Shit.
Der Geruch meines verbrannten Fleisches löste meinen Würgereflex aus. Ewig hatte ich mich nicht mehr geekelt. Auf der Straße bekam ich einiges mit. Meine Hand stoppte über der Wunde. Ich traute mich nicht, sie zu berühren. Mehrmals kamen meine Finger gefährlich nahe. Immer wieder zuckte ich zurück.
Keine Ahnung, was man in so einem Fall machte. Ich sah mich um. Nirgends fand ich auch nur einen Tropfen Wasser. Nachdem ich die Suche aufgab, blickte ich hinter den Busch.
Noch immer nichts. Nur dieser Baum in der Mitte, der gefühlt zwanzigmal so groß war wie ich. Die Fläche rundum stand in Flammen. Das Feuer knackte leise und hinzu kamen piepsige Schreie in meinem Ohr sowie dieser Drang, die Pflanzen vor dem Feuer zu retten.
»Verfluchter Mist, was mache ich nur?« Mehrmals schlug ich mit der Faust auf den Boden.
Okay, ich musste die Lage rekapitulieren. Was hatten wir da? Irgendwo endete dieser Garten voller Bäume an einem unsichtbaren Schild, der mich elektrisierte, sobald ich ihn berührte. Ja, ich war so dumm gewesen und hatte das ausprobiert. Das Feuer engte mich ein. Den Drecksbaum in der Mitte, der bis zum Kuppeldach reichte, umgab ab der Hälfte ebenfalls ein Schild, sodass ich es nicht schaffte, hochzuklettern. Immer wieder erinnerte mich der Todesgarten an den bei meiner Ankunft, aber sie unterschieden sich dennoch. Ein Baum, den ich noch nie gesehen hatte. Die Rinde glitzerte golden und die weinroten Blätter funkelten am Rand. Oh, und dann gab es da noch die Hitze, die mir den Schweiß aus allen Poren trieb.
Was sollte dieser Scheiß? Wie konnte mich ein fliegender Samen einer Pusteblume in einen Garten schmeißen und die wohl wichtigste Frage: Warum gerade ich?
Voller Aggressionen, die mich innerlich auffraßen und stärker loderten als jede Flamme unter dieser vermaledeiten Kuppel, stand ich auf. Mein Fuß schmerzte. Ich humpelte zum Baum in der Mitte, während das Feuer mich verfolgte, und ja, beinah genoss ich den Schmerz, da er mir die Sicherheit gab, nicht zu träumen.
»Und? Was jetzt?« Ich schrie einen Baum an.
Es war offiziell: Ich ging zu Grunde.
»Fühlst du dich toll? Wie du da stehst und mir nicht hilfst? Wenn ich brenne, brennst du auch.«
Das Feuer rollte auf uns zu, wie eine Welle, die sich ihren Weg bahnte. Alles rundum hatte das Feuer bereits verschluckt. Der Baum und ich gegen die Flammen.
Trotz all meiner Wut taten mir die sterbenden Blumen, Gräser und Bäume leid. In Griechenland gab es doch ständig Brände. Die Sommer waren heiß. Warum dann dieses Mitleid?
»Fein, ich gebe auf. Dann bin ich eben eine Pflanzenmagierin. Okay? Hier, ich sage es. Ich bin eine von euch. Das ist alles wahr. Zufrieden? Lass endlich deine Äste runter und hilf mir zu dir rauf.« Ich schlug auf den Stamm des Baumes ein und rempelte ihn an.
»Na? Gar nichts? Kein kleiner Zweig, der sich runter beugt?« Ich schnaubte belustigt. Doch das wandelte sich rasch zu einem Zischen, als Schweiß in meine Brandwunde floss.
»Au!« Das Au stammte nicht von mir.
Sprach die Natur zu mir? »Jetzt geht’s aber los.«
Wieder dieser Schwindel, der mich verfolgte.
All das laugte mich aus. Ich ließ mich zurück auf meinen Hintern fallen. Meine Atmung beschleunigte sich. Meine Restenergie strömte aus meinem Körper und verließ mich.
Daphnes Verschwinden, meine Entführung, diese Insel, die Magie, Callidora, Harmonia, Pflanzen, die mich absorbierten, verletzten und nun dieser Brand. Nein, ich wollte das nicht mehr.
Mein Shirt stank und die Flecken darauf zeigten fast nichts mehr von der ursprünglichen Farbenpracht. Ich zog an meinem Kragen. Die Wut in mir heizte mich auf. Woher auch immer ich die Kapazitäten fand, um aufzustehen, ich schaffte es.
