Winterkönig. N. H. Warmbold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: N. H. Warmbold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742783073
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sie sich nie derart zerschlagen, wie Sina es ihr am Anfang prophezeit hatte, und sie musste auch nicht auf Händen und Knien in das Badehaus kriechen.

      Vielleicht hatte die lange Reise Mara abgehärtet, ihren Körper gestärkt, vor allem der Weg von Ogarcha nach Dalgena. Und vielleicht hatte es doch einen verborgenen Sinn gehabt, Tag für Tag, gleich bei welchem Wetter, reitend im Sattel zu verbringen, nur unterbrochen von der Kletterpartie hinauf zum Südpass, und den Nächten auf dem harten Boden, in denen sie kaum Schlaf gefunden hatte?

      Vor ihrer allerersten Stunde war Mara furchtbar aufgeregt, ein Zustand, der sich auch nicht besserte, als Sina ihr zeigte, wie sie Hemd und Hose anzuziehen hatte. Sina staunte nicht schlecht, als Mara ihr erklärte, noch nie in ihrem ganzen Leben eine Hose getragen zu haben. Sie kam sich lächerlich vor und fühlte sich gänzlich fehl am Platz.

      Nach dem Abschnitt, den Milla als Kraft- und Beweglichkeitstraining bezeichnet hatte und der von Sina geleitetet wurde, stieß Malin zu der Gruppe. Nachdenklich betrachtete sie Maras vor Aufregung zitternde Hände, sagte aber nichts weiter, sondern umwickelte ihre Handgelenke mit Stoffbinden und einer Art Ledermanschette. Mara würde sonst, wie sie sagte, Probleme mit den Gelenken bekommen. Dann drückte Malin ihr wortlos ein Übungsschwert aus Holz in die rechte Hand und ließ sie allein. Mara stand da und wagte nicht sich zu rühren. Stattdessen wartete sie darauf, dass etwas passieren, ein Blitz vom Himmel hernieder fahren und sie erschlagen, die Erde sich unter ihren Füßen auftun und sie verschlingen würde. Natürlich war das Unsinn, das wusste Mara genau. Aber das unsichere Gefühl hielt den ganzen Unterricht lang an, auch noch nachdem sie fast eine Ewigkeit mit Milla grundlegende Techniken geübt und sich dabei äußerst ungeschickt angestellt hatte.

      Am Ende des Unterrichts saß Mara müde mit angezogenen Knien auf dem Boden, das Holzschwert noch immer in der Hand, und starrte trübsinnig vor sich hin. Die anderen Frauen waren längst im Badehaus, doch sie musste einen Moment für sich sein und sich über ihre Gefühle klar werden.

      „Alles in Ordnung, Mädchen?“

      Malin setzte sich zu ihr, den Rücken an die Wand gelehnt, und Mara nickte resigniert. „Wenn Ihr wüsstet, wie dumm ich mir vorkomme!“

      „Nur weil nichts von dem eingetreten ist, was du die ganze Zeit über erwartet hast? Kein Donnerschlag, kein klaffendes Loch in der Erde, kein Erdbeben, keine Flutwelle?“

      Mara wurde rot und senkte verlegen den Kopf. „Auf Ogarcha drohten weniger drastische Strafen, wenn eine Frau eine Waffe berührte. Woher wisst Ihr überhaupt, dass ich …“

      „Du meinst, abgesehen von den zitternden Händen, dem gehetzten, misstrauischen Blick und den fahrigen Bewegungen? Das ging mir am Anfang nicht anders“, erklärte Malin. „Kein Grund, sich zu schämen.“

      „Wirklich? Aber … Ihr seid die Hauptfrau der Tempelwache.“

      „Heute, ja. Ich stamme aus dem Kitainagebirge, dort hat man wohl ebenso merkwürdige Vorstellungen davon, was Frauen und Waffen, speziell Schwerter, angeht, wie im Süden. Übrigens: Warum hast du nicht die Hand gewechselt?“, wollte Malin wissen.

      „Was meinst Ihr damit?“

      „Du bist Linkshänderin, warum hast du nicht einfach das Schwert in die andere Hand genommen?“

      „Weil … ich weiß es nicht“, stotterte Mara. „Ich dachte, ich müsste mit rechts …“

      „Führe das Schwert erst mal mit der Hand, mit der du auch alles andere tust, Mädchen. Später kannst du es immer noch mit rechts probieren, meinst du nicht auch?“

      „Ja?“

      „Ja, und jetzt schau nicht so unzufrieden drein. Es ist noch niemand nach der ersten Unterrichtsstunde zum Schwertmeister geworden. Hoch mit dir!“ Malin half Mara auf die Beine, nahm ihr das Übungsschwert ab und schickte sie ins Badehaus, wo Mara sich genüsslich in das heiße Wasser sinken ließ.

