Erneut trat eine Pause ein, bevor der Kunde mit kaum zu ertragender Arroganz feststellte: »In diesem Fall sollten Sie möglicherweise Ihr Preis-Leistungs-Verhältnis überdenken. Es ist viel Geld für wenige Augenblicke.«
Einen Moment lang glaubte der Eventmanager, ihn verloren zu haben, aber das war auch kurz vor seinem letzten Geschäftsabschluss so gewesen. Ein Trakehnerzüchter aus Schleswig-Holstein, der die Königshäuser und Sultanate im Nahen und Fernen Osten mit Rennpferden belieferte. Die Kunden wollten ihre Träume zu hundert Prozent ausleben und akzeptierten Einschränkungen nur widerwillig. Im Zweifelsfall warfen sie dann doch plötzlich die Buchungsgebühr in die Waagschale, obgleich sie zu Beginn des Gesprächs großspurig getönt hatte: Über Geld sprechen wir nicht.
Sie waren es einfach nicht gewohnt, andere über sich bestimmen zu lassen.
Möglicherweise ein Schwachpunkt ihres Geschäftskonzeptes, den sie noch einmal überdenken sollten. Eigentlich hatte es der Kundenbindung dienen sollen. Beim ersten Mal schnuppern, beim zweiten Mal fressen lassen. Nun ja, Zeit und Erfahrung würden sie lehren, ob ihre Rechnung aufging. Schließlich waren sie noch in der Start-up-Phase und organisierten gerademal das zweite Event. Ihr Erstes lag ein knappes halbes Jahr zurück. Für sie als Veranstalter alles in allem keine angenehme Erinnerung, obgleich der Kunde hochzufrieden gewesen war. Trotz der Vorgabe des Mittels hatte er einen Weg gefunden, sich auszuleben, der mehr als nur unappetitlich gewesen war.
Der Eventmanager entschied sich spontan gegen eine Ausnahme. »Ich bedaure, aber diese Regel ist nicht verhandelbar.«
Die Kunden, mit denen der Eventmanager verhandelte, waren Wirtschaftsbosse und Familienpatriarchen, die ein knallhartes Nein eher akzeptierten als ein halbherziges Vielleicht.
Außer der Kundenbindung hatte auch noch ein anderer Aspekt die Entscheidung der Firmengründer beeinflusst, das Mittel vorzugeben. So abgebrüht, wie ihre Kunden sich in den Vorgesprächen gaben, waren sie zwar in ihrem gewohnten Umfeld. In einer traumatischen Situation wie dem Event würden sie mit dem Mittel ihrer Wahl aber möglicherweise überfordert sein. Oder aber das Mittel der Wahl war ganz einfach schwer zu besorgen und genauso schwer wieder zu entsorgen, wie zum Beispiel eine Eiserne Jungfrau oder ein Schafott aus den Zeiten der Französischen Revolution.
Lieber gleich Nein sagen, als ein Tut mir leid nach der Buchung. Seine Aufgabe war es, jedes Event planungstechnisch zu einem positiven persönlichen Erlebnis zu gestalten, was eben auch nicht verhandelbare Vorgaben bedeutete.
Ein Kunde, der im entscheidenden Moment heulend zusammenbrach oder in seinen Erwartungen enttäuscht wurde, war ein nicht kalkulierbares Risiko für die Firma Exclusive Adventure Tours, die nach außen hin Großwildjagden in Kenia organisierte.
»Ein Ärgernis, das ich aber wohl hinnehmen muss, obgleich Gott die Mittel seiner Wahl selbst entscheiden darf. Niemand wagt es, ihm Vorschriften zu machen. Kommen Sie mir entgegen, sollte ich ein weiteres Eventwochenende bei Ihnen buchen?«
Gott? Der Eventmanager versagte sich jeglichen Kommentar. »Selbstverständlich.«
In diesen speziellen Fällen der Kombibuchung konnten sie die Kunden natürlich auch spontan überraschen. Bei einem reibungslosen Verlauf des ersten Events mit dem vorgegebenen Mittel lag es durchaus im Bereich des Denkbaren, ihm bei Event Nummer zwei doch plötzlich die Wahl zu lassen.
Effekthascherei mit doppeltem Nutzen. Kundenbegeisterung und Kundenbindung.
»Sie reisen allein?«, fragte der Eventmanager rasch und sachlich, und es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Ehepartner kannten in der Regel ihre Angetrauten so gut, dass ihnen jede emotionale Instabilität sofort auffiel. Und nach einem Event waren voraussichtlich alle emotional instabil. Geliebte, männlich wie weiblich, dürften noch problematischer werden, da sie zu klettenhaftem Verhalten neigten.
