„Das höchste Gebot erhält den Zuschlag! Die Auktion ist hiermit eröffnet, meine grausamen Freunde der Dunkelheit!“
Die alte Hexe ließ die schwere Eisenkette wieder zu Boden gleiten und Christopher hatte alle Mühe damit, dass es ihn nicht erneut von den Füßen riss. Im nächsten Moment hörte er, wie die Zurufe unterschiedlichster Angebote begannen. Er wusste nicht, ob es sich bei den Zahlen, die man in die Runde warf, um eine fremde Währung handelte oder um Gold in irgendeiner ihm unbekannten Handelsform. Und er meinte auch, so etwas wie Tauschanfragen herauszuhören, die ihm jedoch nichts weiter sagten, da er weder die Begriffe noch deren Bedeutung kannte. Am Ende all dieser wild durcheinander gebrüllten Vorschläge, was er nach Meinung dieser Unholde vor ihm denn wert sei, versank Christopher jedoch in schiere Verzweiflung. Denn ausgerechnet zwei besonders furchterregend wirkende Gestalten waren es, die übrig geblieben waren und nun wild gestikulierend miteinander um ihn feilschten. Zuvor hatte er dummerweise noch die klitzekleine, heimliche, wenn auch verschwindend geringe Hoffnung gehegt, dass vielleicht eines der nicht ganz so erschreckend aussehenden Geschöpfe ihn ersteigern würde. Immerhin gab es unter ihnen den einen oder anderen, gegen den er es sich zugetraut hätte, zu kämpfen, hätte sich eine solche Gelegenheit ergeben. Doch bei den beiden Exemplaren da vor ihm schwand diese Aussicht direkt wieder dahin. Auch konnte Christopher sich nicht entscheiden, welchen der beiden er unheimlicher fand. Den großen, kräftigen Hünen, der, abgesehen von unnatürlich stark ausgeprägten Muskeln, von den Füßen bis zum Haupt noch halbwegs „normal“ wirkte. Zumindest, wenn man das stark vernarbte Gesicht nicht allzu genau inspizierte. Und sich zudem die Armbrust auf seinem Rücken und den Morgenstern in seinem Gürtelschaft wegdachte. Oder doch eher der nicht minder muskelbepackte, glatzköpfige Unhold mit der Doppelaxt in den Händen, deren Griff offensichtlich aus nichts Geringerem bestand als echtem Knochen, soweit Christopher das zu beurteilen vermochte. Die Haut des Glatzköpfigen wirkte darüber hinaus auch alles andere als menschlich und wies neben einer recht grauen Farbe eine reptilienartige Struktur auf, beinahe wie die Haut einer Schildkröte. Doch das Schlimmste an ihm waren seine Augen. Zwei echsenartige, schmale Schlitze, durch die er Christopher anstarrte, als wäre er ein Stück saftiges Fleisch. Vermutlich war er das für dieses Monster auch. Sollte dieser Zeitgenosse den Zuschlag bekommen, würde Christopher, oder besser gesagt, Christophers Überreste an Knochen, dann genau so enden? Als Griffe irgendwelcher Waffen? Es war eigentlich fast schon egal. Er konnte sich so oder so nicht aussuchen, welches Schicksal ihn treffen würde. Er stand hier, nackt, schutzlos, von allen guten Mächten und seinem eigenen Gott verlassen, und musste sich dem fügen, was auch immer man mit ihm vorhatte.
Klirrend rasselten urplötzlich und für Christopher völlig unerwartet die Waffen jener beiden unter der Tribüne stehenden Bieter aneinander. Zwei Äxte, deren Klingen sich in der Mitte nur knapp vor den Köpfen ihrer Besitzer trafen und dabei ein brachiales Geräusch von sich gaben. Erschreckt beobachtete Christopher, wie die zwei Kontrahenten ihre Muskeln spielen ließen und wahrhaftig zu kämpfen begannen! Er glaubte zunächst, sich verguckt zu haben. Doch schon wenige Sekunden später rückte die übrige, wartende Menge unterschiedlicher Kreaturen hastig von den beiden Kämpfenden ab, um nicht in deren Reichweite zu geraten. Christopher konnte es nicht glauben. Diese Kerle da kämpften jetzt doch tatsächlich um ihn! Was bei allen heiligen Mächten passierte hier? Was war für sie so derart Besonderes an ihm, dass diese Dunkelwesen sich sogar um ihn stritten? Und das machte ihn noch unsicherer und vor allem furchtsamer. Bevor er es selbst begriffen hatte, wurde ihm gewahr, dass die beiden sich auf Leben und Tod duellierten. Das erkannte er spätestens in dem Augenblick, als der mit Narben übersäte Hüne dem Reptilienmann mit seinem Morgenstern die Hälfte von dessen Gesicht wegriss. Christopher hörte das dumpfe Geräusch und spürte, wie sein nackter Körper von feinsten Blutspritzern getroffen wurde. Erschreckt wich er zurück. Übelkeit kroch beim Anblick des in Fetzen hängenden Gesichts in Christopher hoch und er schloss hastig die Lider. Doch der Kampf war offenbar noch nicht zu Ende. Während Christopher versuchte, nicht die Fassung zu verlieren und die Geräusche jener Klingen und das Ächzen und Stöhnen der Kämpfer auszublenden, vernahm er auch noch neben sich Stimmen. Seine angeblichen „Leidensgenossen“ befeuerten das Duell mit ihren Zurufen, ebenso wie die übrige Bieterschaft zu ihren Füßen. Sie alle grölten und jubelten den sich gegenseitig zu Tode prügelnden Kreaturen zu. Selbst jener schwächlich wirkende dürre Dunkelelf war nun zu neuem Leben erwacht und grinste hämisch über das Geschehen.