      Sina bestand darauf, ihr den verspannten Rücken zu massieren, ebenso Arme und Beine. Sie meinte, andernfalls könne sie sich morgen überhaupt nicht mehr bewegen. Es klang wie ein Vorwand, aber Mara stimmte dennoch zu. Fast augenblicklich schlief ein, womit Sina sie noch tagelang aufzog und neckte.

      Sina gab Mara mehr als deutlich zu verstehen, was sie von ihr wollte, dass sie sie begehrte, drängte sie aber nicht. Sie berührte Mara auch nicht übermäßig oft, legte vielleicht von Zeit zu Zeit einmal den Arm um ihre Schultern oder ihre Hüften, zerzauste ihr das Haar. Doch das war unter den Frauen im Tempelbezirk kein ungewöhnliches Verhalten.

      Milla war Mara gegenüber mit Zärtlichkeiten wesentlich freigiebiger – und umgekehrt. Fast ständig gingen sie Arm in Arm, umarmten und küssten sich bei jeder erstbesten Gelegenheit.

      Allerdings frage Mara Milla nie, ob sie die Nacht bei ihr verbringen wollte. Sie wollte Milla nicht in die Verlegenheit bringen, abzulehnen. Ein seltener Anflug von Feingefühl, denn meist ging sie nicht so schonend mit anderen um.

      * * *

      „Hauptmann Kev …“ Verwundert begrüßte Reik den Mann, Remasseys Stellvertreter bei den Grenztruppen, in seinem Arbeitszimmer. „Was führt Euch nach Samala Elis?“

      „Immer der gleiche Ärger, würde ich sagen …“ Hauptmann Kev verneigte sich respektvoll. „Danke, dass Ihr mich so schnell empfangt.“

      „Nichts zu danken. Nehmt Platz“, gebot er dem erfahrenen Soldaten, der während Reiks Zeit bei den Grenztruppen für einige Monate auch sein Hauptmann gewesen war. „Ist es das, was ich befürchte: schon wieder ein Überfall?“

      „Bereits der vierte dieses Frühjahr.“ Kev ließ sich grummelnd in einen Sessel fallen. „Diese feigen Hunde … terrorisieren die Leute, setzen Ställe und Scheunen in Brand, während die Menschen auf dem Feld arbeiten. Vor sechs Tagen kamen sie allerdings nachts.“

      Auf einer Karte zeigte der Hauptmann ihm die Lage des Ortes, dessen Name Reik vertraut vorkam.

      „Zwei Dorfbewohner, ein Familienvater und ein junges Mädchen, kamen ums Leben. Etliche andere wurden verletzt, entweder bei den Löschversuchen oder im Kampf gegen die Angreifer. Keine Uniformen und ganz sicher keine Soldaten, meinten die Dorfleute.“

      „Ihr wart selbst da?“, erkundigte sich Reik.

      „Ja, doch ich kam zu spät“, bestätigte Kev verbittert.

      „Ihr könnt nicht überall sein“, gab Reik zu bedenken, auch wenn das ein schwacher Trost war.

      „Ich weiß. Und Remassey weiß das ebenfalls. Er erwägt, Euer Einverständnis und das seiner Majestät vorausgesetzt, die Grenztruppen zu verstärken.“

      Reik nickte nachdenklich, fuhr sich über das Kinn. „Soll er nur, ich würde die Grenztruppen selbst gern so schnell wie möglich vergrößern, und zwar deutlich.“

      „Ist das Euer Ernst, Hoheit?“, fragte Kev überrascht.

      „Ja. Erst neulich sprach ich mit Berit darüber. Aber die Ausbildung fähiger Soldaten dauert nun einmal seine Zeit … und der Thronrat möchte gewiss ein Wörtchen mitreden, Einwände vorbringen …“ Er zuckte die Achseln. „Drei Einheiten kann ich jederzeit ohne Rücksprache bewilligen. Aber sagt Berit, dass mir das nicht genügt! Zum Herbst will ich die Stärke der Grenztruppen verdoppelt haben.“

      „Aber…“, wollte Kev einwenden.

      „Aber da Euch das hier und jetzt nicht weiter hilft, werde ich zwei Garde-Einheiten zur Unterstützung nach Kirjat entsenden. Erst einmal für zwei, drei Monate.“ Ihn war nicht nach scherzen zu Mute. „Das hilft Euch und bringt den Gardisten ein paar praktische Erfahrungen mehr. Vielleicht komme ich selbst vorbei.“

      Noch waren die hohen Lehnstühle um den großen Tisch herum unbesetzt, brannte kein Feuer im Kamin. Die Luft im Sitzungsraum würde sich rasch erwärmen, wenn erst alle Hauptleute der Garde versammelt waren. Der lange Raum hatte etwas Düsteres, Höhlenartiges, trotz der beiden Fenster, von denen aus man auf den frühlingsgrünen