Lidwicc Island College of Floral Spells. Andreas Dutter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Dutter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783959915700
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das Verlorensein wieder extrem.

      Niemandem durfte ich vertrauen. Denn sie alle verließen oder hintergingen mich früher oder später. Keinem konnte ich es erlauben, mir mit seinen Worten den Verstand zu verdrehen. Nicht einmal meinen eigenen Augen konnte ich mehr glauben. In welchem Wald auf der Welt gab es sonst einen Mix aus unzähligen Baumarten? Da stand eine Eiche neben einem Kirschblütenbaum, der sich neben einer Palme sonnte, und eine Schwarzpappel – woher kannte ich diese Namen? – gleich daneben.

      Wieder mal stand, na ja, besser gesagt, lag ich völlig allein da. Allein und offenbar mit einem Gehirnschaden.

      Daphne? Weg. Meine Familie? Nicht existent. Es gab nur noch mich.

      Ich stieß ein jammerndes Geräusch aus, gefolgt von einem langen Seufzen. Meine Augen brannten, meine Nase kitzelte und ich spannte mich an.

      »Komm schon.« Ich fächerte mir Luft in die Augen. »Komm! Weine!«

      Nichts. Manchmal trübten Tränen meinen Blick, mehr nicht. Die Fähigkeit zu weinen. Wann hatte ich wandelndes Desaster auf zwei Beinen es verlernt, loszuheulen?

      O Mann, ich brauchte dringend eine Therapie. Nur wann hätte ich mir die gönnen sollen? Der Therapieplatz der Straße lag genau dort. Auf der Straße, wenn man Betrunkenen seine Probleme anvertraute, von denen man wusste, sie hatten sie bis zum Morgengrauen vergessen.

      Mein Gehirn spuckte die passende Erinnerung an meine letzte Heulsession aus. Unmittelbar danach verdrängte ich das Bild wieder. »Danke, Kopf. Ich wollte nicht wirklich eine Antwort darauf, wann ich zum letzten Mal geheult habe.«

      »Margo, gib nicht auf.« Daphnes Flüstern sauste durch meine Ohren wie ein flüchtiger Windhauch.

      Daphne sprach die Wahrheit. Allein durchstand ich Kämpfe, Fluchtversuche, Ohrfeigen und Schlimmeres. Trotzdem dauerte es ewig, bis ich wieder auf den Beinen war.

      »Pflanzenmagie, Kapuzenfrauen und sich bewegende Äste, die Pfeile und Stühle formen, auch das schaffe ich. Und sei es nur, um Daphne zu finden.« Es laut auszusprechen, half mir, es zu meinem Mantra zu machen.

      Ich folgte dem Ruf des Meeres. Die Wellengeräusche zogen mich magisch an. Die Zypressen ragten in die Luft, als kitzelten sie den Himmel. Überall der Geruch von salziger Meeresluft, Harz, Erde und Holz. Das Knacken der unterschiedlichsten Blätter unter mir begleitete mich, obwohl ich mir manchmal einbildete, ein Aua zu hören. Ich brauchte Schlaf. Schlaf und eine Flasche Ouzo.

      Dass die Umgebung mit satten Farben und den Pflanzen glänzte, konnte ich nicht abstreiten, aber es genießen? Fehlanzeige.

      Um mich fühlte sich alles vertraut und zugleich fremd an. Vor mir offenbarte sich eine Klippe. Nur noch ein paar Schritte bergauf und schon stand ich vor dem Abgrund.

      Das Erste, woran ich dachte: Lidwicc Island College. Island.

      Eine Insel.

      Das Meer bewegte sich ruhig in seinem gewohnten Rhythmus, als wollte es mich beruhigen, begrüßen und in Sicherheit wiegen. So sehr ich auch versuchte, dieses Gefühl anzunehmen, irgendetwas passte nicht. Wirkte fehl am Platz. Nein, nicht ich. Etwas anderes. Vor mir. Dort schimmerte die Umgebung. Nicht immer. Manchmal. Wenn der Wind drehte und die Sonne auf eine bestimmte Stelle schien, flirrte ein beinah durchsichtiger Regenbogenschleier umher.

      Sachte streckte ich meinen Arm aus, reckte mich weiter nach vorne und spreizte meine Finger. Nichts. Ein bisschen noch in die Richtung beugen. Nichts. Auf einem Fuß balancierend reckte ich mich dem Schein entgegen.

      Gleich hatte ich es. Ein, zwei Zentimeter noch und … Mist! Ich verlor das Gleichgewicht.

