Lisanne. Julia Beylouny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julia Beylouny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847619697
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      Dad, der für gewöhnlich gerne herumbastelte, hatte vor einiger Zeit ein optisches Signal an der Wand im Stall angebracht, das zu blinken begann, wenn im Haus das Telefon schellte. Lisanne griff instinktiv nach ihrem Handtuch, stieg aus der Wanne und schlang sich ins Frottee. Logan würde jeden Moment aus dem Stall kommen, um das Gespräch entgegenzunehmen. Sie tapste aus dem Bad in den Flur und hörte, wie unten jemand sprach. Er war schneller, als sie erwartet hatte.

      „Ich habe keine Ahnung, Mister O’Nare ... Ja, das kann durchaus sein ...“

      Es war Dad. Dad war am Telefon und sie hätte zu gern mit ihm gesprochen! Wie dumm, dass Logan ihr zuvorgekommen war. Sie wischte sich die Wassertropfen aus dem Gesicht und lauschte.

      „Soll ich sie rufen?“

      Oh, mein Gott! Bloß nicht! In ihrem Aufzug würde sie Logan kein zweites Mal unter die Augen treten. Aber ... er rief nicht nach ihr. Dann hatte Dad ihr nichts zu sagen.

      „Ah, verstehe ... Ja, Becky hat großes Potenzial ... Bei der letzten Prüfung waren es zehntausendfünfhundert Kilogramm ...“

      Lisanne ließ die Schultern sinken. Kühe. Es ging mal wieder um Kühe. Die guten Holstein Rinder und ihre ausbeuterische Milchleistung. Zehntausendfünfhundert Kilo! Man stelle sich nur mal eine Frau vor, die jährlich so viel Milch für ihr Baby bereithalten sollte ...

      Sie schlurfte zurück ins Bad, ließ das Wasser ab und schlüpfte in ihre Kleider. Der Regen hatte nachgelassen, die untergehende Sonne blinzelte am Horizont durch die aufreißende Wolkendecke. Vielleicht sollte sie noch einen kurzen Ritt mit Alfie unternehmen. Der arme Kerl musste sich furchtbar vernachlässigt fühlen, seit Shannon fort war. Für eine Sekunde versuchte sie, sich an das letzte Telefonat mit ihrer Schwester zu erinnern. Das musste Ende vergangener Woche in London gewesen sein. Shannon hatte sie ausdrücklich darum gebeten, sich um Alf zu kümmern ...

      Logan hatte das Telefongespräch beendet, im Kuhstall war Ruhe eingekehrt und Lisanne hatte sich etwas zu essen gemacht, bevor sie raus zu den Pferden ging. Sie hatte beschlossen, dass es besser war, ihrem Arbeiter nicht mehr über den Weg zu laufen. Sicher saß er längst im Cottage oder schraubte an seinem Boiler herum. Vielleicht nahm er eine Dusche, während sie ausritt. Wie auch immer, es interessierte sie nicht.

      Als sie den Pferdestall erreichte, die leicht geöffnete Tür sah, blieb sie wie angewurzelt stehen. Jemand war dort drinnen. Leises Raunen drang an ihre Ohren. Sie erkannte die Stimme. Mit wem, um alles in der Welt, redete Logan?

      Sie schlich näher an die Tür heran, sodass sie durch den schmalen Spalt spähen und sich einen Überblick darüber verschaffen konnte, was dort drinnen vor sich ging.

      Für eine Sekunde nahm sie Logan in Augenschein. Schon immer hatte sie ihn genauer anschauen wollen, jedoch nie einen unbemerkten Moment wie jenen ergattert. Sie ließ ihre Blicke über seine Silhouette schweifen. Eine Schande, dass er so schön war. Das enge, dunkelblaue Shirt verriet seine breiten Schultern und die darunterliegenden Muskeln. Die harte körperliche Arbeit war ihm anzusehen. Seine Haut war braungebrannt, wie es bei Menschen, die die meiste Zeit an der freien Luft arbeiteten, der Fall war. Sein Alter ließ sich schwer schätzen. Vielleicht Mitte, oder eher Ende zwanzig. Sie war nicht mal sicher, ob er Engländer war. Sein Akzent war ein verwaschener Mix aus verschiedenen Dialekten. Und seine Augen ... Das Thema hatte sie schon. Sie sollte keinen gezielten Blick in seine Augen riskieren, wenn sie ein Unbehagen in ihrem Bauch vermeiden wollte.

      Die dunkelbraunen Haare fielen ihm hin und wieder in die Stirn, während er vor den Boxen stand und mit den Pferden sprach. Finlay und Alfie, die für gewöhnlich unglaublich neugierig waren, waren so auf ihn fixiert, dass sie Lisanne in der Tür nicht bemerkten. Etwas an Logans Stimme war anders. So anders, dass es eine Gänsehaut über ihren Rücken jagte. Sie hatte ihn mit Dad und ihr selbst reden hören. Er klang kühl, vielleicht arrogant, monoton und emotionslos, wenn er mit Menschen sprach. Aber ... mit den Pferden verhielt er sich komplett anders. Als wäre er nicht mehr Logan, sondern ... George. Drews George. Oder irgendein anderer jener Charaktere von Mason, die Lisanne über die Maßen liebte.

