»Hallo Bruno!«, begrüßte John ihn grinsend.
Eine Blumenelfe auf Brunos Rücken schimpfte: »Und ich? Wer sagt zu mir Hallo?«
»Oh, verehrte Lavanda, sei gegrüßt!« Nijano verbeugte sich formvollendet. »Auf dem dicken Käferkerl hab ich dich wunderschönes Wesen übersehen!«
Gutmütig lachte Bruno. »Je dickrunder ein Käfer, umso bessergut es ist! So heißtsagen wir in unserer Familie immerständig!« Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, entdeckte er den prall gefüllten Korb mit Mangos. Dem Käfer lief das Wasser im Munde zusammen, und er begann geräuschvoll zu schmatzen.
Die kleine Elfe strich ihr lilafarbenes Blütenkleid glatt, runzelte dabei ungehalten die Stirn. »Bruno, schmatz doch nicht so laut!«
John hatte eine Idee. Er legte das Wildschwein nieder, griff eine Mango aus Nijanos Korb und warf diese dem Käfer zu, der sie unerwartet wendig mit dem Maul auffing. Sabbernd schluckte er sie hinunter. Danach schüttelte er sich, sodass jede Menge Speichelfäden durch die Luft flogen. Die Jungen wichen geschickt aus, doch ein Sabberfetzen landete auf Lavandas Haaren.
»Bäh! Ist ja ekelhaft! Bruno, du ungehobelter Klotz!« Sie wischte den Glibber aus ihrem Haar.
»Oh, entschukkeling! Das war keine Planabsicht!« Er schämte sich. Unglücklich versuchte er mit einem Vorderbein sein Maul zu säubern.
John grinste, während er mit dem Dolch eine weitere Frucht schälte. Der Saft der reifen Mango tropfte von seinen Fingern.
Nijano pflückte von einem Baum ein Blatt, auf dem John einige winzige Mangostücke platzierte, die er Lavanda reichte.
»Oh, danke!« Ihre Augen leuchteten, als sie das Blatt entgegennahm. Die Blumenelfe nahm ein Stückchen der Frucht in den Mund, während sie genießerisch die Augen schloss.
John sah Brunos sehnsüchtigen Blick und steckte ihm die restliche Mango ins Maul.
»Mmhh. Schmeckt leckergut!«
Nijano fragte neugierig: »Wohin fliegt ihr?«
»Bruno ist so nett und bringt mich zu einem Fest der Schmetterlinge.« Lavanda klimperte aufgeregt mit den Augen.
»Na, dann! Viel Spaß!«, wünschte der Katzenjunge.
»Auf Wiedertschüß!« Der Käfer klappte die Flügel auf.
John nickte den beiden lächelnd zu, während Bruno abhob und mit der winkenden Elfe davonflog.
Die beiden Jungen schulterten erneut ihre Beute. Mittlerweile war es dämmrig. Die Schatten wurden länger und hüllten den Wald ein. Das Heulen eines Wolfes klang sehnsüchtig aus weiter Ferne, nach einer Weile stimmte das Rudel in den Gesang ein.
»Ab, nach Hause!«, befahl Nijano. »In der Nacht ist es sicherer im Lager.«
Amapola
Bedrückt saßen Ben und Emma am Rande der großen Wiese auf dem Stamm einer entwurzelten Eiche. Hinter ihnen breitete sich der dichte Wald aus. Das Hämmern eines Spechtes hallte durch die Baumkronen, und vielstimmiges Vogelgezwitscher tönte zu ihnen herüber. Es knackte im Unterholz, als wäre jemand auf einen trockenen Ast getreten. Zeitgleich wehte der Duft von Pfefferminze durch das Dickicht und vermengte sich mit dem Geruch von Holz und Erde.
Die friedliche Sommerstimmung passte nicht zu ihrem traurigen Gemütszustand. Angst umklammerte Ben mit dunklen Schwingen, der sich dadurch wie gelähmt fühlte. Selbst das Atmen fiel ihm schwer.
Emma merkte, wie schlecht es dem Freund ging. Immer noch fehlten ihr tröstende Worte, sodass hilfloses Schweigen wie eine trennende Mauer zwischen ihnen stand.
Da erklang plötzlich ein zartes Stimmchen: »Ich kann euch helfen!«
Emma fuhr zusammen, starrte dann Ben an, doch der zuckte nur mit den Schultern. Die beiden Freunde schauten suchend umher, konnten jedoch niemanden entdecken.
