Fanrea. A.E. Eiserlo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.E. Eiserlo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847619727
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große Wiese bekam nie einen Rasenmäher zu Gesicht und lag am Rande des Wohngebietes, in dem Ben und Emma wohnten. Sie war Spielparadies, gleichzeitig auch Treffpunkt der Kinder und Teenager aus dem Dorf. Mitten durch diese Wildnis schlängelte sich ein kleiner Bach, der im Sommer die kleinen Kinder lockte. Den ganzen Tag waren sie damit beschäftigt, Flöße aus Ästen zu basteln, Staudämme zu bauen oder Frösche zu fangen. Sie tauchten in ihre eigene Welt ab, während die älteren Fußball oder Volleyball spielten.

      Der hintere Teil der Wiese endete in einem ausgedehnten Wald, wo große Bäume zum Klettern einluden. Dort hatten die Kinder einige Weidentunnel gepflanzt und wackelige Baumhäuser aus einfachen Brettern zusammengebaut, die seltsamerweise jedem Sturm trotzten.

      Diese Wiese war für Mattes, ebenso für Lara der schönste Spielplatz der Welt. Aber Emma lehnte ab, sie wollte mit Ben allein sein. Auf die jüngeren Geschwister hatte sie gerade überhaupt keine Lust. Lara verspürte Enttäuschung und Wut, dass Emma sie nicht mitnehmen wollte.

      *

      Nach dem Telefonat ging Ben langsam zurück in sein Zimmer. Der sechsjährige Bruder Mathias, kurz Mattes genannt, saß dort verzweifelt auf dem Boden. Gerade war ihm ein Van aus Legosteinen aus der Hand gerutscht, der dadurch in sämtliche Einzelteile zersprang. Vor Jahren hatte Ben mit seinem Vater tagelang an diesem Van gebaut. Jetzt war Ben außer sich und schimpfte über Mattes. Die beiden schrien sich an, bis Ben den Bruder aus dem Zimmer schleifte. Mattes schaffte es immer wieder, ihn rasend zu machen.

      »Du hast ab jetzt Zimmerverbot, du Blödmann! Immer machst du mir alles kaputt, du Baby! Ich wünschte, ich hätte einen anderen Bruder!«, stieß Ben hervor.

      Entsetzt schaute Mattes ihn an, begann zu weinen und jammerte immer wieder: »Entschuldigung! Ich wollte das nicht! Ich helfe dir wieder aufbauen, ja? Entschuldigung! Ich habe das unextra gemacht, ich wollte doch nur damit spielen.«

      »Das heißt nicht unextra, du Doofkopp! Außerdem ist der Van nicht zum Spielen, sondern nur zum Anschauen und Sammeln!« Ben blieb unerbittlich, er platzte fast vor Wut, knallte seine Zimmertür hinter sich zu und schloss von innen ab.

      »Du bist nicht mehr mein Freund, ich rede nie mehr mit dir, und du kriegst auch keinen Kuss mehr von mir!«, rief Mattes ihm heulend hinterher.

      Ben versuchte, das Gejammer zu überhören, seufzte und sah sich in seinem Zimmer um, das gerade ziemlich unordentlich aussah. Überall lagen Klamotten herum, Schulhefte bedeckten den Boden. Fußballposter lagen auf einer Fahne seines Lieblingsvereins und unter dem Bett lugte ein Experimentierkasten hervor. Die Eltern bekamen jedes Mal Angst, er würde das Haus in die Luft sprengen, wenn er damit Versuche startete. Feuer übte eine unglaubliche Anziehungskraft auf Ben aus. Schon als kleiner Junge war es für ihn das Größte gewesen, wenn er ein Streichholz anzünden durfte.

      Unbeherrscht trat Ben gegen einen Stapel Bücher, was das Durcheinander noch vergrößerte. Ein paar Mal boxte er gegen einen Punchingball und stöhnte. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um das eine unerträgliche Thema: Er würde erblinden!

      Deprimiert murmelte Ben: »Erst Chaos beseitigen, dann Emma treffen.«

      Er presste die Lippen aufeinander und begann, Ordnung zu schaffen. Wobei er sich die Frage stellte, was der ganze Blödsinn sollte, da er selbst das Chaos sowieso bald nicht mehr sehen konnte.

      Dummerweise musste er gerade heute das Zimmer besonders gründlich aufräumen. Seine Mutter war ziemlich sauer auf ihn wegen der Prügelei mit Paul. Da Ben mit blutverschmiertem T-Shirt, zerrissenen Jeans und Stirnwunde nach Hause kam, reagierte seine Mutter erst entsetzt und voller Mitleid. Dann allerdings, als er ihr die ganze Geschichte erzählte, schmolz das Verständnis sehr zusammen. Nur die Sorge um seine Augen stimmte sie schließlich milde.