      »Ahhh!« Viel zu spät bemerkte ich, wie weit ich mich über die Klippe gebeugt hatte.

      Ich kippte vorne über nach unten. Mit dem Kopf voraus.

      Der Sturz passierte so plötzlich, dass mir mein nächster Schrei im Halse stecken blieb. Panik ließ mich um mich schlagen, nach dem Nichts greifen, in der Hoffnung, mich retten zu können.

      Ich ging, wie ich gekommen war. Allein. Einsam. Mit einem Lächeln. Vielleicht sollte das mein Ende sein.

      Die Felswand, an der ich vorbeiflog, bereitete mich auf mein Ende vor. Wie eine absichtlich platzierte Falle ragten spitze Steine aus dem Wasser hervor. Nach ein, zwei Augenblicken hörte ich mit dem Herumfuchteln auf. War es nicht besser? Hatte ich nicht seit Jahren auf mein Ende gewartet? Ein Ende von diesem schwarzen Loch der Einsamkeit in mir, das selbst Daphne nicht füllen konnte.

      Ich schloss die Augen und wartete auf den Schluss, der meine Existenz zum Platzen brachte.

      Wartete, wartete und wartete. Vorsichtig öffnete ich ein Auge in voller Erwartung, mich gleich aufgespießt wiederzufinden, während mich das Leben auslachte, dass ich noch nicht hinüber war. Doch was ich sah, brachte meinen Verstand erneut an die Schwelle des Durchdrehens.

      Ich hing in der Luft. Kurz über dem Schlund der Felsenfalle, der mir mit seinen Steinspitzen entgegenlachte.

      »O mein Gott.« Sofort blickte ich nach oben und erspähte eine Art Liane, die sich unbemerkt um meine Beine geschnürt und mich aufgefangen hatte.

      Jemand lugte über den Rand der Klippe. »Sag mal, bist du bescheuert oder so?«

      »Ja!«

      »Wolltest du dich umbringen?«

      »Nein. Wollte mir die Felsen genauer angucken.«

      »Aha, na dann. Tschüss.« Der Kopf verschwand. Er haute einfach ab.

      »Hey!«

      Grinsend tauchte er wieder in meinem Blickfeld auf. »Na, Schiss?«

      Ja! »Nein. Zieh mich hoch.«

      »Was bekomme ich dafür?«

      Die Sonne glänzte auf seinen platinblonden Haaren.

      »Me douléveis

      »Ich will dich nicht verarschen. Auf der Welt bekommt man nichts geschenkt.« Er legte den Kopf schief. »Hol dich doch selbst hoch. Oder kannst du das nicht?«

      »Ich habe nie Seilklettern mit Panikattacke gehabt in der Schule.« Die Schule, in der ich nie gewesen war.

      Schweiß tropfte von meiner Nasenspitze und meiner Stirn. Er vermischte sich mit dem Meer. Die Hitze um mich und in mir verschlimmerte die momentane Situation, weswegen es mir schwerfiel, ruhig genug zu bleiben.

      »Also?« Der Kerl meinte es ernst.

      Fieberhaft überlegte ich, was ich zum Tausch bieten konnte. Was mir in meiner Situation nicht so leichtfiel. Etwas löste sich unter meinem Shirt und purzelte auf meine Nase. Meine Kette.

      »Ich habe eine besondere Kette für dich.«

      Ruckartig sackte ich nach unten.

      »Langweilig.«

      »Soll ich für dich kochen?« Musste ja niemand wissen, dass ich keine Spitzenköchin war.

      Zack. Wieder weiter unten. Ein hoher Schrei stahl sich aus meinem Mund. Das brachte nichts. Ich musste mir etwas überlegen. Okay, ich tat mal so, als wäre diese Magiekacke real. Dann musste es etwas Außergewöhnliches sein.

      Ah!

      »Ich stelle dich einem Gott vor.« Hastig kniff ich die Augen zusammen.

      »Welchem?«

      »Georgios Kioskious.«

      Schleppend schaffte ich es wieder nach oben. Bevor ich die rettende Klippe erreicht hatte, raste die Liane, an der ich hing, wieder nach unten. Jeder Mucks, den ich hätte machen können, verlor sich in meinem Schockzustand. Als ich die spitzen Felsen schon in mir ahnte, stoppte ich abermals und es schleuderte mich vor. Zuvor hätte ich nicht gedacht, noch mehr Panik empfinden zu können, aber als mein Sicherheitsseil sich von mir löste, brach das blanke Entsetzen in mir aus. Viel zu spät erst merkte ich, dass