      Gott, das machte es nicht einfacher, ihn zu ignorieren. Aber – sie war kein Pferd. Sobald er sie entdeckt hätte, würde er wieder in den eisigen, desinteressierten Logan verfallen, der nichts und niemanden wertschätzte. Doch bis dahin ... Bis sie sich zu erkennen geben würde, hatte sie vor, seiner warmherzigen, tiefen, melodischen Stimme zu lauschen. Und dem, was er den Pferden zu sagen hatte.

      „Wie würde es euch gefallen, wenn ich euch morgen auf die Koppel jage?“, fragte er und kraulte ihre Mähnen. „Es wird Zeit, dass ihr mal hier raus kommt und frische Luft schnuppert. Ihr wollt in die Ferne schauen, hm? Über die Wiesen und Äcker bis runter zum Sumpf. Und saftiges Gras kauen.“

      Fin und Alf wieherten leise, als würden sie ihm Antwort geben. Und dann geschah es: Logan lächelte. Wer hätte gedacht, dass der Kerl wusste, wozu Mundwinkel in der Lage waren? Lisanne hielt sich am Türrahmen fest, um nicht in den weichen Knien einzuknicken.

      „So machen wir es, Alfie“, flüsterte er. „Und dann bestelle ich euer Frauchen ein, damit sie den Stall ausmistet. Bei all den Büchern kann einem ja ganz schlecht werden. Wir kriegen das studierte Volk schon an die Arbeit, hab ich recht?“

      Sie machte ein paar Schritte zurück. Das genügte! Es war an der Zeit, die traute Dreisamkeit zu beenden. Sie wollte unter keinen Umständen mit anhören, was er ihnen über sie erzählte. Als sie wieder vorwärts lief, bemühte sie sich, den Kies unter ihren Füßen besonders laut knirschen zu lassen. Sie räusperte sich und tat, als würde sie erst in dem Moment kommen.

      „Hey, ihr beiden!“, rief sie unbefangen, öffnete die Tür und gab sich höchst überrascht, Logan im Pferdestall anzutreffen. Das studierte Volk beherrscht die Schauspielkunst!, lachte sie in sich hinein.

      „Oh, hi, Logan“, stammelte sie, senkte den Blick. Augenausweichmanöver. „Ich ... wollte ... Alfie muss bewegt werden. Finlay war gestern dran und da dachte ich ...“

      Er schaute sich nicht um, trat einen Schritt von den Boxen zurück und versteinerte.

      „Die Pferde werden täglich bewegt“, sagte er im Logan-Originalton; kühl und emotionslos. „Ich reite mit beiden aus. Jeden Morgen. Vor dem Melken. Guten Abend, Lisanne.“

      Er ging mit schnellen Schritten an ihr vorbei. Sie schloss die Augen, nahm den kühlen Luftzug seiner Bewegung in sich auf. Die fehlende Wärme in seiner Stimme tat weh. Wie eine Strafe, die über ein ungezogenes Kind verhängt wurde.

      Nachdem er den Stall verlassen hatte, eilte sie zu Fin und Alf, schaute sie böse an. „So, er reitet also täglich mit euch aus und ihr sagt mir nichts davon? Was habt ihr euch dabei gedacht? Schaut mich nicht so unschuldig an. Ich bin sauer auf euch!“

       Sie machte auf dem Absatz kehrt, lief in ihr Zimmer, schlüpfte in den Pyjama und verkroch sich mit dem Ledereinband von Mrs. Dunnighan im Bett. Sie war nicht sauer auf die Pferde. Sie wäre zu gern ausgeritten. Aber sie war sauer auf Logan. Er hatte kein Recht dazu, ungefragt mit ihrem Pferd auszureiten! Fin gehörte ihr. Und sie wollte gefragt werden, wenn er mit ihm ausritt.

      „Das ist nicht fair, Chain“, flüsterte sie dem unbekannten Helden des unfertigen Manuskripts zu. „Findest du, dass es fair ist, wenn er so mit den Tieren spricht?“

      Der Geruch von gebratenem Fisch weht über den gesamten Strand. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich den Fisch gefangen und zubereitet habe. Ich bin nicht gerade das, was man einen geübten Angler nennen würde. Aber bevor ich verhungere, muss ich mich in Geduld üben. Mittlerweile knurrt mein Magen so laut, dass der Fisch freiwillig gart, um meinem Elend ein Ende zu bereiten. Ich sitze im Sand und lächle zufrieden, als ich das zarte Fleisch von den Gräten trenne. Ich habe nicht mal eine Prise Salz zur Hand.

      Robinson Crusoe. Chain ist wie Robinson Crusoe, dachte Lisanne, während sie Logan vergaß.

      Die Wellen rollen auf den Strand. Kleine weiße Schaumkronen tanzen vergnügt auf ihren Spitzen und lassen sich wohlgefällig in den Sand fallen. Möwen hocken einbeinig in den Dünen, dösen in der Mittagssonne