es gibt natürlich noch weitere Hauptleute in der Garde, schließlich besteht sie aus zweitausend Mann, und jeder Hauptmann hat zweihundert Männer unter sich. Aber ich gehöre zu den Männern von Reiks Einheit, genau wie Len, und das ist eine wirklich gewaltige Ehre für mich.“

      Plötzlich verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. Jula stand auf, lehnte sich an die Brüstung des Turms und blickte schweigend nach Westen, wo das letzte Licht des Tages den Horizont rötlich färbte.

      Mara zog ihre Jacke über, trat zu ihm und sah ihn aufmerksam an.

      „Mara“, begann Jula schließlich. „Weiß er von … weiß er, was du für mich empfindest?“

      „Er weiß, dass ich dich mag.“

      „Ach ja?“

      „Und ich habe ihm gesagt, er solle nicht erwarten, ich gehöre ihm allein.“

      „Das … das hast du ihm gesagt, nachdem ihr miteinander geschlafen habt?“ fragte Jula