»Natürlich. Was für ein Hotel haben Sie gewählt?«
»Vier Sterne, ein angenehmes Business-Hotel in Bad Rehburg, der nächstgelegenen Stadt. Ein Golfplatz in unmittelbarer Nähe, wie gewünscht. Auf Wunsch erwartet Sie nach Ihrer Rückkehr vom Event eine Dame eines sehr exklusiven Begleitservice. Eine Gratisleistung unsererseits und auch spontan vor Ort zubuchbar.«
Den zweiten Kunden würden sie vierzig Kilometer weiter nördlich in Verden an der Aller unterbringen. Er wollte die Gelegenheit nutzen, auf einer der renommierten Pferdeauktionen einen gekörten Hengst für seine Zucht zu ersteigern. Geschätzter Preis unter Experten: um die zehn Millionen. Die Buchungsgebühr für sein Event zahlte er da wahrscheinlich aus der Portokasse. Zweihundertfünfzig Tausend für ein Big Target, das er sich am Freitag schon aussuchen sollte.
»Vier Sterne? Gab es nichts Besseres?«
Der Eventmanager biss für den Moment die Zähne zusammen.
»Die Stadt bietet leider kein höherwertiges Hotel, und die Anonymität eines Tagungshotels dient Ihrer Sicherheit. Dort findet in der Zeit Ihres Aufenthaltes ein Kongress des Bundesverbandes deutscher Reiseveranstalter statt, was Sie nahezu unsichtbar macht. Nach den Events erholen Sie sich selbstverständlich in einem 5-Sterne-Hotel. Wir haben das Schlosshotel Münchhausen im Weserbergland gewählt, weit genug entfernt und ein Paradies für Golfspieler.«
»Gut. Oder nicht gut, aber auf jeden Fall wohl nicht zu ändern. Ein Touristikerkongress? Wie passend. Ich schätze mal, Sie nehmen daran teil mit Ihrem … Reiseunternehmen?« Der Kunde lachte belustigt.
»Nein«, log der Eventmanager ungerührt. »Bitte teilen Sie uns rechtzeitig Ihre Musikwünsche zur Untermalung der Events mit.«
Ein schwieriger Kunde, alles, was Recht war. Normalerweise wusste der Eventmanager Sarkasmus wohl zu schätzen, aber momentan wollte er die Buchung einfach nur noch zu einem Abschluss bringen und sich in den wohlverdienten Feierabend verabschieden.
Dem Himmel sei dank, dass ihre neue Geschäftsidee den Zwölfstundentagen bald den Garaus bereiten würde. Sie hatten viel Geld in die Vorbereitungen investieren müssen - der Dienstwagen, die Anmietung der Eventlocation - waren aber schon mit dem Zahlungseingang ihres ersten Kunden vor einem halben Jahr mehr als saniert gewesen. Natürlich kostete jedes dieser Eventwochenenden im Vorfeld Fixkosten zwischen zwanzig- und fünfzigtausend Euro, Personalkosten eingerechnet, aber nach Abzug aller Ausgaben belief sich der errechnete Gewinn allein an diesem Wochenende auf mehr als eine Million. Steuerfrei.
»Wann geht es los?«
»Am Sechzehnten. Sie kommen Freitag Mittag an und beziehen Ihr Hotelzimmer. Am Samstag fährt Sie ein Limousinenservice, der Ihnen für die gesamte Woche zur Verfügung steht, nach Nienburg, wo sie sich die Targets auswählen. Die Events finden je nach Verfügbarkeit im Laufe der nächsten sechs Tage statt. Bei einer Kombibuchung schlage ich das erste Event noch für denselben Tag vor.« Er hielt kurz inne. »Wir verlassen uns natürlich auf Ihre Verschwiegenheit.«
Was soviel hieß wie: Andernfalls finden und eliminieren wir dich. Es gab da zwar keine entsprechende Klausel in irgendeinem Vertrag, weil naturgemäß keine schriftlichen Verträge existierten. Dafür ließ der Eventmanager schon während des ersten Verkaufsgespräches keinerlei Zweifel daran, dass die Firma über den Interessenten informierter war als dessen eigener Bruder, was höchstwahrscheinlich sogar stimmte.
Die erste Kontaktaufnahme führte über eine Internetseite mit angeblichen Snuff-Filmchen und ständig wechselnden Emailadressen, die mit dem Datenpaket einer völlig harmlosen Seite über einen südamerikanischen Provider hochgeladen worden war. Sein Partner war bestens über die User dieser Website informiert und wurde via iPhone alarmiert, sobald einer dieser Perversen den Link Interessiert an mehr? anklickte und tatsächlich seine ganz persönlichen Wünsche in das Kontaktformular eintrug, bevor er auf Senden tippte.
Völlig anonym, wie er glaubte, aber in der Realität fraß sich mit der automatischen Antwortmail Wir haben Ihre Anfrage erhalten