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Автор: Charlie Meyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738034189
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Sonst stand noch jede Menge an. Wann kam die Besatzung? Waren die Maschinen funktionstüchtig? Wo waren die Schiffspapiere? Wann war die erste Fahrt? Und, und, und. Die Wichtigste aber: Wie konnte ein Kerl, der mir am Telefon wie eine der sympathischsten Kreaturen auf Erden erschienen war, in so kurzer Zeit zu einem Stinkstiefel mutiert sein? Transformer Teil 3?

      Als Bobsie Hirschfeld gegangen war und ich meinen Schlafsack in der Koje der Kabine ausgerollt hatte, begann ich das Schiff zu inspizieren. Die eine Sache ist, einer eingeschworenen Besatzung als Schiffsführer vor die Nase gesetzt zu werden, die andere, den plötzlichen Ehrgeiz zu entwickeln, das Schiff auf Vordermann bringen zu wollen. Die Definition des Begriffes Vordermann variiert stark, und Stammbesetzungen von Schiffen neigen bei der Definition zum Status quo, weil sie mit den Jahren betriebsblind geworden sind und die Mängel gar nicht mehr wahrnehmen.

      Bei der Weserlust ergab sich dieses Problem erst gar nicht, da sie keine Stammbesatzung mehr hatte. Keine zehn Minuten nach seinem unhöflichen Abgang rief mich Bobsie auf Handy an, um mir in einem sehr arroganten Ton mitzuteilen, dass die ebenfalls neu angeheuerte Mannschaft - Matrose-Motorenwart und Decksmann - gleich eintrudeln würde, und das Schiff am Abend an einen Baron von Sowieso für ein Familientreffen verchartert sei. Fünf Stunden Fahrt mit Buffet und Getränkepauschale. Ausklang bis zwei Uhr morgens, der Caterer bringe zwei Servicekräfte mit.

      Ich stand gerade auf Deck und sah mir den Dreckskahn etwas genauer an, als der Anruf kam.

      »Wann kommt die Serviceleitung?«, stieß ich schließlich hervor, als ich meine Stimme wiederfand.

      »Was für eine Serviceleitung?«

      »Diejenige, die den Servicekräften sagt, wo's langgeht. Ihr Schiff hier hat schätzungsweise hundertfünfzig Sitzplätze im Innenbereich und achtzig auf dem Sonnendeck und im Bug. Sie brauchen eine Serviceleitung, sonst können Sie keine vernünftige Fahrgastschifffahrt aufbauen.«

      »Ach ja? Was verstehen Sie denn schon davon? Sind Sie Geschäftsmann wie ich? Nein. Sie verstehen vielleicht ein Schiff zu fahren, aber von der Businesswelt da draußen haben Sie nicht den Schimmer einer Ahnung.« Er schnaufte. »Sie werden es mir kaum glauben, aber es gibt noch mehr auf der Welt als hinter dem Steuer eines Schiffes zu stehen.«

      Ich schwieg perplex, hatte ich in meinem bisherigen Leben doch schon drei verschiedene Berufe ausgeübt, und zwar zwei davon meist gleichzeitig. In einem längst verglühten Paralleluniversum als Polizist, in meinem jetzigen Leben als Freelancer für die Übersetzung von Computerspielen und als Schiffsführer. Mein Freelancer-Honorar sicherte mir ein Grundeinkommen, und Schiffsführer war ich aus Leidenschaft, wenngleich ich auch damit Geld verdiente. Die Polizeiuniform hatte ich an den Nagel gehängt, nachdem ein gesuchter Bankräuber bei einer Führerscheinkontrolle den Jungen erschossen hatte, den mir mein Chef zum Anlernen anvertraut hatte.

      »Was sind Sie von Beruf, wenn ich fragen darf?«

      »Geschäftsmann, was sonst.« Damit drückte er das Gespräch weg.

      Na toll. Wer blöd fragt, bekommt blöde Antworten. Ich starrte, das Handy am Ohr, auf die Silhouette der Stadt Nienburg, den Kirchturm, die Straßenbrücke und die Fußgängerbrücke ein Stück weiter und überlegte. Lohnte sich der Ärger überhaupt? Warum fragte ich nicht bei der Genossenschaft nach, ob die Springerstelle noch zu haben war, und übernahm für ein paar Wochen doch das Bunkerboot auf dem Rhein?

      Ich sah mich auf Deck um und seufzte. Wenn ich ein wenig auf der Stelle hüpfte, brach ich wahrscheinlich durch die Roststellen ein, die Mannschaft fehlte noch immer, und in sechs Stunden tanzte dieser Baron mit seiner gesamten Sippschaft an. Hoffentlich verfügten sie über ein Mindestmaß an Galgenhumor.

      Möglicherweise sollte man im Leben die eine oder andere Herausforderung auslassen, weil deren Realisierung so unrealistisch ist wie meine Teilnahme an der ersten Marsbesiedlung. Trotzdem konnte ich mich nicht aufraffen. Ich will nicht sagen, dass ich in der Kürze der Zeit eine persönliche Bindung zu dem Schiff aufgebaut hätte, aber ich mag nun mal Lux-Schiffe und dieses hier hatte es einfach nicht verdient, in der Schrottpresse zu enden.

