Welt als Körper. Thomas Erthel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Erthel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772001031
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Metaphern wie ‚Welt der Maulwürfe‘ oder ‚Welt der Mäuse‘ üblicherweise im eng benachbarten syntaktischen Kontext präzisiert werden müssen (sei es durch ganze Erzählungen, sei es durch abgekürzte Genitivattribute), scheint die Verwendung von ‚Welt‘ in der Bedeutung von Erde keiner ausdrücklichen Bestimmung zu bedürfen. (Stockhammer, „Welt“ 50)

      So ist also festzuhalten, dass die unbestimmte Rede von ‚Welt‘ in der Regel als „in der Bedeutung von Erde“ zu verstehen ist. Ein zu starker Fokus auf diesen Sonderfall kann nichtsdestotrotz den Blick für andere Bedeutungsvarianten von ‚Welt‘ trüben.

      Wenn ‚Welt‘ also sowohl die GanzheitGanzheit eines Teils als auch die Ganzheit des Ganzen bezeichnen kann, so ist im Einzelfall die Bedeutung jeweils neu zu ermitteln; es ist jeweils neu zu bestimmen, welches ‚Ganze‘ bezeichnet werden soll, d.h. wie total die evozierte Totalität ist. So muss ‚Welt‘ stets in ihrem Potenzial, verschiedene Ganzheiten zu fassen, begriffen werden.

      Diese Konstellation führt, wie Hayot anhand mehrerer Beispiele demonstriert, zu zahllosen Missverständnissen, und er schlussfolgert „that no one has a very good theory of the world“ (Hayot 40).

      Faced with this problem, a task: to come up with a better theory of the world, and of the relationship between the world and literature. Not to produce a mediating relay between world literature and world-systems, but to see if a third analysis, focusing on the ontology of composed works, can bring “world” differently into the scene. And to see, then, if such a theory makes any difference to our understanding of world literature or the history of worldedness as an aesthetic and cultural phenomenon–as a symptom and as a compass for the history, in other words, of totality as a function of the human imagination. (Hayot 40f.)

      Hayot schlägt als Alternative vor, world auf eine Art und Weise zu definieren, die die besagten Ambivalenzen explizit ausbuchstabiert – und world außerdem von einem Nomen in ein Verb wandelt: „To world is to enclose, but also to exclude“ (39). Hayot schreibt weiter: „What falls in the ambit of those enclosures and exclusions will determine the political meaning of any given act of world-making, as it does so in our debates on world literature.“ (40) Damit liefert er eine Formulierung, die den ambivalenten Charakter von ‚Welt‘ expliziert. Der Vorteil dieser Definition Hayots besteht darin, dass sie keineswegs unbeweglich ist, sondern eine flexible ‚sowohl-als-auch‘-Struktur vorgibt, die auf eine in ‚Welt‘ eingeschlossene Ungleichheit verweist.

      Abschließend lässt sich hier Folgendes zusammenfassen: Der Umfang, den FdG bezeichnen und evozieren, kann im Einzelfall deutlich variieren. Starke Definitionsakte versuchen diesen Unsicherheiten zu begegnen, sie können sie jedoch nicht ausräumen. Ein möglicher Weg, dieser schwierigen Ausgangslage gerecht zu werden, besteht in dem bereits weiter oben (Abschnitt I) beschriebenen Verständnis von ‚Welt‘, ‚Erde‘, ‚Globus‘ etc. als Figuren, welches ein stets neues Bestimmen der Bedeutung von FdG erlaubt.

      1.3 ‚Eine‘ Welt und ‚die‘ Welt

      Laut Immanuel Wallerstein ist es die Grundeigenschaft des KapitalismusKapitalismus (Welt-System), Kapital anzuhäufen um – ad infinitum – weiteres Kapital anzuhäufen:1 „Using such a definition, only the modern world-system has been a capitalist system.“ (World-Systems 24) Die kapitalistische Natur des Welt-SystemWelt-Systems wiederum hat dessen ExpansionExpansion stetig vorangetrieben. Aus der Perspektive der hiesigen Studie drängt sich mit Blick auf Wallersteins Terminologie die Frage auf, warum Wallerstein das von ihm beschriebene kapitalistische System konsequent an die FdG ‚world‘ bindet. Wallerstein selbst beschreibt, dass es ihm in seiner Verwendung von ‚world-system‘ nicht um die Welt zu tun ist, sondern um eine Welt, und geht damit explizit auf eine wesentliche Differenzierung ein:

      Note the hyphen in world-system and its two subcategories, world-economies and world-empires. Putting in the hyphen was intended to underline that we are talking not about systems, economies, empires of the (whole) world, but about systems, economies, empires that are a world (but quite possibly, and indeed usually, not encompassing the entire globe). This is a key initial concept to grasp. It says that in “world-systems” we are dealing with a spatial/temporal zone which cuts across many political and cultural units, one that represents an integrated zone of activity and institutions which obey certain systemic rules. (World-Systems 16f.)