»Ich will nicht mehr. Ihr wollt mich brennen sehen? In Flammen aufgehen? Bitte. Nehmt mich. Warum soll ich kämpfen? Mein ganzes Leben lang musste ich mich durchbeißen, alles aushalten, mein Schicksal und das, was es mit mir macht, akzeptieren. Ich habe es satt, in einer nie enden wollenden Schlacht gefangen zu sein.«
Mein Brustkorb hob und senkte sich, brannte vom Schreien, vom Rauch und die Hitze von tausend Sonnen stach in meiner Lunge. Die Feuerpranken loderten neben mir, streckten sich zu mir und peitschten vor meine Füße. Trotzdem lenkte mich etwas ab.
Erst ein Blatt, dann zwei, die an mir vorbeihuschten.
Sofort drehte ich mich um, den Rücken zum Baum. Erst da erkannte ich, dass sich hunderte, tausende Blätter um mich versammelt hatten. Wie in einem Hurrikan begannen sie um mich zu wirbeln.
Sie legten einen Zahn zu, erhöhten die Geschwindigkeit und dann wurden sie zu einem Wirbelsturm. Meine Haare tanzten um mich. Das Orange der Flammen nahm ich nur noch verschwommen hinter dem Sturm wahr. Ich war im Auge des Wirbels. Todesmutig steckte ich meinen Finger in den Wirbel, bis ein Blatt mich aufschnitt und ich zurückschreckte.
»Verdammt.« Den Finger im Mund und schon schmeckte ich mein Blut wie flüssiges Metall, bevor es mit Speichel vermengt in meinen Rachen lief.
Machte ich das? Locken fielen mir vor die Augen. Ich schlug sie mir aus dem Gesicht.
»Hör auf!« Erst der Baum, dann der Wirbelsturm. Woran ließ ich als Nächstes meine Wut aus? »Ich will das nicht können.«
Doch umso mehr meine Wut zunahm, desto höher wurde die Geschwindigkeit des Strudels. Er breitete sich aus, riss verbrannte Strauchreste aus.
Fein, er hörte nicht auf mich? Dann fütterte ich ihn mit noch mehr Zorn. Davon versteckte sich genug in mir.
Mein Leben lief an mir vorbei. Die Waisenhäuser, die Schläge, die Gürtel, die Spucke anderer, die sich ekelhaft warm an meinen Wangen anfühlte. Meine Eltern, die gesichtslos in meinen Träumen auftauchten und sich weiter und weiter von mir entfernten. Und jetzt die Magie, die mich in Ketten legte.
»Nimm dir alles, was du willst.« Ich breitete meine Arme aus und legte den Kopf in meinen Nacken.
Das reißerische Geräusch des Sturms rauschte in meinen Ohren, der Strudel verband sich mit dem Feuer um uns. Hie und da preschten Feuerzungen in den Hurrikan, ehe sie fortgezogen wurden. Die Blätter im Windkanal fingen Feuer und die Wärme brachte mich um den Verstand. Fühlte es sich so an, stünde man auf einer Sonne?
Nun fing auch der gigantische Baum mit seinem uralten Stamm, den verzweigten Ästen und dem dichten Blätterdach Feuer. Die Schreie in meinem Kopf waren kein Piepton mehr, sondern inbrünstige Bitten um Hilfe. Tz. Wer scherte sich denn je um meine Hilferufe?
Meine Gedanken unterbrachen, als ein winziger Samen vor mir auftauchte. Scheu, unscheinbar landete er auf meiner Nasenspitze. Meine Augen taten weh, so verkrampft starrte ich darauf. Wieder diese Pusteblume. Würde ich gleich wieder verschw–
»Bin nicht so der Kleidertyp.« Mir hörte natürlich wieder niemand zu, aber was hatte ich auch erwartet, nachdem man mich ohne zu fragen in einen Todesgarten hinein- und wieder hinausteleportiert hatte?
Im Spiegel vor mir begutachtete ich das bodenlange Kleid, das mit seinem festen Stoff nicht nur schwer war, sondern auch bis zu meinem Kinn hochging und mit den langen Ärmeln keinen Platz zum Atmen ließ. Das Muster aus den großen weißen, pinken und blauen Blüten, die an schwarzen Stielen und Blättern hingen, wirkte, als trüge ich ein Haute Couture Kleid. So wie die Models, die ich nur von den Magazin-covern an Kioskständen kannte. Von einer absurden Situation in die nächste. Erst von einem Feuerwirbel gejagt, jetzt Kleider-anprobe. Wie lange mein Herz das noch mitmachte? Was würde zukünftig passieren? Ein Sprung ins Meer, um danach im Wüsten-sand aufzutauchen?
Als sie dann auch noch eine pinke Gerberablüte in meine Haare steckten, war es offiziell: Ich fühlte mich unwohl.