Wir trafen uns auf dem Schiff, das nahe der Nienburger Weserbrücke an einer Spundwand lag. Der Weg dorthin war unbefestigt, in den Schlaglöchern stand das Wasser bis zum Rand. Dazwischen Matsch, Matsch und noch mal Matsch. Ich stellte mir vor, wie bei Schiffstrauungen die Bräute ihre blütenweißen Kleider und Schleppen rafften, die High Heels auszogen und barfuß durch den Modder wateten. Keine große Sache. An Bord würde der Decksmann einen vorbereiteten Eimer mit warmem Wasser bereithalten. Und natürlich den Papst, damit er den Bräuten die Füße wusch.
Das Schiff war ein typisches Lux-Schiff mit klassischer Silhouette. Spitzer Bug, schlanke Form. Ein Schmuckstück zu seiner Zeit, jetzt allerdings nicht mehr als ein verrostetes Wrack, das wie ein Notfall für die SUK aussah. Die Sonderuntersuchungskommission ist eine Art TÜV für Schiffe und in Mainz eine Abteilung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Von der Dicke des Bodens, über die Funktionsfähigkeit des Davits bis hin zur Rutschfestigkeit der Decks kontrolliert sie einfach alles. Sie verlängert die Schiffsatteste für längstens fünf Jahre. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das Attest dieses Schiffes erst kürzlich verlängert worden war, eher, dass es zur Vorbereitung der SUK noch vor der nächsten Saison auf die Werft musste.
Später sollte ich eher an die Schrottpresse in Duisburg denken.
Ich hoffte auf einen gut bestückten Werkzeugkasten und einen Hochdruckreiniger, als ich den Weg mit dem Mountainbike hinunterschlidderte, die abgespeckte Version eines Seesacks inklusive der Sommerversion eines Schlafsacks auf dem Rücken.
Das einzig Neue an dem Kahn war der aufgepinselte Name, und auch den hatte es bestimmt schon früher sowohl in der weißen Flotte als auch bei den Schwarzen, den Frachtschiffen, gegeben. Er hieß Weserlust.
Bobsie empfing mich mit einem Pott Kaffee in der Hand und sah mit seinem schlecht sitzenden Toupet sandfarbener Haare und dem verkniffenen Gesichtsausdruck zehn Jahre älter aus als Mitte zwanzig. Mindestens. Ich versuchte mir erst gar nicht vorzustellen, wie ihn die Crew der Meerjungfrau zu Hause verspotten würde, wenn er an Maxens Stelle wäre. Max ist mein Reeder.
Er tat mir leid, was natürlich nach hoher Warte und Arroganz klingt, aber das war es nicht. Einige Menschen sind einfach durch ihr Äußeres benachteiligt. Starke Charaktere, wie Max' Tochter mit ihrem von der Glasknochenkrankheit verformten kleinen Körper stecken es weg, während sich die Bobsies dieser Welt ihre Egos aufpeppen, in dem sie andere schikanieren.
Wir waren allein an Bord, da er, wie er sagte, Personalgespräche gern ungestört führte. Was auch Sinn macht, wenn es denn ein Personalgespräch zu führen gäbe. Unseres war aber bereits vor Tagen telefonisch über die Bühne gegangen, und ich war bestimmt nicht hier, um mich wieder nach Hause schicken zu lassen.
»Ich dachte, zwischen uns wäre alles klar«, erwiderte ich und zog von meiner optimistischen Fünfsternebewertung meines zukünftigen Arbeitgebers vier Sterne ab.
Er sah mich einen Moment lang perplex an. »Mein Partner und ich sehen uns die Kandidaten natürlich noch einmal persönlich an, bevor wir ihnen unser Schiff anvertrauen. Schließlich habe ich den Vertrag noch nicht unterschrieben. Haben Sie ein Problem damit?«
Hatte ich ja, aber andererseits brachte es mir nichts, jetzt den Klugscheißer raushängen zu lassen. Ich wollte etwas Neues erleben, und das Schiff hatte es mir angetan. Es brauchte jemanden, der ihm den Rost von den Rippen scheuerte, um es gleich darauf in frischem Weiß erstrahlen zu lassen. Manchmal liebe ich Herausforderungen wie diese. Man sieht, was man schafft.
Ich fuhr mir mit der Hand durch die braunen Locken und überlegte, während mein Zeigefinger unbewusst die Narbe entlangfuhr, die zackig von der Mitte meiner rechten Wange den Hals hinunter bis zum Schlüsselbein verlief. Andenken an meinen Autounfall mit Lucy. Ich hatte Hirschfeld den Vertrag zwar unterschrieben zurückgeschickt, aber, da der Arbeitgeber zuletzt unterschreibt, tatsächlich nichts in der Hand.
