Welt als Körper. Thomas Erthel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Erthel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772001031
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of the Market kann hier verwiesen werden, in dem er, mit Bezug auf Marx, von einer – diesmal explizit so genannten – ‚Unsichtbarkeit‘ des „capitalist market system“ (5) ausgeht. Er beendet dabei seine literarischen Analysen, die bis zu Shellys und Shakespeares Texten zurückgehen, mit einer Untersuchung des Verhältnisses zeitgenössischer afrikanischer Zombieliteratur zur ‚GlobalisierungGlobalisierung‘. Seiner Hauptthese zufolge lassen MonsterMonster in der Literatur das kapitalistische System sichtbar werden.1 Mittel zur Sichtbarmachung eines stark raumgreifenden Zusammenhangs – des besagten capitalist market systems – sind demnach literarisch auf spezifische Weise inszenierte Körper (vgl. hierzu genauer III.4.4). Hier ist nur festzuhalten, dass auch McNally, ganz wie Jameson, von einer Unverfügbarkeit des Ganzen ausgeht, wobei beide Autoren eine marxistische Perspektive verbindet, auf die die These von der Unsichtbarkeit kapitalistischer Zusammenhänge zurückzuführen ist (vgl. McNally 5–9).

      Doch kann der Prozess der ‚konzeptionellen Verfügbarmachung globaler Realitäten‘ auch völlig anderes eingeschätzt werden. So schlagen Apters Ausführungen zu der von ihr so genannten ‚oneworldedness‘ vor, einen Extrempunkt des Nachdenkens über die GanzheitGanzheit als ‚ParanoiaParanoia (Oneworldedness)‘ zu beschreiben. Paranoia ist damit die Steigerung von Vorstellungen, wie sie Netzwerktheorien oder der Slogan „everything is connected“ transportieren, hin zu einer Vorstellung vom Ganzen, in der jedes größere politische Ereignis und jeder relevante Handlungsträger mit allen anderen Ereignissen und Handlungsträgern verknüpft werden kann. Interessant ist dabei vor allem Apters Beobachtung, dass die Größe einer solchen ‚Welt‘ der oneworldedness gleichzeitig sehr groß und sehr klein ist, insofern sie alle Ereignisse und Handlungsträger enthält und verknüpft, und die gesamte Welt auf einen Erklärungszusammenhang reduziert (namentlich den vom paranoiden Denken gewählten):

      In this picture, as the world expands to include everybody, it paradoxically shrinks into a claustrophobic all-inclusiveness. Paranoid oneworldedness obeys a basic law of entropy that posits that increased disorder diminishes available energy within the confines of a closed system. (370)

      Die Darstellung oder Konzeption von GanzheitGanzheit setzt notwendig voraus, dass ein großer Zusammenhang auf eine (wörtlich und übertragen verstanden) überschaubare Größe reduziert wird (s.o. bei Arendt). Steigert sich diese Reduktion ‚zu weit‘ und gerät ‚zu nah‘ an eine „claustrophobic all-inclusiveness“, dann läßt sich mit Apter von paranoider „oneworldedness“ sprechen. Die Grenzen verlaufen hier nicht trennscharf, denn die Beschreibung als ‚zu weit‘ bezieht sich nicht auf eine sichere Skala. So gesehen laufen alle Vor- und/oder Darstellungen von Ganzheit Gefahr, paranoid zu werden, bzw. sind es alle zu einem gewissen Grade notwendigerweise. Am anderen Ende des Spektrums steht jedoch eine Perspektive auf die Ganzheit, in der sich diese als chaotische, unmöglich zu überschauende Menge an Informationen und Ereignissen präsentiert, die unmöglich zu deuten ist, und die – mit Jameson gesprochen – gänzlich absent bleibt. Anders gesagt: ‚Konzeptuelle Arbeit‘ mit dem Anspruch größere Zusammenhänge zu fassen, kann immer in paranoide Erklärungsmuster verfallen. Die Alternative jedoch erscheint mindestens ebenso unattraktiv: mit einer unbegreiflichen Menge an Ereignissen und Informationen konfrontiert zu sein, die nicht als ‚Welt‘ gefasst (oder: zu einer solchen reduziert, geordnet) und damit nicht verständlich werden kann.

      Aus dieser Perspektive betrachtet, erscheint auch Wallersteins Ansatz als potenziell paranoid – und nicht umsonst geht Apter am Beginn ihres Textes von Wallersteins Welt-SystemWelt-System aus: „Wallerstein’s central idea of the world as one but unequal is easily extended to a paradigm of planetary paranoia marked by cyber-surveillance, cartographies of cartels, and webs of international relationality within and outside the nation, and on the edges of legality.“ (365) Apter will damit jedoch nicht gesagt haben, Wallersteins Beschreibungen seien tatsächlich paranoid:

      ParanoiaParanoia (Oneworldedness), I am suggesting, underwrites a one-worldist paradigm that differs from transnational or global ascriptions of world-systems theory in fully realizing the psychotic dimension of planetarity. (370)

      Das Risiko der ParanoiaParanoia (Oneworldedness) anheimzufallen ist unumgänglich, doch gleichzeitig ist Reduktion der unvermeidbare Grundmodus des Sprechens über GanzheitGanzheit, vorausgesetzt es will „global realities“ (Jameson, „Mapping“ 350) zur Darstellung bringen.