      Mein Verstand sagte mir, dass ich, trotz aller Mühen, über Level 3 meines imaginären Spiels nicht hinauszukommen würde. Die entscheidende Rolle spielte wohl der Zeitfaktor. Bis ich auch nur den Rost abgekratzt hatte, endete wahrscheinlich schon mein Job.

      Zehn Minuten später bog ein klappriger Ford auf den unbefestigten Parkplatz der Schiffsanlegestelle, der einen nicht weniger klapprigen alten Campingwagen hinter sich herzog. Einen von diesen kleinen kugeligen Gebilden aus den Sechzigern. Der Ford spuckte eine dürre kahle Bohnenstange in T-Shirt und Jeans aus, dem ein zottiger Ziegenbart vom Kinn hing.

      Während er sich noch aus der Fahrertür quälte, zu seiner vollen Länge entfaltete, und zu mir herüber starrte, rumpelte ein knallroter Sportwagen durch die Schlaglöcher den Weg hinunter, was den Kahlköpfigen und mich gleichermaßen von unserer gegenseitigen Begutachtung ablenkte.

      Ungewöhnlich war allerdings weniger der Wagen, ein Mercedes Cabrio, als vielmehr seine Fahrerin.

      Sie trug eine schwarze Latzhose, die maßgeschneidert aussah. Der rechte Hosenträger hing vorschriftsmäßig über der Schulter, der linke etwa auf Hüfthöhe. Die Hosenbeine waren bis zur Wadenmitte aufgekrempelt, die Füße steckten in Springerstiefeln mit Stahlkappen. Unter der Latzhose lugte ein ärmelloses schwarzes T-Shirt hervor. Ihre pechschwarzen Haare waren fransig geschnitten und standen in alle Richtungen ab. Selbst auf die Entfernung konnte ich die dicken Kajalstriche rund um ihre Augen erkennen.

      Das in Verbindung mit dem weiß gepuderten Gesicht erinnerte mich an einen Waschbären, nur dass Waschbären selten schwarzen Lippenstift auftragen. In ihren knöchelhohen, schwarzen Stiefeln ohne Socken stapfte sie durch den Dreck auf den Anleger zu und starrte zu mir hoch.

      Die haarlose Bohnenstange folgte ihr in respektvollem Abstand. Wenn ich seine Blickrichtung richtig deutete, starrte er auf den Hintern der jungen Frau, die forsch auf das Schiff zugestapft kam.

      »Du meine Güte«, entfuhr es mir unwillkürlich, als ich realisierte, dass sich dort höchstwahrscheinlich meine Besatzung näherte. Halt suchend griff ich nach der Reling.

      »Du bist der Schiffsführer?«

      Die Waschbärin blieb vor dem Schiff stehen und starrte zu mir hoch. Bei näherem Hinsehen schätzte ich die junge Frau auf keine zwanzig Jahre alt, und wenn man die Schminke aus dem Gesicht wusch, kam möglicherweise ein hübsches Mädel zum Vorschein. So sah sie furchterregend nach Vampir aus, und ich nahm mir spontan vor, in den nächsten vier Wochen viel Knoblauch zu essen, damit ich nicht eines Morgens mit Bissspuren am Hals aufwachte.

      »Ich bin Lilith, deine Matrosin. Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen.« Sie hörte sich verbissen an. Aggressiv, genauer gesagt, beziehungsweise beides in Kombination. Verbissen und aggressiv. Keine gute Taktik, um seinen neuen Chef für sich einzunehmen.

      Mittlerweile hatte der lange Kahlköpfige das Gothicmädchen eingeholt und baute sich neben ihr auf. Der Größenunterschied zwischen beiden betrug etwa einen halben Meter.

      »Kalle Ruppert«, rief er zu mir hoch und starrte mich mit den braunen Augen eines traurigen Spaniels an. »Decksmann.«

      Wind und Wetter hatten sein Gesicht braun gegerbt und ihm Tausende kleinster Furchen in die Haut gegraben. Ich schätzte ihn auf Ende vierzig. Er sah aus, als würde er sich schon seit Urzeiten auf Schiffsplanken herumtreiben, war von seinem Dienstgrad her aber erst Decksmann, die unterste nautische Stufe, was mich irritierte.

      »Immer rein in die gute Stube.« Ich versuchte ein wenig Begeisterung in meine Aufforderung zu legen, aber es gelang mir nicht recht. Stattdessen machte ich auf den Hacken kehrt und stiefelte ziemlich lustlos den Niedergang hinunter.

      Einen Moment lang verhaarten wir dann im Eingangsbereich des Schiffes unschlüssig voreinander, dann ergriff ich die Initiative und deutete durch die Tür in den Salon. Hier gab es sechs Sechsertische an der Steuerbordseite, sechs an der Backbordseite und sechs in der Mitte. Alle kahl, ohne die übliche Mindestdeko wie Tischläufer oder Mitteldecker.

      Keine Blumen, keine Speisekarten,