      Zunächst ist zu erwähnen, dass es laut Wallerstein mehrere Welt-SystemWelt-Systeme gab, welche dem aktuellen (kapitalistischen) Welt-System vorausgingen; daraus erklärt sich auch der Plural im Namen der Disziplin: world-systems-analysis. Im zitierten Passus verdeutlicht Wallerstein durch eine eingeschobene Klammer, dass ‚Welt‘ mit bestimmtem Artikel diese in ihrer Gänze bezeichnet („the (whole) world“). Doch diese Bedeutung soll die Wortbildung ‚world-system‘ dezidiert nicht aufrufen.2 Denn eine Welt ist in ihrer Ausdehnung, laut Wallerstein, in der Regel nicht global, das heißt eine Welt umspannt „gewöhnlich nicht“ den ganzen Globus. Potenziell jedoch kann eine Welt den ganzen Globus umfassen. Dieser Fall trifft jedoch nur auf das kapitalistische Welt-System zu, welches sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts etabliert, denn nur dieses umspannt, am Ende eines langen historischen Prozesses, den ganzen Globus („globe“). Vorgängige „Welt-Ökonomien“ und „Welt-Imperien“ waren nicht (und das heißt: zu keinem Zeitpunkt ihrer Existenz) globus-umspannend.

      Auch in Historical Capitalism (vor allem 97–101) beschreibt Wallerstein, dass der ‚Welt‘ des aktuellen Welt-SystemWelt-Systems andere Welt-Systeme oder Welten („the worlds before historical capitalism“, 100) vorausgingen. „The […] use of the plural is necessary because, strictly speaking, the term ‘world’ does not necessarily, in world-systems theory, apply to the entire world.“ (Robertson, Globalization 14) ‚Welthaftigkeit‘ ist also dezidiert keine dem aktuellen Welt-System vorbehaltene Eigenschaft. Das kapitalistische Welt-System ist jedoch insofern einzigartig, als es im Zuge seiner ExpansionExpansion schließlich doch erdumspannend installiert wird.

      In der Zeitspanne von ca. 1600 bis „sometime in the 19th century“ (Wallerstein, Universalism 48) stellt das kapitalistische Welt-SystemWelt-System damit eine Welt dar. Ab einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt im 19. Jahrhundert19. Jahrhundert (Welt-System) – womit ein Übergang ohne klares Schwellenereignis postuliert wird3 – wird das kapitalistische Welt-System global. Wallersteins eigene Ausführungen zu „world“ anwendend, lässt sich sagen, dass sich das kapitalistische Welt-System von einer Welt hin zu einem Welt-System, dass die Welt umspannt, ausbreitet – womit sich die Bedeutung von ‚Welt‘ im Welt-System wandelt. Die eine ‚Welt‘ des kapitalistischen ‚Welt-Systems‘ bezeichnet nach ihrer Globalwerdung die Welt, d.h. sie umfasst die ganze Extension der Erde.

      Worauf Wallerstein damit hinweist, ist die Tatsache, dass es ein signifikanter Unterschied ist, ob man von ‚GanzheitGanzheit‘ mit oder ohne bestimmtem Artikel spricht. Roland Robertson erwähnt die Unterscheidung zwischen einer Welt einerseits und der Welt andererseits in seinem Werk Globalization (1992) eher beiläufig, als eingeklammerten Einschub: „a world that is increasingly compressed (and indeed often identified as the world)“ (98; Hervorhebung T.E.), was den Status dieser oft übersehenen, bzw. wenn überhaupt dann nur en passant getroffenen, Unterscheidung deutlich illustriert. Worauf Robertson im Kotext des Zitats anspielt, ist die Tatsache, dass die meisten Globalisierungstheorien (in deren Kontext Robertson sich hier bewegt und verortet) von einem Eins-Werden des globalen Zusammenhangs ausgehen; die komprimierte ‚Welt‘ kennt kein Außen mehr, weshalb sie als die Welt bezeichnet werden kann. Da es (so die Annahme, die dem logisch zugrunde liegt) keine anderen Neben- oder Teil-Welten mehr gibt, ist die Unterscheidung zwischen einer Welt und der Welt anscheinend hinfällig. Bemerkenswert ist jedoch, dass Robertson keinen Bedarf sieht, sich hier zu erklären, gerade angesichts seines im Allgemeinen äußerst explikativen Stils.

      Von der GanzheitGanzheit im engeren Sinn – von „all absolutely“ (Lewis 215, s.o.) also, der allumfassenden Extension, die man heute zumeist als ‚UniversumUniversum (Figur der Ganzheit)‘