      Seine Mutter – auch so ein schwieriges Thema für ihn. Irgendwie empfand er ihr Verhältnis zueinander in der letzten Zeit noch angespannter als sonst. Vielleicht lag es daran, dass sie oft müde und gestresst nach Hause kam. Nora arbeitete als Ärztin in der psychiatrischen Abteilung eines großen Krankenhauses. Häufig übernahm sie Nachtschichten, um tagsüber für ihre beiden Jungen da sein zu können. Meistens war sie dann allerdings gereizt oder so übermüdet, dass sie einfach einschlief, egal wo sie saß.

      Nora war eine hervorragende Ärztin, die den Beruf über alles liebte, im Haushalt dagegen blieb sie eine absolute Katastrophe. Wenn sie kochte, verbrannte das Essen oder schmeckte versalzen. Glücklicherweise konnte Bens Vater Tim gut kochen, und selbst Ben brachte inzwischen ganz passable Mahlzeiten zustande. Außerdem hatten sie endlich eine Haushaltshilfe eingestellt, die die Familie tatkräftig unterstützte. Seither klappte es besser.

      Leider konnte Nora selten abschalten, sie dachte oft zu Hause noch über Patienten nach, wenn ein Problem sie nicht los ließ. Manchmal erzählte sie sogar von besonders schrägen Patienten. Einmal entschlüpfte ihr der Name eines Patienten: Henk van Vaal. Dieser erzählte immer wieder dieselbe abgedrehte Geschichte von einem schaurigen, düsteren Schloss, geflügelten schwarzen Panthern und einer schönen, aber bösartigen Hexe. Diese hatte ihn gefangen und gequält, doch dann gelang es ihm zu fliehen, indem er durch einen Zauberspiegel sprang. Seine Erzählung klang genauso unheimlich wie Emmas Albträume.

      Henk beschrieb diese Hexe bis ins kleinste Detail, dabei jedes Mal absolut identisch. Als ob es sie wirklich gäbe und sie nicht nur als Wahnvorstellung durch seinen Kopf geisterte. Bens Mutter war manchmal so irritiert, dass sie ihrer Familie gestand: »Wenn ich kein realistisch veranlagter Mensch wäre, würde ich Henk van Vaal glauben. Ich habe seine Geschichten schon so oft gehört, dass ich diese schwarzhaarige Hexe schon fast vor mir sehe, wie sie sich niederbeugt, um ihm das Blut auszusaugen.«

      Den Beruf der Mutter fand Ben bedrückend, für ihn war das eine fremde Welt, in der sie sich da bewegte. Einmal hatte er sie besucht, das reichte ihm. Er dachte, dass all diese Gestörten einen irgendwann dazu brachten, selbst wahnsinnig zu werden. Deren unkontrollierte Wutausbrüche und hysterische Schreie verfolgten ihn noch tagelang.

      Wie dem auch sei, er musste jetzt endlich mit seinem Zimmer fertig werden, sonst käme er noch zu spät zum Treffen mit Emma. Er murmelte: »Geniale Menschen sind selten ordentlich, Ordentliche selten genial*

      *

      Der Himmel in Fanrea verfärbte sich lilaorange, tauchte die Welt in ein diffuses Licht. Die wenigen Wolken wirkten wie zerfranste, rot glühende Wattebäusche, die der Wind vor sich hertrieb. Krächzend suchte ein Schwarm Krähen das Nachtlager in gigantischen Mammutbäumen.

      Der Abend brachte eine kühle Brise mit, die durch Äste strich und mit Blättern spielte. Nahezu lautlos segelte ein Käuzchen über die Wipfel hinweg, in den Fängen eine leblose Maus.

      Der Lakota John und sein bester Freund, der Katzenjunge Nijano, wanderten leichtfüßig durch den Wald. Die beiden besaßen in etwa die gleiche Größe, doch nachtschwarze Haare bedeckten fast den gesamten Körper Nijanos, dessen Gesicht dem einer Katze glich. Mit den geschmeidigen Bewegungen eines Panthers schlich er zwischen den Bäumen hindurch. Bei Bedarf konnte er scharfe Krallen aus seinen behaarten Fingern ausfahren, mit denen er mühelos töten konnte.

      John schulterte ein mittelgroßes Wildschwein, während Nijano einen Korb mit Mangos trug. Sie brachten das Abendessen ins Lager der gestrandeten Kinder, ihrem Zuhause. Das Wildschwein würden sie später über dem offenen Feuer grillen, dazu gäbe es jede Menge Gemüse und als Nachtisch reife, saftige Mangos.

      Die letzten Sonnenstrahlen verfingen sich im Fell des Katzenjungen und ließen es seidig schimmern. Insekten tanzten im Licht der untergehenden Sonne, während der sanfte Wind die Jungen umschmeichelte.

      Unerwartet blieb Nijano stehen, seine Ohren zuckten wachsam hin und her. »Da kommt jemand!« Witternd hob er die Nase, zog dabei leise das Schwert aus der Scheide.

      Auch John zückte seine Waffe, lauschte angespannt. Jetzt hörte er ebenfalls ein Geräusch. Ein Brummen klang durch die Bäume, kurz darauf ein Kichern.

      Nijano steckte das Schwert zurück. »Entwarnung! Das hört sich nach einer albernen, kichernden Blumenelfe an.«

      Das Brummen kam näher.