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Автор: Charlie Meyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738034189
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abzuräumen.

      Die Stuhlbezüge, blau mit weißen Punkten, waren verschlissen, teilweise sogar löchrig, die nackten Tischplatten zierten Glasringe von vor Unzeiten servierter Getränke. Ich registrierte, wie die Blicke meiner neuen Crew von der dreckigen Tischplatte über das ramponierte Mobiliar und die Spinnweben vor den schlierigen Fenstern durch den Salon wanderten. Begeisterung sah anders aus.

      Ich gab Händchen, wies einladend auf den nächstbesten Tisch und stellte mich vor. Dylan Crispin. Der Aushilfsschiffsführer.

      »Lilith«, wiederholte das Gothicmädchen und klang genervt. »Matrose-Motorenwart. Binnenschifferausbildung auf einem Frachter und auf dem Schulschiff Rhein.«

      Lange konnte sie den Abschluss noch nicht in der Tasche haben. Außerdem Grufti, Designerklamotten, Mercedes Cabrio und Binnenschifferausbildung? Ungewöhnlich und erfragenswert.

      »Kommst du aus einer Binnenschifferfamilie?«

      »Warum? Habe ich kein Anrecht auf eine Privatsphäre?«

      Ich starrte sie perplex an, und einen Moment lang verschlug mir ihre Angriffslust komplett die Sprache. Privatsphäre auf einem kleinen Schiff wie diesem ist eine knifflige Angelegenheit, aber davon abgesehen, schien mir meine Frage das Normalste von der Welt zu sein. Die Frage eines Chefs, um die Motivation und die Fähigkeiten eines außergewöhnlichen Mitarbeiters einschätzen zu können.

      Sie war noch sehr jung und damit auch unerfahren, aber wenn sie einer Schifferfamilie entstammte, vielleicht sogar auf einem Frachtschiff aufgewachsen, war die Ausgangslage eine ganz andere. Ich wollte ganz einfach wissen, ob ich mich im nautischen Bereich auf sie verlassen konnte, trotz ihrer Jugend. Ein Schiffsführer ist auf seinen Matrosen angewiesen. Wenn er fährt, und es gibt ein Problem, muss er wissen, dass der nach ihm nächsthöhere Nautiker im Maschinenraum das Richtige tut.

      Dementsprechend gereizt reagierte ich. »Du meine Güte, ich wollte dir bestimmt nicht zu nahe treten. Mich interessiert einfach, warum du Binnenschiffer werden willst. Ich hatte eben noch keinen Gruftimatrosen, der ein rotes Cabriolet fährt. Außerdem werden wir die nächsten vier Wochen auf engstem Raum zusammenleben.« Ich deutete auf die Tür zum Kabinentrakt. »Es gibt da hinten zwei winzige Kabinen und ein Duschklo. Naturgemäß werden sich unsere Privatsphären da schon an der einen oder anderen Stelle tangieren.«

      Kalle räusperte sich und hob wie ein Schüler beim Unterricht die Hand. Selbst vornübergebeugt und im Sitzen wirkte er riesig. Dabei messe ich selbst schon ein Meter fünfundachtzig.

      »Ja? Der Schüler da vorn in der ersten Reihe.«

      Matrosin Lilith verzog nicht einen Mundwinkel bei meinem gekünstelten Versuch, die angespannte Stimmung mit einem Scherz zu entladen. Das konnten vier lange Wochen werden, wenn wir uns nach fünf Minuten schon gegenseitig an die Hälse gingen.

      »Ich bin zwei Meter und fünf und passe in keins von diesen Puppenstubenbetten. Deshalb übernachte ich lieber im Wohnwagen. Da is‘ ein großes Bett drin, und ich störe keinen mit meinem Schnarchen.«

      Er sah ehrlich betrübt aus mit seinem faltigen Gesicht und den traurigen Spanielaugen. »Deshalb nehme ich nur Ablöserjobs auf Tagesausflugsschiffen an. Da kann ich meine Bettkugel am Anleger parken.«

      Er deutete vage aus dem Fenster Richtung Wohnwagen.

      Ich überlegte einen Moment, ob ich das zweite Fettnäpfchen auslassen oder einfach weiter voranpreschen sollte. Da aber meine diplomatischen Fähigkeiten selbst von meinen besten Freunden wohlwollend mit mangelhaft zensiert werden, entschied ich mich für den Angriff. Mehr als abgeschossen werden konnte ich nicht.

