So siebten sie die ungewollten Personen aus - mittellose, emotionale Krüppel, Kriminelle - und konzentrierten sich auf ihre Wunschklientel. Millionäre mit sauberem Background. Keine Vorstrafen, keine laufenden Ermittlungen, kein allzu auffälliger Dachschaden.
Der Eventmanager war heilfroh, dass nicht er diesen kranken Scheiß jeden Tag lesen musste.
Nach Beendigung des Telefonats lehnte sich er sich zufrieden in seinem Chefsessel zurück, legte die Füße auf den Schreibtisch und dachte nach: ein Topkandidat, alles, was recht war. Ihre Angebote köderten als Zielgruppe die Crème de la Crème, was angesichts der Paketpreise natürlich logisch und auch gewollt war. Allerdings erschütterte ihn dann doch die Erkenntnis, wie viele kaputte Typen da draußen herumliefen, die in Luxusvillen wohnten.
Dann griff er erneut zum Telefon und rief seinen Partner an.
»Dieser Fisch ist ebenfalls am Haken. Er will die Kombi. Mit dem anderen Kunden haben wir damit drei Targets während der Tour.«
Am anderen Ende blieb es eine Weile still.
»Hey, ich …«
»Wir bieten die Small Targets an, okay? Was der Kunde möchte, bekommt er. Setz Zlatko darauf an. Wir verdienen allein bei dieser Tour über 1,4 Millionen Euro. Steuerfrei. 1,4 Millionen! Bei minimalem Risiko.«
Zlatko war ein Serbe, der im Kosovokrieg aufgewachsen war. Ein Gewissen war Luxus für ihn, und Luxus konnte er sich nicht leisten.
Als er aufgelegt hatte, starrte der Eventmanager beunruhigt eins der Poster an der Wand an. Edward Munchs Der Schrei. Ein Ausstellungsplakat des Prado in Madrid.
Hatte er in der Wahl seines Partners vielleicht einen Fehler begangen?
2
Als der Neue auf ein Schiff zu kommen, ist eine spannende Angelegenheit. Meistens weiß die Mannschaft schon Wochen im Voraus, dass ein Neuer ihren Schiffsführer vertritt, und die Gerüchteküche brodelt. Ein Übereifriger, der dem Reeder in den Arsch kriecht? Ein fauler Hund, der die anderen für sich schuften lässt? Ein Hochgeschriebener, der gar nicht fahren kann?
Für mich als Springer ist es nicht weniger spannend. Wen finde ich vor? Eine Chaostruppe? Einen Matrosen, der den Generator für die Ankerwinde hält? Einen Decksmann, der seine Bezeichnung allzu wörtlich nimmt und jedem Rock hinterhersteigt?
Mein Name ist Dylan Crispin. Ich bin Schiffsführer aus Leidenschaft, aber kein besonders sesshafter Mensch. Deshalb arbeite ich einen Teil des Jahres als Ablöser, sprich Springer. Wo immer ich gebraucht werde, schlage ich für eine begrenzte Zeit meine Zelte auf. Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen, Überführungsfahrten, Rettungsanker für Reeder, denen gerade der Schiffsführer weggelaufen ist. Ich bin Teil der nautischen Feuerwehr, die kreuz und quer durch Europa reist.
Mein Heimatort ist Hollerbeck an der Oberweser zwischen Hannoversch Münden und Bad Karlshafen, ein kleines Touristenkaff im Schatten des Reinhardswaldes. In den Monaten Mai, Juli und September fahre ich für die Reederei Sonnemann das Fahrgastschiff Meerjungfrau, das ich mir als Teilzeit-Schiffsführer mit zwei Kollegen teile. Nebenbei übersetze ich als Freelancer die englischen Anleitungen von Internetspielen ins Deutsche. Alles vom Ego-Shooter bis zum Kinderspiel. Wenn mir langweilig wird oder ich Geld brauche, nehme ich Ablöserjobs an und ziehe für ein paar Wochen in die Fremde. Gut gegen das Einrosten, physisch wie psychisch.
Nach der Sache mit dem Serienmörder, der Liebespaare auf bestialische Art und Weise umbrachte, war ich froh, Hollerbeck für ein paar Wochen den Rücken zukehren zu können. Lucy, meine beste Freundin - wenn Männer denn beste Freundinnen haben können - castet Newcomer Models in der ganzen Welt und war gerade zu einem Shooting nach Thailand gejettet. Alle anderen, die ich kannte und mochte, hingen dem ganz normalen Trott hinterher, und so freute ich mich auf eine neue Herausforderung.
Mein Ziel war Nienburg an der Weser, eine Dreißigtausendstadt in der Norddeutschen Tiefebene, mitten im Spargelland. Der Reeder war ein Newcomer, wie ich aus den Binnenschifferforen erfuhr, der Sohn eines millionenschweren Bauunternehmers aus Hamburg, der versuchte, auf eigenen Füßen zu stehen. Mitte zwanzig sollte er sein und von der Schifffahrt so viel Ahnung haben wie eine Schnecke vom Fliegen.