»Hier unten bin ich, neben Emmas Fuß!«
Die zwei lenkten ihre Blicke ins Gras und trauten den Augen nicht. Vor ihnen stand ein winziges, wunderschönes Wesen mit langen, blonden Haaren sowie einem roten Blütenkleid. Auf dem Rücken bewegten sich durchsichtige Flügel, die im Sonnenlicht schimmerten. Die Freunde erschraken, starrten fassungslos auf dieses Ding, das einer Mischung aus Kolibri und Libelle glich.
Emma deutete auf das kleine Wesen. »Was ist denn das? Siehst du das auch?«
Ben kniff die Augen zusammen und stammelte: »Das glaub ich jetzt nicht! Da verarscht uns jemand ganz gewaltig!«
»Das ist bestimmt Versteckte Kamera. Oder?«, murmelte Emma. Verunsichert sah sie sich um.
Das zierliche Geschöpf ließ ein fröhliches Lachen erklingen und strahlte die zwei Freunde an: »Mein Name ist Amapola. Ich bin eine Elfe, genauer gesagt, eine Blumenelfe. Mein Volk und ich beobachten euch schon seit Jahren, um festzustellen, ob wir euch vertrauen können. Wir mussten warten, bis ihr bereit seid. Doch jetzt ist der richtige Zeitpunkt, mich zu zeigen, denn ihr braucht unsere Hilfe und wir eure. Ich weiß …«
Emma unterbrach den Redefluss, indem sie niederkniete, um die Elfe anzutippen.
Überrascht fiel Amapola dadurch auf den Rücken, rappelte sich jedoch schimpfend wieder auf. »Was fällt dir ein, du unverschämtes Menschenkind!«
»Die ist wirklich echt!«, rief Emma entgeistert.
Ben kniete neben Emma, nahm die Elfe in die Hand und hielt sie dicht vor sein Gesicht. »Ich weiß nicht. Die ist vielleicht zwanzig Zentimeter groß und redet, als wäre sie lebendig!«
Amapola trat wild mit den Beinen nach dem Jungen, dabei zeterte sie: »Lass mich sofort runter!«
Vorsichtig setzte Ben die Elfe zurück auf den Boden. »Voll krass, die fühlt sich auch echt an!«
Unbeherrscht stampfte Amapola mit den Füßen auf, schaute dabei aufgebracht zu Ben. »Natürlich bin ich echt! Ich bin doch keine Puppe! Hört ihr mir jetzt endlich zu?«
Erstaunen spiegelte sich in den Mienen der Freunde.
Ben nuschelte: »Na, gut!«
»Wurde aber auch Zeit!«, rief Amapola gereizt. Ihr böser Blick streifte die Freunde, doch sie wagte einen weiteren Versuch: »Ich weiß, dass Ben erblinden wird, aber ich kenne einen Weg, das zu verhindern. Wollt ihr mehr darüber wissen?«
Vollkommen überrumpelt nickten Ben und Emma.
Die Elfe fuhr fort: »Ich sehe viele Fragen in euren Augen, die ich irgendwann beantworten werde. Im Moment haben wir nicht viel Zeit, zudem ist es hier nicht sicher.« Hektisch blickte sie umher und durchdrang mit dem Blick das Dickicht hinter ihnen. »Emma, du hast eine Tante, die Esther heißt. Stimmt’s?« Voller Triumph schaute Amapola das Mädchen an, während sie auf Antwort wartete.
Erneut nickte Emma, war aber noch verwirrter als zuvor. ›Woher kennt dieses kleine Ding da meine Tante Esther?‹, dachte sie mit gerunzelter Stirn.
Abermals knackte es im Unterholz. Trockenes Laub knisterte.
Erschrocken zuckte die Elfe zusammen und schnupperte. »Kaut ihr Pfefferminzkaugummis? Nein? Hm, ach – egal! Deine Tante Esther besitzt ein Zauberbuch, welches sehr, sehr wichtig für meine Welt ist. Es ist uns vor ewigen Zeiten gestohlen worden und über viele Umwege irgendwann zu euch ins Menschenreich gelangt. Esther wird es euch aushändigen, sie ist eine sehr weise Frau, die das Buch für uns verwahrt, um es vor den bösen Mächten zu verstecken.«
Die Blumenelfe hielt inne, schaute sich gehetzt um. Die Freunde folgten ihrem Blick, sahen jedoch niemanden.
»Die spinnt, die leidet unter Verfolgungswahn! Sie sollte mal mit meiner Mutter reden«, raunte Ben und grinste seine Freundin an.
»Was?«