Welt als Körper. Thomas Erthel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Erthel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772001031
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Außerhalb dieser Domänen jedoch ist mit der Rede von der Ganzheit die – im jeweiligen Kontext – bestimmende Größe (zumeist: ohne Außen) gemeint. C. S. Lewis schreibt zu diesem Sachverhalt: „[I]f all absolutely, then it [world; T.E.] means universe; if ‘all that usually concern us humans’, then it means earth.“ (215) Ob diese konkrete Beschreibung nun in jedem Fall zutrifft oder nicht – sie beruht jedenfalls auf der bereits beschriebenen Unterscheidung zwischen der umfassendsten „Skalierung“ (Stockhammer, „Welt“ 50) von ‚Welt‘ einerseits und der Ganzheit des Teils andererseits.5

      Wallerstein vollzieht die oben untersuchte Unterscheidung zwischen Welt mit bestimmtem und unbestimmtem Artikel, um deutlich zu machen, dass das Welt-SystemWelt-System des KapitalismusKapitalismus (Welt-System) nicht natürlich entstanden ist, und seine Werte nicht von universaler Gültigkeit sind. Stattdessen stellt es nur eine Welt/ein Welt-System dar, welches sich in einem historischen Prozess über die ganze Erde ausgebreitet hat. Es ist somit als Ergebnis eines spezifischen Vorgangs global geworden.

      The pan-European world, dominating the world-system economically and politically, defined itself as the heart, the culmination, of a civilizational process which it traced back to Europe’s presumed roots in Antiquity. Given the state of its civilization and its technology in the nineteenth century, the pan-European world claimed the duty to impose itself, culturally as well as politically, on everyone else–Kipling’s “White man’s burden,” the “manifest destiny” of the United States, France’s mission civilisatrice. (Wallerstein, World-Systems 66)

      Insofern dem einen Welt-SystemWelt-System des KapitalismusKapitalismus (Welt-System) andere Welt-Systeme vorausgingen, ist die kapitalistische Ordnung nicht als die ‚beste aller möglichen Welten‘ anzusehen. D.h., das aktuelle Welt-System ist kein Fortschritt gegenüber vorgängigen Welt-Systemen (vgl. Wallerstein, Capitalism 97–110). Es erweckt lediglich diesen Anschein, indem es die Idee des Fortschritts zu einem seiner Leitmotive erklärt (vgl. Wallerstein, Universalism 33 und Mbembe 25). Doch dies gilt nicht nur für das aktuelle Welt-System, denn Wallerstein hält fest: „There never was a golden era.“ (Capitalism 136) Welten lösen einander ab, und die Frage ihrer Bewertung ist hochkomplex. Zwar tritt Wallerstein den Versuch an, die Frage zu beantworten, ob es der Mehrzahl der Menschen im Feudalismus nicht vielleicht ‚besser ging‘, als im anschließenden Kapitalismus (vgl. ebd.), doch er ist – trotz seiner generell äußerst skeptischen Haltung gegenüber dem von ihm beschriebenen kapitalistischen Welt-System – in seinen Schlussfolgerungen hier vorsichtig. Er beschränkt sich auf die Aussage, dass es immerhin nicht ausgeschlossen sei, dass der Kapitalismus für die Mehrheit der Menschen keine deutliche Verbesserung mit sich brachte: „It is, let me say, at the very least by no means self-evident that there is more liberty, equality, and fraternity in the world today than there was one thousand years ago“ (Capitalism 100).

      Doch stellt sich, vor dem Hintergrund des bisher Gesagten, immer noch die Frage nach dem Grund für die Wahl der FdG ‚world‘ durch Wallerstein. Wieso spricht er vom Welt-SystemWelt-System, wenn das doch die Möglichkeit birgt, die eine Welt des KapitalismusKapitalismus (Welt-System) als die Welt misszuverstehen, und so eine ‚Naturalisierung‘ des Kapitalismus zu befördern? Bzw. ließe sich genauer fragen, wieso Wallerstein nicht von Systemen spricht – und die FdG ‚Welt‘ nicht einfach ganz fallen lässt?

      Einige plausible Antworten sind möglich: Erstens lässt sich festhalten, dass Wallerstein vom KapitalismusKapitalismus (Welt-System) als selbstbezügliches System spricht (Kapital wird angehäuft, um weiteres Kapital anzuhäufen). Selbstbezüglichkeit ist eine in mehreren Texten genannte Bedeutungsnuance von ‚Welt‘.6 Mit dem Hinzufügen von ‚Welt‘ betont Wallerstein also diesen speziellen Charakterzug des kapitalistischen Systems.