      2.3 ‚Welt‘ und Literatur

      Wie ist die Literatur in das Problemfeld der Darstellung von GanzheitGanzheit einzuordnen? Aus der hiesigen Perspektive ist auf die weitverbreitete Vorstellung einzugehen, dass Literatur fiktive Welten erzeugt, bzw. auf den Gemeinplatz, literarische Texte erzeugten/seien ‚Welten im Kleinen‘. Christian Moser und Linda Simonis äußern sich wie folgt zum Verhältnis zwischen ‚Welt‘ und Literatur:

      Indem Literatur fiktive Welten entwirft, verfehlt sie nicht etwa ihren Weltbezug, sie stellt ihn allererst her. Die Bedeutung, die Literatur für Globalisierungsprozesse gewinnen kann, beruht gerade auf ihrer Fähigkeit, fiktive Welten zu produzieren. Wenn GlobalisierungGlobalisierung ein Bewusstsein von der EinheitEinheit der Welt beinhaltet, dann ist sie auf die Existenz von Bildern und Narrativen angewiesen, die diese Einheit vorstellig machen. Das Ganze der Welt ist der Wahrnehmung nicht zugänglich – es bedarf imaginärer (literarischer und künstlerischer) Weltentwürfe, um diese zu veranschaulichen. (12)

      Einerseits entsprechen diese Darstellungen zu weiten Teilen dem von Jameson als ‚konzeptueller Arbeit‘ gefassten Vorgang, insofern Moser und Simonis „Bildern und Narrativen“, die sich in der Literatur finden, die Funktion zuschreiben, die „EinheitEinheit vorstellig [zu] machen“. Der Fokus auf dem Problem der Sichtbarmachung und Veranschaulichung, das hier genannt wird, lässt sich ebenfalls in die bisherigen Ausführungen eingliedern, insofern mehrfach beschrieben wurde, dass das „Ganze der Welt […] der Wahrnehmung nicht zugänglich“ ist.

      Andererseits illustriert die zitierte Passage ein Verständnis der Relation zwischen Literatur und ‚Welt‘, von dem ich mich absetzen möchte. Denn im Passus werden zwei grundverschiedene Bedeutungen der FdG ‚Welt‘ gleichgesetzt: ‚Welt‘ als Wort zur Beschreibung der ‚sozialen Realität‘, wie „Globalisierungsprozesse“ sie hervorbringen einer-, und ‚Welt(en)‘ als Wort zur Benennung des von Texten hervorgebrachten ‚abgeschlossenen Ganzen‘ andererseits (dessen Status, wie zu zeigen ist, alles andere als unmittelbar evident ist; vgl. Hutchinson 174–177; Hayot 44–47). Durch das Gleichsetzen dieser beiden Bedeutungen wird die Relevanz von Literatur für „Globalisierungsprozesse“ postuliert: Insofern Literatur selbst ‚Welten‘ generiere, könne sie gar nicht anders, als ‚welthaltig‘ zu sein. Die vermeintliche Evidenz der Tautologie dieser Behauptung verdeckt dabei, dass das Verhältnis zwischen fiktiven ‚Welt(en)‘ und ‚unserer Welt‘ nicht schlicht auf das doppelte Auftauchen des Wortes ‚Welt‘ reduziert werden kann. Denn, dass literarische Texte eine Welt, oder Welten, generieren, sagt noch nichts über das Verhältnis dieser Einzelwelten zu der Welt (im Sinn der ‚GanzheitGanzheit der sozialen Realität‘) aus. Auch wenn sich ein solcher Zusammenhang zwischen literarischen Welten und der ‚Welt‘ natürlich untersuchen lässt (und von der Literaturwissenschaft weiter untersucht werden sollte), so wird er hier, unzulässig, mittels einer nur scheinbar stimmigen Entsprechung – ‚Welt‘ hier und ‚Welt‘ da – gesetzt.

      Stattdessen müsste man genauer die Frage stellen, wie Literatur fiktive Welten generiert – denn diese Annahme wird allzu leicht als Gemeinplatz hingenommen (vgl. Pavel 43–72). Zunächst wäre dazu die „tension between world as whole world and world as self-contained unity“ (Hayot 45) zu adressieren. Hayot führt außerdem aus:

      Literary critics have usually, however, focused on the artwork’s world-content, not world-form, trusting the general concept of aesthetic or generic form to address the work’s relation to worldedness. This pattern of thought means that the world-forming quality of the work, though often sensed or felt, has rarely been directly looked at. Novels, we all know, have certain kinds of worlds. But what kinds? (25)

      So wäre also weiter zwischen ‚Welt-Form‘