Lisanne. Julia Beylouny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julia Beylouny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847619697
Скачать книгу
oder ihn um etwas bitten. Logan machte einen Schritt zurück, schüttelte den Kopf und raufte sich die Haare. Dad redete auf ihn ein, stemmte die Hände in die Seiten, deutete zum Kuhstall, dann auf Logan. Hatte der Kerl während der Abwesenheit ihrer Eltern Mist gebaut?

      War etwas kaputt gegangen oder eins von den Tieren erkrankt? Vielleicht hatte Daisy verkalbt. Gut, so was kam vor. Vielleicht hatte Logan keinen Tierarzt eingeschaltet. Lisanne wusste es nicht. Dad nahm den Sonnenhut vom Kopf, drehte ihn in Händen, was er immer tat, wenn er ratlos war, und setzte ihn wieder auf. Logan wühlte mit dem Fuß im Matsch, kickte vor einen Kiesel und wich Dad aus. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, wirkte wie ein trotziger Junge in der Pubertät. Dann zeigte er auf den Stall, schien sich für irgendwas zu rechtfertigen und schüttelte erneut den Kopf.

      „Lissi, Liebes, willst du nicht aufstehen? Es ist gleich halb neun“, rief Ma von unten herauf.

      Sie wandte sich vom Fenster ab und bemerkte ein merkwürdiges Gefühl im Magen. Keinen Hunger, nein. Eher so was wie ... wie den Wunsch, Dad und Logan weiter zu beobachten. Vor allem ... Logan. Sie schlüpfte kopfüber aus dem Nachthemd, schüttelte ihr Bett auf und faltete das Hemd zusammen, bevor sie es unter das Kissen schob.

      „Bin sofort unten“, antwortete sie ihrer Mutter, ging zum Kleiderschrank, nahm sich ein leichtes Sommerkleid heraus. Es war alltagstauglich und bequem. Während sie sich anzog und ihre Haare bürstete, dachte sie über den Arbeiter nach. Irgendwas an ihm hatte anders ausgesehen. Irgendwas in seinen Gesichtszügen. War er panisch? Verzweifelt? Als würde Dad ihn mit etwas konfrontieren, das ihn in die Enge trieb, ihm keine Wahl ließ. Sie warf einen letzten Blick aus dem Fenster. Die Männer waren verschwunden.

      Kapitel sieben

      Sie hatte ihr Fahrrad in den Ständer geschoben und den Korb vom Gepäckträger genommen. Gleich nach dem Frühstück hatte Ma sie runter nach Little Bree Isle geschickt, um ein paar Besorgungen für Breda zu erledigen. Die gutmütige alte Frau hatte sich eine Grippe eingefangen und konnte kaum das Bett verlassen. Lisanne blieb stehen, als ihr Blick über die Straße ging und an dem kleinen Reisebüro hängen blieb, in dem Jill arbeitete. Sie lächelte und konnte nicht anders, als sich eine Minute zu nehmen, um sie zu besuchen.

      An dem Morgen war in den Gassen noch nicht allzu viel Betrieb. Ein paar Schwedisch sprechende Touristen standen vor dem Blumenladen und besahen sich die hübschen Dekoartikel im Schaufenster.

      „Guten Morgen, Jill“, rief Lisanne, als sie das Reisecenter betrat. „Bist du auch schön fleißig?“

      „Heyho, du faule Studentin! Wie macht sich euer grimmiges Pflänzchen auf Wildflowers Hill?“

      Lisanne rollte die Augen und winkte die Anspielung auf Logan ab. Ihre Freundin stand an der Fototapete, befüllte ein kleines Regal mit Werbeprospekten.

      „Mach dir keine Hoffnung, Miss Davis. Meine Eltern sind zurück. Ich bin nicht länger allein mit dem schmutzigen, nach Kuhmist stinkenden Mann. Sie haben mich gerettet.“

      Jill drehte sich um, legte den frechen blonden Lockenschopf schräg und zog eine Flappe.

      „Oh, nein! Das ist ja entsetzlich hoffnungslos!“

      „Hab ich dir doch gleich gesagt.“

      „Pass auf, ich komme später rum und schaue ihn mir mal genauer an.“

      „Du spinnst, das lässt du schön bleiben!“

      „Und du? Solltest du nicht in irgendeinem Buch stecken? Zumindest mit der Nasenspitze?“

      Sie lachte, erinnerte sie sich an den Traum von vergangener Nacht und dachte an Chain. Wieso gab es Männer wie ihn nicht im wahren Leben?

