Winterkönig. N. H. Warmbold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: N. H. Warmbold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742783073
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seid Ihr sehr beschäftigt, wie ich hörte, und ich langweile Euch mit belanglosen und unwichtigen Fragen.“

      „Ehrlich gesagt, ja“, rutschte es Mara heraus.

      „Noch Tee?“, bot die Königin ungerührt an.

      „Danke, gern.“

      Die Königin schenkte Tee nach und beobachtete sie dabei lächelnd. Mara wusste nicht recht, wie sie sich verhalten sollte.

      „Mein Sohn hält sehr viel von Euch“, begann die Königin.

      „Ja“, erwiderte Mara schlicht.

      „Aber Ihr werdet verstehen, dass ich mir selbst ein Urteil bilden möchte?“

      „Selbstverständlich“, bestätigte Mara ein wenig zu hastig.

      „Dürfte ich Euch dann eine …“, sie zögerte, „persönliche Frage stellen?“

      Mara nickte vorsichtig und zugleich alarmiert.

      „Würdet Ihr mir ein wenig von Eurer Mutter erzählen?“, bat die Königin.

      „Meine Mutter ist tot“, platzte Mara heraus, biss sich aber nicht auf die Lippen. „Schon … sehr lange. Meine Mutter … Prisca starb, als ich gerade einmal fünf Jahre alt war. Was genau möchtet Ihr denn hören, Königliche Hoheit?“

      Die Königin, eine ausgesprochen elegante und schöne Frau, hob mit einer unsicheren Geste die Hand und lächelte entschuldigen. „So genau weiß ich das gar nicht. … Sagt mir einfach, an was Ihr denkt, wenn Ihr Euch an Eure Mutter erinnert? Bestimmte Ereignisse vielleicht, oder Episoden?“

      „An was ich mich erinnere … Oh, natürlich: An ihr langes Haar.“ Jetzt lächelte Mara. „Fast ein bisschen wie Euer Haar … nur nicht so hell. Meist trug sie es geflochten. Bis auf die Gelegenheiten, bei denen sie mit mir in den Wald ging, auf lange Wanderungen, um Kräuter oder Beeren zu sammeln. Dann trug sie ihr Haar offen, so dass es in langen Wellen über ihre Schultern floss … Ich weiß nicht, ob ihr selbst das gefiel oder ob sie mir damit einen Gefallen tun wollte. Manchmal durfte ich ihr Haar flechten, zu lauter kleinen, dünnen Zöpfen. Sie war der Meinung, dass ein Mädchen so etwas können muss.“

      Abwesend nippte Mara an ihrer Teetasse. „Einmal erzählte sie mir vom Meer, von dessen Endlosigkeit und Weite. Und vom Horizont. Aber da es den im Wald nicht gab, ist sie mit mir auf den alten Turm gestiegen. Von dort haben wir über den Wald geschaut. Doch meine Mutter schien enttäuscht und meinte, es wäre nicht das gleiche.“

      „Man kann den Wald eben nicht mit dem Meer vergleichen“, wandte die Königin ein.

      „Dann kennt Ihr das Meer?“

      Die Königin lachte. „Ich war schon mehrfach an der Küste, ja. Doch man muss nicht am Meer sein, um eine Vorstellung vom Horizont zu bekommen. Das geht auch auf den Ebenen.“

      „Stimmt“, bestätigte Mara. „Und Ihr stammt von den Ebenen?“

      „Richtig.“ Freundlich blickte die Königin sie an und fuhr mit weicher Stimme fort. „Mein Sohn erzählte mir, dass Ihr von Zeit zu Zeit Dinge sagt oder tut, die auf den ersten Blick ein wenig … seltsam erscheinen.“

      Mara wurde vor Verlegenheit rot. „Zum Beispiel, mich von einer Königin bedienen lassen. Es tut mir schrecklich Leid, Eure Hoheit, ich … bin so schrecklich naiv in diesen Dingen, ich weiß einfach nicht …“

      „Nein, Mara, Ihr müsst Euch nicht entschuldigen. Ich bin es, die für Euer Vertrauen zu danken hat. Ich gebe zu, ich war neugierig und Euch gegenüber auch ein bisschen gemein. Mir hat man von klein auf beigebracht, wie ich mich in Gegenwart von hochgestellten, wichtigen Personen zu verhalten habe. Allerdings …“ Die Königin schwieg, scheinbar in die Betrachtung des Gartens versunken.

      „Wisst Ihr denn nun, warum Ihr hier seid?“, fragte sie schließlich.