      Zweitens ist die Tatsache der geografischen Ausbreitung des Welt-SystemWelt-Systems, die Wallerstein wiederholt betont, von großer Wichtigkeit:

      There is indeed a modern world-system, and it is truly different from all previous ones. It is a capitalist world-economy, which came into existence in the long sixteenth century in Europe and the Americas. And once it was able to consolidate itself, it followed its inner logic and structural needs to expand geographically. It developed the military and technological competence to do this, and was therefore able to incorporate one part of the world after another, until it came to include the entire globe sometime in the nineteenth century. (Universalism 47f.)

      Die geografische Ausbreitung des world-system wird von Wallerstein an mehreren Stellen erwähnt, und seine Terminologie bleibt dabei stets konsistent: Das world-system breitet sich über den „globe“ aus. Die FdG ‚world‘ unterhält also in Wallersteins Verwendung eine integrale Beziehung zur FdG ‚globe‘. Entsprechend der Logik einer immer umfassenderen ExpansionExpansion wird das System ab einem bestimmten Zeitpunkt global. Wallerstein aktualisiert so die Bedeutung von ‚Welt‘ als ‚flexible Ausdehnung‘. Der Begriff ‚Welt‘ erlaubt Wallerstein ein sich ausbreitendes System zu beschreiben, das relativ klein beginnt, und schließlich global wird. Die FdG ‚Welt‘ ist ideal geeignet, dieses Anwachsen zu beschreiben, und kann, ohne die geringste Irritation, sowohl den Beginn als auch das ‚globale Endstadium‘ der Ausbreitung des Systems bezeichnen. Hayot fasst alle bisher genannten Aspekte wie folgt zusammen:

      World-systems are worlds, in the sense that they constitute a self-organizing, self-enclosed, and self-referential totality; but they are not to be confused with the actual world, which–though it is also, of course, a world–is the only world whose geographic scope coincides exactly with that of the Earth. (32)

      Der Gefahr einer Naturalisierung eines historischen Systems durch die Wahl der FdG ‚world‘ tritt Wallerstein explizit entgegen; sie ist im Wort ‚Welt‘ ursächlich bereits angelegt, was seinen expliziten Kommentar nötig werden lässt. Anders gesagt lässt sich die Rede von ‚Welt‘ selbst in den skeptischen und vorsichtigen Ausführungen Wallersteins nicht ganz von ihrem totalisierenden Charakter befreien, der daher ausdrücklich abgewiesen werden muss.

      Es handelt sich demnach bei Wallersteins Art der Beschreibung der Geschichte seit dem 16. Jahrhundert um die Darstellung einer schrittweisen Expansion, geprägt von der spezifischen Perspektive der Kapitalismusanalyse (vgl. hierzu Robertson, Globalization 15). Diese Analyse ist in ihrer Verwendung von FdG bemerkenswert präzise, insofern sie ihre Verwendung von world explizit und nuanciert diskutiert. Besagte Nuancierung wirkt einer Gleichsetzung von einer Welt mit der Welt entgegen, die einer Naturalisierung des aktuellen Welt-SystemWelt-Systems gleichkäme, und betont damit, dass ‚unsere Welt‘ ihrer Extension nach nicht immer global war – und deswegen nicht als alternativloses System angesehen werden muss.

      Jede Rede von ‚Welt‘ muss also, wenn sie den Überlegungen von Wallerstein gerecht werden will, stets zwischen bestimmtem und unbestimmtem Artikel unterscheiden, bzw. lässt sich der Imperativ ableiten, die Analyse von FdG nie losgelöst vom jeweiligen historischen Kontext vorzunehmen.

      1.4 Asymmetrie und Ein(s)heit

      Franco Moretti ist ausgewiesener Rezipient der Arbeiten Wallersteins und versucht deren Beiträge zu den Literaturwissenschaften wiederholt auszuloten (vgl. „World-Systems“ 67–71). Entsprechend konzis ist seine Zusammenfassung der grundsätzlichsten Eigenschaften der aus der ExpansionExpansion des Welt-SystemWelt-Systems hervorgehenden ‚Welt‘:

      The world becomes one, and unequal: one, because capitalism constrains production everywhere on the planet; and unequal, because its network of exchange requires, and reinforces, a marked power unevenness between the three areas [Zentrum, Peripherie, Semiperipherie; T.E.]. („World-Systems“ 70)1

      Das Welt-SystemWelt-System bringt also einen Zusammenhang hervor,Einsheit (Unicity)2 „because capitalism constrains production everywhere on the planet“, und spannt ein globales ‚NetzNetz‘.3 Diese bewusst gewählte Metapher darf jedoch nicht missverstanden werden, wie Osterhammel und Petersson in Bezug auf ihre Konzeption von ‚GlobalisierungGlobalisierung‘ ausführen:

      Das