»Nein«, log ich und versuchte ganz entspannt zu klingen. »Ich sehe mir die Reeder, für die ich arbeite, auch gern im Vorfeld an. Vor allem, wenn ich zwischen zwei Angeboten wählen kann. Da ist noch ein Ablöserjob auf einem Bunkerboot auf dem Rhein frei. Ich würde Sie nur bitten, mir jetzt Bescheid zu geben, damit ich gegebenenfalls gleich nach Duisburg weiterfahren kann.« Das war im Großen und Ganzen nicht gelogen. Ich hatte mich tatsächlich zwischen Bunkerboot und Fahrgastschiff entscheiden müssen, wobei ich dem Bunkerboot allerdings schon abgesagt hatte.
»Bunkerboot«, echote er nachdenklich und ich sah ihm an, dass er mit dem Begriff wenig anfangen konnte.
»Tankboot. Fährt Gasöl zu den Schiffen und den Bunkerstellen.«
»Ja, natürlich. Ich weiß, was ein Bunkerboot ist.«
Schön für Sie, dachte ich, vermied es aber zu lächeln. »Wie sieht‘s aus? Prüfung bestanden oder soll ich weiterziehen?«
Am Liebsten hätte er weiterziehen gesagt, soviel stand fest. Er sah nicht glücklich aus, und ich war es ebenso wenig. Nur reizte mich die Herausforderung noch immer. Level 1 in einem dieser Aufbauspiele, die ich als Freelancer übersetze: Ein marodes Schiff, ein feindlicher Reeder eine Fahrgastschifffahrt, die bei null anfängt, ein Zeitlimit - mach was draus. Level 10: Das Schiff sieht wie neu aus, fährt in den schwarzen Zahlen, und du hast diesem Arsch von einem Eigner gezeigt, was du draufhast.
Mein Ego ist nicht so ausgeprägt, dass ich glaube, andere deckeln zu müssen, aber dieses charakterlich missratene Exemplar des Homo sapiens hier hätte ich gern ungespitzt in den Boden gerammt. Ich hasse Ego-Shooter, aber ich verstehe auch kleine Angestellte, die sich nach der Arbeit mit einem Laptop auf den Knien in ihren Fernsehsessel lümmeln und Horden von Camouflage-Kriegern killen, die, schon im Todeskampf, plötzlich die Gesichter ihrer Chefs annehmen.
Bobsie war einer dieser Kandidaten, und ich fragte mich mit einem Mal, ob ich nicht auf der Seite seines Vaters hätte stehen sollen. In meiner korrigierten Vorstellung wechselten die Mitwirkenden plötzlich die Rollen. Aus dem übermächtigen Papa wurde das gebeutelte Opfer, aus dem Sohn der beutelnde Schuft.
»Na gut, ich versuche es mit dir.«
Oh, wir waren bereits beim du angekommen.
»Okay«. Ich streckte die Hand aus. »Dylan. Und du?«
Bobsie kaute einen Moment lang an seiner Unterlippe. »Herr Hirschfeld«, sagte er dann und schlug ein. »Ich ziehe eine gewisse Distanz zu meinen Angestellten vor. Mein Partner Herr Eilers ebenfalls. Sie werden ihn zu einem späteren Zeitpunkt kennenlernen. Er ist gerade in Geschäften unterwegs.«
Er griff zum Stift, unterschrieb die beiden Ausführungen des Vertrags, die er vor sich liegen hatte, und schob eine zu mir hinüber.
Arschloch, dachte ich und lächelte. »Kein Problem, Herr Hirschfeld. Wie sieht's mit der versprochenen Unterkunft aus?«
Ich hatte für die nächsten vier Wochen das Rundumsorglospaket gebucht. Freie Verpflegung, freie Unterkunft, dafür nur zwei Drittel des Gehalts.
So wie's aussah, hatte ich das Kreuzfahrtprogramm erwischt. Eine sieben Quadratmeter große Kabine im Heck der Weserlust. Bett, Tisch, Stuhl, Spind und ein Waschbecken. Weserlust. Ich dachte an Max‘ Tochter, die die angedachte Stadt Hollerbeck, mein Fahrgastschiff zu Hause, in Meerjungfrau umbenannt hatte und überlegte, welcher Name zu diesem Schiff hier wirklich passte. Poseidon? Luchs, in Anlehnung an die Lux-Werft? Nein, passte alles nicht, aber ich blieb ja auch vier Wochen. Zeit genug für das Schiff, sich seinen Namen selbst auszusuchen.
»Was ist mit dem Rest der Besatzung?«
»Was soll damit sein?« Der Eigner starrte mich herausfordernd an.
Ich zuckte die Achseln und lächelte. »Ich frage mich, wann sie kommt, und ich frage mich, wie wir eine Kabine mit nur zwei Betten unter uns drei Nautikern aufteilen sollen.«
»Das ist geregelt. Wenn sonst nichts ansteht ...« Damit packte er seinen Papierkram