      „Lorana sagt, sie brauche mich, der Tempel brauche mich.“

      „Sie hat gesagt, dass sie Euch braucht?“, wunderte sich die Königin. „Ich gebe zu, dass mich das überrascht.“

      Fast hätte Mara die Achseln gezuckt. „Ja. Weil es Krieg geben wird in Mandura und die Aussichten nicht gut stehen.“

      „Ich verstehe. Aber sie hat nicht gesagt, wozu oder warum genau sie eine Zauberin braucht?“

      „Nein, das nicht“, gab Mara zu. „Ich wüsste auch nicht, was ich daran ändern könnte.“

      „Seid Ihr wirklich davon überzeugt, dass es Krieg geben wird, Mara?“, wollte die Königin wissen.

      „Nun, Lorana ist nicht die einzige, die sagt, dass es Krieg geben wird“, antwortete sie vorsichtig. „Ich habe es … gesehen, in einem Traum.“

      „Und?“

      „Ja, ich bin sicher, dass es Krieg geben wird. Krieg in Mandura. Aber ich würde nicht so weit gehen, aus den Details meines Traumes oder dem einer anderen Person auf die tatsächlichen Einzelheiten künftiger Ereignisse zu schließen“, stellte sie klar.

      „Und doch seid Ihr von einigen Dingen, die Ihr geträumt oder meinetwegen gesehen habt, absolut überzeugt, von Dingen, die Ihr gar nicht wissen könnt?“, drängte die Königin.

      Mara verbarg ihr Lächeln. „Mir scheint, Euer Sohn hat einiges über mich erzählt. Ja.“

      „Mara, die Geschichte von den Dunklen Höhen kennt die ganze Stadt, und ich rede nicht nur davon.“

      „Nicht?“

      „Nein. Im Übrigen hat er nicht viel über Euch erzählt, nichts, was nicht jeder andere auch hätte sagen können, der dabei war. Mein Sohn spricht schon lange nicht mehr mit mir über das, was ihn bewegt.“ Sie klang resigniert.

      „Warum nicht?“, fragte Mara nach.

      „Warum nicht?“ Überrascht schaute die Königin auf und lachte dann, wenn auch etwas gezwungen. „Das ist zwangsläufig, irgendwann kommt der Tag, an dem eine Mutter nicht mehr die Vertraute ihres Sohnes ist. Den Platz nimmt dann eine andere Frau ein, und die Mutter kann nur hoffen, dass es die richtige Frau ist.“

      Musste die Königin sie bei diesen Worten so durchdringend mustern? Mara erwiderte ruhig ihren Blick und unterdrückte im letzten Moment den Impuls, sich auf die Lippen zu beißen.

      Wieder lachte die Königin. „Lorana kann wirklich stolz auf ihre Schülerin sein. Als Ihr hier in Samala Elis ankamt, hattet Ihr Eure Gefühle noch nicht so unter Kontrolle. Seid Ihr immer so beherrscht?“

      „Ganz bestimmt nicht, mitunter bin ich sogar ziemlich unbeherrscht“, gestand Mara. „Sonst wäre ich vorhin wohl kaum rot geworden.“

      „Oh, die eine oder andere Unvollkommenheit hat durchaus ihren Reiz, glaubt mir …“ Die Königin blickte zum Himmel, an dem erneut Wolken aufgezogen waren, und legte die Stirn in Falten. „Wir sollten hineingehen, Mara, es wird … zu spät, es regnet schon. Kommt, Ihr werdet ja ganz nass!“

      Mara musste lachen, als die Königin sie so eilig hinter sich her ins Gebäude zog. Sie wirkte auf einmal jung, gar nicht mehr zurückhaltend königlich. Dafür aber umso liebenswerter.

      Die Königin führte sie durch leere, düstere Räume und schließlich in ein hohes, elegant eingerichtetes Zimmer, das von einigen ölgefüllten Lampen nur sparsam erleuchtet war. An einem großen Fenster linker Hand, die Füße auf einem Schemel, eine Stickarbeit auf dem Schoß, saß Ondra und blickte Mara erfreut lächelnd entgegen. „Mara, welch schöne Überraschung! Du entschuldigst hoffentlich, dass ich sitzen bleibe. Aber ich fühle mich in den letzten Tagen ziemlich müde, um nicht zu sagen kraftlos.“

      „Du musst meinetwegen doch nicht aufstehen.“ Besorgt ließ sich Mara neben Ondras Sessel nieder, griff nach ihren Händen. „Geht es dir sehr schlecht?“

      „Eigentlich nicht, es ist nur … Es wird langsam Zeit, ich weiß nicht einmal mehr, wie ich sitzen soll, oder