Welt als Körper. Thomas Erthel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Erthel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772001031
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Menschen gestellt ist.“ (89; Hervorhebungen T.E.) Im Kompositum ‚Weltbild‘ erscheint die GanzheitGanzheit als zutiefst menschliche EinheitEinheit, die durch den Menschen als aktiver Part (durch sein ‚Vor-stellen‘) hervorgebracht wird.

      Nancy lässt sich, trotz dessen Arbeit mit Heideggers Konzepten, zu dessen Ausführungen als Kontrast ins Spiel bringen, denn im Unterschied zu Heidegger schreibt er: „Tout d’abord, un monde n’est pas une unité de l’ordre objectif ou extrinsèque: un monde n’est jamais devant moi, ou bien il est un autre monde que le mien.“ (34) Damit unterscheidet sich Nancys Beschreibung deutlich von Heideggers Überlegungen zur FdG ‚Welt‘, bei dem diese FdG im Singular besprochen wird; gleiches gilt für sein Kompositum ‚Welt-BildWelt-Bild‘ – es gibt in Heideggers Verständnis, per definitionem, nur ein Welt-Bild, insofern dieses die (als mathematisch-wissenschaftlich definierte) westliche Moderne dominiert. Hierin liegt, wie man mit Nancy auf Heidegger blickend festhalten kann, der totalisierende Gestus des Konzepts des ‚Weltbildes‘: dieses bleibt unmissverständlich eines (das „Vorstellen“, der Modus, der dem Welt-Bild-Erzeugen zugrunde liegt, „treibt so alles in die EinheitEinheit des so Gegenständigen zusammen“, Heidegger 108; Hervorhebung T.E.) und imaginiert keine Welten. Stattdessen ist das Welt-Bild das Ergebnis der aggressiven westlichen ExpansionExpansion.

      In Nancys Ausführungen ist ‚Welt‘ (monde) dagegen ein Innenraum, Gegenstand einer intrinsischen Perspektive, „einer unhintergehbaren Innerweltlichkeit“, die keinen Blick von außen, „sondern einen Blick auf die Welt aus dieser Welt heraus“ (Moser 40) beschreibt. Eine Ausnahme stellt dabei die ‚fremde Welt‘ dar, die vor dem Betrachter liegen kann (s.o.).

      Damit hebt Nancy ‚Welt‘ (monde) dezidiert aus einer automatisierten Verwendung als Bezug auf die Welt heraus, zugunsten eines erschwerten Umgangs mit ‚Welt‘, insofern diese nicht ohne Weiteres als Ganzes sichtbar ist und sich auffächert in mehrere Welten. ‚GlobalisierungGlobalisierung‘ ist, wie Nancy in diesem Zusammenhang weiter ausführt, für ihn ein Prozess, der die Singularisierung der FdG ‚monde‘ herbeiführt. Ganz in diesem Sinne ist auch Nancys weitere Konzeptualisierung von ‚Globalisierung‘ als Vorgang des ‚Verknäuelns‘ zu lesen, welche die Etymologie von globus und glomus (lat. für Knäuel)6 aktualisiert – und so die AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems) der Globalisierung ins Bild zu rücken versucht (vgl. Nancy 14).Einheit7 Eine in Frage gestellte SichtbarkeitSichtbarkeit (von Ganzheit), sowie ein genereller Zweifel an der aktiven Rolle des Menschen als „Repräsentant des Seienden im Sinne des Gegenständigen“ (Heidegger 91), wie Heidegger sie stark macht, stehen bei Nancy somit im Vordergrund.

      Festzuhalten bleibt hier, dass die Perspektive auf die GanzheitGanzheit in der Regel (und historisch) eine extrinsische Perspektive bevorzugt.8 In einer unterbrechenden Geste, wie gerade anhand der Arbeit Nancys an der FdG ‚monde‘ dargestellt, wird diese Haltung nicht geteilt. Damit soll eine solche ent-automatisierende Geste des Bestehens auf dem Innenraumcharakter von Ganzheit – etwa im Falle von Welt/monde – als Sonderfall im Denken über Ganzheit betont werden, der besondere Aufmerksamkeit verdient. Wie erst jüngst gezeigt wurde, lässt sich ein Trend in aktuellen Theorien beobachten, der in diese Richtung geht: „Neuere Globalisierungstheorien unternehmen […] den Versuch, globale Zusammenhänge ‚von ebener Erde aus‘, ‚aus der Welt heraus‘ darzustellen.“ (Moser 40), so etwa durch die „Metaphorik der global landscapes“ oder die des „Welthorizonts“, denn dieser „impliziert die Absicht, den Globus in die Horizontale zu bringen“ (Moser 41) und ihn nicht länger aus einer vertikal erhöhten Position zu visualisieren. Damit gewinnt eine große Skepsis gegenüber der AußenperspektiveAußenperspektive (auchextrinsische Perspektive) konzeptuelle Gestalt, die Osterhammel und Petersson zur Frage formen: „Ist es unumgänglich, die Welt ‚von oben‘ zu sehen? Läßt sie sich nicht auch ‚von unten‘ konstruieren?“ (20) Hier bleibt festzuhalten, dass Ganzheit aus zwei verschiedenen Blickperspektiven gedacht werden kann und dass diese Perspektiven verschieden gelagerte Funktionen und Interessen haben.