Weil sich das bei Facebook und Co in Windeseile herumgesprochen hatte, bekam er keinen Schiffsführer für seinen Abnabelungsversuch von Papas Rockzipfel.
Anfang August hatte ich als Freelancer nur einen Auftrag zu erledigen, also schrieb ich ihm eine Mail und bekam nach einem ersten informativen Telefonat einen Vertrag zugeschickt, der noch zwei-, dreimal in beide Richtungen durch den Äther schoss, bis ich unterschrieb. Im Grunde nicht mehr als ein digitales Proformageplänkel, da das Gehalt mickrig war und auch blieb.
Warum ich trotzdem zusagte, war das Schiff, ein schon älteres Baujahr, das ich schon immer mal hatte fahren wollen. Gebaut worden war es als Ausflugsschiff für die Gäste eines exzentrischen Amerikaners, der sich am Bodensee ansiedelte, ein kleines Schlösschen bauen ließ und für seine Partyfahrten den Bau eines Schiffes in Auftrag gab. Überraschenderweise verstarb er dann unmittelbar nach dem Stapellauf. Unmittelbar hieß in diesem Fall fünf Minuten später.
Die White Queen, wie der arme Kerl sie kurz vor seinem Herzinfarkt noch getauft hatte, wurde von den Erben des Exzentrikers auf die Schley verkauft. Der Reeder dort fiel zwei Wochen später über Bord und geriet in die Steuerbordschraube. Er verblutete noch vor seiner Bergung. Die Schley-Prinzessin, wie sie nun hieß, dümpelte über ein Jahr untätig im Kieler Hafen herum und fand schließlich auf der Saale eine neue Heimat.
Drei Monate später klemmte der Gashebel. Die Saalestrand donnerte ungebremst in die hölzerne Plattform einer Gaststätte und tötete ein älteres Touristenpaar aus der Schweiz. Spätestens jetzt galt sie als Unglücksschiff und fand über Jahre hinweg keinen Käufer, bis sie nach Nienburg an meinen zukünftigen Boss auf Zeit verkauft wurde. Für einen Spottpreis, wie gemunkelt wurde. Allerdings sollten ihr die Jahre des Müßiggangs auch nicht gut bekommen sein. Eisen und Wasser vertragen sich auf Dauer nur bei guter Pflege des Schiffsrumpfes.
Auf jeden Fall reizte mich die Kombination aus marodem Unglückskahn und diesem Newcomer von Reeder. Der Junge lehnte sich auf, hatte für eine lächerlich geringe Summe dieses Lux-Schiff gekauft, das in der Branche quasi als verhext galt, und wollte sich eine eigene, von Papa unabhängige Existenz aufbauen.
Zwei gute Gründe für einen Abstecher nach Nienburg.
Ich mochte den Jungen schon, bevor ich noch ein einziges Wort mit ihm gewechselt hatte. Was mir im Nachhinein mal wieder zeigte, dass ich auf mein Bauchgefühl nur mit einer gesunden Portion Skepsis hören sollte.
Am Abend, bevor ich losfuhr, landete ich auf ein Abschiedsbier in der Waldklause. Gustls Bikerkumpel pokerten und rückten nur zu gern zusammen, um ein Weichei wie mich auszunehmen. Seine warnenden Blicke ignorierten sie geflissentlich. Gustl ist ein grauzopfiger Ex-Hells-Angel, der sich nach seiner Kronzeugenaussage in einem Hamburger Milieumord in unsere Provinz flüchtete und seitdem die Waldklause leitet.
Er kann weder kochen, noch freundlich mit Gästen umgehen, noch seine eigenen Getränke zufriedenlassen, aber wahrscheinlich wird er sowieso in wenigen Monaten wieder verschwunden sein. Um sich bis dahin finanziell über Wasser zu halten, schmeißt er abends den Grill an und bezahlt an den Wochenenden zwei Schülerinnen der Hauswirtschaftsschule dafür, die Frühstücksgäste zu verköstigen.
Seine im Biergarten aufgebockte Harley wirkt wie ein Magnet auf andere Biker. In den Sommermonaten hocken auf den langen Holzbänken Schulter an Schulter seine Bikerkollegen, während ihre Maschinen zweireihig vor dem verwitterten Jägerzaun aufgebockt stehen.
Die verschreckten Einheimischen trifft man seitdem hier eher selten an. Lucy schon eher. Kaum zu glauben, aber Lucy mit ihren langen blonden Haaren und dem makellosen Modelgesicht hat sich mit dem alternden Gustl in eine leidenschaftliche Affäre gestürzt. Eine ihrer zahlreichen Liebschaften. Für das unvermeidliche Aus kann ich nur auf eine Trennung in gegenseitigem