      „Während ich darauf warte, dass Luke Mason endlich ein neues Buch herausbringt, lese ich das, was Mrs. Dunnighan mir geschenkt hat. Es ist ... einfach nur schön! Zum Träumen schön, um genau zu sein.“

      Jemand betrat das Reisebüro. Jill deutete auf den Mann und senkte die Stimme: „Entschuldige mich, Kundschaft. Ich komme nach der Arbeit mal vorbei. Wenn du kein Interesse an diesem Logan hast, ich schon. Nach allem, was du mir über ihn erzählt hast, bin ich richtig neugierig geworden.“

      Lisanne warf einen Blick auf die Liste, die Ma ihr gegeben hatte. Der Korb war beinahe voll. Eine Dose Ravioli und ein Kilo Mehl fehlten noch. Bryces Laden war überschaubar, die Regale bestens sortiert. Der alte Mann saß meistens an der Kasse, blätterte in einer Zeitschrift, schob das Kinn vor oder grummelte, bei dem, was er las, wunderlich vor sich hin. Früher hatten Lisanne und Shannon sich hinter den Regalen versteckt und sich Geschichten über ihn ausgedacht. Er hatte schon damals wie Albert Einstein ausgesehen. Seitdem war er kaum gealtert. Er führte oft Selbstgespräche, und manchmal kam es vor, dass er seine Zähne herausnahm und das Gebiss neben die Kasse legte. Eine abstoßende Angewohnheit.

      Lisanne griff gedankenverloren nach einer Dose Teigtaschen. Sie hatte sie gerade in ihren Korb gelegt, als ein Raunen aus den Nudelreihen drang: „Spürst du es schon?“

      Sie erschrak, hätte den Korb mitsamt des Inhalts beinahe fallenlassen. Wer hatte das gesagt? Sie war allein in dem Gang. Nur die dezente, zum Einkauf animierende Werbemusik dudelte aus den Lautsprecherboxen.

      „Sag schon! Spürst du es?“, krächzte es erneut.

      Vorsichtig lugte sie auf den Gang hinter dem Regal. Tatsächlich, dort stand eine alte Frau, die sie mit großen, braunen Augen anschaute.

      „Mrs. Dunnighan! Was schleichen Sie denn hinter den Nudeln herum?“ Lisanne lachte und reichte ihr die Hand. „Geht es Ihnen gut?“

      „Jaja doch! Raus mit der Sprache: Spürst du schon was, junge Dame?“

      Sie kratzte sich am Kopf und hatte keine Ahnung, was die Alte von ihr wollte. Mrs. Dunnighan wartete ungeduldig, mit funkelnden Augen auf Antwort.

      „Was ... genau sollte ich denn spüren, wenn ich fragen darf?“

      „Hach, du hast aber eine lange Leitung, Liebes ... Ich meine natürlich das Buch. Wie gefällt es dir, was hältst du von Chain?“

      Die Alte flüsterte, als wäre es verboten, laut über das Manuskript zu sprechen.

      „Chain?“

      „Ja, Chain. Der Herzensbrecher in der Einsamkeit.“

      Lisanne schluckte, spürte die Hitze auf ihren Wangen. Sie wich Mrs. Dunnighans Blicken aus. Sollte sie ihr von den Träumen erzählen? Nein. Das wäre kindisch.

      „Naja, er ist okay. Ich meine, irre, was er da tut, nicht wahr? Wer lebt schon freiwillig ...“

      „Okay?“, rief Mrs. Dunnighan und schaute enttäuscht. „Weiter nichts? Du findest ihn bloß okay?“

      „Was wollen Sie von mir hören? Haben Sie das Buch gelesen? Wie hat Chain Ihnen gefallen?“

      Mrs. Dunnighan seufzte. Sie starrte auf ihre Hände, befühlte die hauchdünne, papyrusartige Haut. Dabei inspizierte sie die Altersflecken, als hätte sie sie in dem Moment zum ersten Mal entdeckt.

      „Ich habe ihn geliebt“, flüsterte sie. Ihre Worte hauchten eine Gänsehaut über Lisannes Rücken. „Aber ich bin alt, Kindchen. Meine Liebe war stark, aber mein Alter hat sie so sehr geschwächt, dass sie Chain nie erreicht hat. Was soll ich sagen? So ist das Leben.“

      „Sie ... haben ...?“

      „Ich wünsche dir einen schönen Tag! Nett, dass wir mal wieder geplaudert haben.“ Mrs. Dunnighan setzte ein strahlendes Gesicht auf, das keine Spur von dem Schmerz enthielt, der in ihren Worten gelegen hatte. Sie drehte sich auf dem Absatz um, stöberte durch die Regale und verschwand, als wäre nichts ungewöhnliches passiert. Lisanne blieb verstört zurück.

      Sie befestigte den Korb auf dem Gepäckträger, schob das Rad über das Kopfsteinpflaster.

      Der Spätvormittag trieb die Touristen