      Arendt weist jedoch darauf hin, dass dem Blick auf das Ganze nicht immer ganz zu trauen ist: „If the human eye can betray man to the extent that so many generations of men were deceived into believing that the sun turns around the earth, then the metaphor of the eyes of the mind cannot possibly hold any longer“ (275). In dieser Studie bleibt aufzuzeigen, wie sich die untersuchten literarischen Texte zu diesen unterschiedlichen Perspektiven verhalten – und welche Täuschungen sie aufzudecken vermögen.

      Diese äußere (Blick-)Perspektive ist immer auch mit der Kompression von GanzheitGanzheit zusammenzudenken, bzw. mit der erhöhten Geschwindigkeit des Welt-Verkehrs verknüpft, wie Arendt deutlich macht:

      The fact that the decisive shrinkage of the earth was the consequence of the invention of the airplane, that is, of leaving the surface of the earth altogether, is like a symbol for the general phenomenon that any decrease of terrestrial distance can be won only at the price of putting a decisive distance between man and earth, of alienating man from his immediate earthly surroundings. (Arendt 251)

      Das Komprimieren von Distanzen setzt also eine – zunächst metaphorisch verstandene – ‚Distanz‘ zwischen den Menschen und der Erde voraus, die als Fremdwerdung („alienating“) der unmittelbaren terrestrischen Umgebung zu verstehen ist. Gleichzeitig wird von Arendt hier eine räumliche (und im Fall des Flugzeugs: reale) Distanz besprochen; diese Struktur einer doppelten ‚Distanz‘ ließ sich auch schon oben bei Cosgrove erkennen. Die Kompression der Erde entfernt den Menschen von dieser im doppelten Sinne, eine Distanz, für die das (damals) schnellste Mittel räumlicher Kompression – das Flugzeug – bei Arendt als „Symbol“ einsteht. Der Abstand des von Arendt bemühten Flugzeugs zur Erdoberfläche setzt denselben ‚extrinsischen Gestus‘ in Szene, auf dem die besprochenen Blickperspektiven fußen.

      2.2 Unsichtbarkeit und Paranoia

      Den im vorhergehenden Abschnitt genannten Blickperspektiven ist gemeinsam, dass sie eine SichtbarkeitSichtbarkeit (von Ganzheit) generieren, die natürlich nicht gegeben ist. Nun ist zusätzlich auf einige weitere Ansätze einzugehen, die sich der Thematik der Sichtbarkeit von GanzheitGanzheit aus anderen Richtungen annähern. Fredric Jameson geht explizit von einer ‚Unzugänglichkeit‘ von stark raumgreifenden Zusammenhängen aus, ohne diese über die Metaphorik des Sehens (oder Nicht-Sehens) zu konzipieren. Zweitens soll – unter Bezug auf Emily Apter – auf eine ‚hypersensible Allsichtigkeit‘ im Kontrast zur These der ‚Unsichtbarkeit‘ des Ganzen hingewiesen werden.

      Jameson führt in Cognitive Mapping aus:

      [G]lobal realities are inaccessible to any individual subject or consciousness– […] –which is to say that those fundamental realities are somehow ultimately unrepresentable or, to use the Althusserian phrase, are something like an absent cause, one that can never emerge into the presence of perception. Yet this absent cause can find figures through which to express itself in distorted and symbolic ways: indeed, one of our basic tasks as critics of literature is to track down and make conceptually available the ultimate realities and experiences designated by those figures, which the reading mind inevitably tends to reify and to read as primary contents in their own right. (350; Hervorhebung T.E.)

      Die Abwesenheit der Metaphorik des Sehens ist – gerade im Kontrast zu den bisher untersuchten Ansätzen – auffallend. Jameson spricht betont neutral von einer „unzugänglichen Realität“, von deren Nicht-Repräsentierbarkeit, und einer sehr allgemein gehaltenen „Wahrnehmung“. Laut Jameson steht die individuelle Erfahrung und Wahrnehmung in einem Verhältnis völliger Disjunktion zu den „global realities“, der maßgeblichen sozialen Totalität. Die von Jameson beschriebenen Zusammenhänge (bezogen auf die aktuelle, spät-kapitalistische Stufe der GlobalisierungGlobalisierung) sind nicht unmittelbar wahrnehmbar oder evident, und bedürfen daher erheblicher – literaturwissenschaftlicher – Arbeit, um sie erkenn- und wahrnehmbar werden zu lassen. Die von ihm so genannte ‚konzeptuelle Arbeit‘ kann, so Jameson, „global realities“ verfügbar machen. Auch wenn Jameson hier eine Analyse der Gegenwart bespricht, ist die vorliegende Studie zu einem