      »Also selbst auf die Gefahr hin, als Privatsphären-Rambo in die Geschichtsbücher einzugehen, Kalle, für einen Decksmann bist du gewissermaßen schon ein Methusalem. Liege ich daher falsch, wenn ich bei dir auf einen nautischen Quereinsteiger tippe?«

      Lilith mischte sich empört ein, während ihre schwarzen fransigen Haare sich noch stärker zu sträuben schienen als zuvor: »Ich finde das absolut nicht okay, wenn wir hier nach unseren intimsten ...«

      »Pluster dich bloß nicht so auf, Kleine.« Kalle grinste und entblößte zwei Zahnlücken oben und unten rechts. Er wandte sich mir zu. »Das nächste Mal biete mir wenigstens eine Wette an. Von wegen Quereinsteiger. Ich bin alles, was du brauchst und möglicherweise sogar mehr. Schiffsführer, Bootsmann, Steuermann, Matrose-Motorenwart, Matrose und Decksmann. Diesmal eben nur Decksmann, das nächste Mal vielleicht Steuermann. Alles eine Sache von Angebot und Nachfrage. Ich hab‘ sogar Hochseepatent.«

      Ein Seebär, also doch. Ich war beeindruckt, betete aber gleichzeitig darum, es möge nicht zu Revierkämpfen kommen. Zwischen wem auch immer.

      »Ich bin der Matrose-Motorenwart«, protestierte Lilith prompt und funkelte ihn erbost an.

      Kalle klapperte mit den Augenlidern. »Du? Lütte, du bist höchstens ein Frosch, der meint fliegen zu können.« Er lachte meckernd. »Wie wär’s denn mit Kinderkriegen? Die Binnenschifffahrt braucht Nachwuchs.«

      Lilith fuhr mit blitzenden Augen hoch wie von der Tarantel gestochen, doch ich war schneller und versperrte ihr den Weg.

      »Regt euch wieder ab, ihr zwei, okay? Wir werden zu viel mit diesem Schrottkahn zu tun haben, um uns gegenseitig zu zerfleischen. Daher gleich ein paar Regeln. Wir sind ein Team, kein Chaoshaufen. Jeder an Bord nimmt die Position ein, die in seinem Arbeitsvertrag steht. Vier Wochen, dann trennen sich unsere Wege wieder, aber in den vier Wochen verlange ich Einsatz und Leistung. Ich sah Kalle an. »Deinen Sexismus kannst du dir in den Allerwertesten schieben. Wir leben im dritten Jahrtausend.«

      »Man darf doch wohl noch von der guten alten Zeit träumen.«

      »Halt einfach die Klappe«, fauchte Lilith und gab es auf, gegen die Barriere in Form meines ausgestreckten Armes ankämpfen zu wollen.

      »Ruhe verdammt noch mal.«

      Wir setzten uns alle wieder, und ich kratzte demonstrativ mit dem Fingernagel an einem der Dreckränder auf dem Tisch. »Charterfahrt. Heute Abend. Ein Familientreffen, bei dem sich die oberen Zehntausend die Türklinke in die Hand geben. Adelige. O ja, ehe ich es vergesse. Es gibt keine Serviceleitung, nur zwei Servicekräfte, die der Caterer mitbringt.«

      Ich sah auf, lächelte meine Crewmitglieder grimmig an und erntete ungläubiges Schweigen. »Wir haben genau sechseinhalb Stunden, den Kahn so weit in Schuss zu bringen, dass uns die Charterkunden nicht über die eigene Planke springen lassen. Falls dieses Schiff überhaupt eine eigene Planke hat.«

      Durch die dreckige Fensterscheibe hinter Liliths Kopf fiel mein Blick auf das seltsame Fahrzeugduo auf dem Parkplatz - Wohnwagenkugel mit Göttinger Kennzeichen neben Mercedes Cabrio aus Kassel - und ich fragte mich, was für Pläne Lilith verfolgte. Ein teurer Wagen, Designerklamotten, die Nerven zum Zerreißen gespannt und dann ein Job in untergeordneter Position in einer Männerdomäne? Da stimmte was nicht.

      Kalles Wagen dagegen war eine Rostschleuder per se. Sie passte zum Schiff und zu dem, was er von sich erzählt hatte. Während für Lilith Äußerlichkeiten und Statussymbole offenbar eine große Rolle spielten, wozu auch ihr Auftreten als Gothic zählte, begnügte sich Kalle mit dem, was ihm das Leben freiwillig bot. Sich etwas erkämpfen zu wollen oder zu müssen, dazu war er nicht der Typ. Zumindest schätzte ich ihn so ein. Kein Ehrgeiz, nur die satte Zufriedenheit des Status quo. Ein fahrbarer Untersatz, ein Bett, ein Schiff.

      Ich war mir nicht sicher, ob ich einen meiner vorübergehenden Nautikerkollegen mochte, aber das musste ich schließlich auch nicht. Wie gesagt, unsere Wege kreuzten sich nur vorübergehend.

      »Seit wann gibt es keine Serviceleitung auf Fahrgastschiffen?«, fragte Lilith, von ihrem Streit mit Kalle kurzzeitig abgelenkt, aber unvermindert angriffslustig und riss die Waschbärenaugen empört auf.

      »Seit wann gibt es eine Matrosin-Motorenwartin?«, höhnte Kalle.

      »Sexistisches Arschloch.« Liliths schwarze Lippen verzogen sich verächtlich.

      »Pfui. Daddys kleines Gruftimädchen nimmt aber böse Worte in den