„Du kannst dir was darauf einbilden, Menschensohn. Die töten sich sogar gegenseitig, um an dein süßes, unschuldiges Fleisch zu kommen.“ Die spitzohrige Gestalt ihn fast schon neidvoll an, „aber tauschen möchte ich dennoch nicht mit dir!“
Dann bedachte der Elf Christopher mit einem Blick, der diesem deutlich zu verstehen gab, wie es um ihn bestellt war. Offenbar gab es in dieser Welt weder Mitgefühl noch Mitleid oder irgendeine andere Art von gefühlsmäßiger Regung, wenn man von all dem Hass und der Gier, die hier deutlich spürbar waren, einmal absah.
Ja, mag sein, du verbittertes Etwas von einem Elf – dachte Christopher bei sich, aber vielleicht habe ich auch Glück, und diese beiden Unholde metzeln sich jetzt einfach gegenseitig ab und ich komme zu einem dieser kleinwüchsigen, hässlichen Gnome da unten. Dann werde ich mich schon irgendwie aus deren Gewalt befreien und überleben! Also grinse nicht mehr so gehässig und kümmere dich um deine eigenen Probleme.
Am liebsten hätte er es laut ausgesprochen, doch er riss sich zusammen. Diese Kreatur war es gar nicht wert, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Als Christopher es nun wagte und vorsichtig durch seine halbgeöffneten Lider blinzelte, konnte er schemenhaft erkennen, wie sich der narbengesichtige Hüne über dem auf dem Boden liegenden Reptilienmann emporstreckte, eine Axt in beiden Händen. Er holte aus und … Christopher schloss wieder die Augen. Er konnte die Geräusche hören, doch er musste nicht auch noch die Bilder dazu sehen. Immer wieder schien dieser riesige Kerl zuzuschlagen. Dabei musste sein Gegner längst tot sein. Es war bestialisch und unerträglich.
Christopher dachte wieder an Zuhause. An seine Hühner und Kaninchen, die Schafe und Schweine. Sein geliebtes Pferd. Sie alle waren bei dem Massaker vor ein paar Tagen ebenfalls völlig unnötig getötet worden. Er selbst jedoch hatte noch keinem lebendigen Wesen das Leben genommen. Das hatte er nie fertiggebracht. Einem von ihnen ein Haar zu krümmen, wäre ihm grundlos nie und nimmer in den Sinn gekommen. Im Gegenteil. Er war unfähig gewesen, seinen tierischen Freunden die Kehlen durchzuschneiden, nur damit er und seine Familie etwas auf den Tisch bekamen. Diese Aufgabe hatte, wenn überhaupt, stets sein Vater oder sein Großvater übernommen. Zu Christophers Leidwesen, der bereits seit seinem sechsten Lebensjahr kein Fleisch mehr anrührte, so sehr seine Eltern das auch missbilligten. Er wusste zwar nicht, ob dies auch so gewesen wäre, hätten er und seine Familie unter irgendwelchen Hungersnöten gelitten, und wären deshalb auf das Jagen von Wild angewiesen gewesen. Doch dazu war es glücklicherweise nie gekommen. Sie lebten zum einen zwar sehr abgeschottet und isoliert von der Außenwelt, abseits der ländlichen Dörfer und lebhafteren Städte, oder besser gesagt, hatten gelebt. Dafür aber an einem äußerst fruchtbaren und schönen Ort nahe diesen Wäldern eben, in deren Untiefen er vor Kurzem verschleppt wurde. Vermutlich war dies ja überhaupt erst der Grund, warum so wenige sich an jenen für Christopher so paradiesischen Ort niedergelassen hatten. Weil die Warnungen auf tatsächlichen Legenden beruhten und nicht auf „gotteslästernden“ Märchen, wie seine Eltern und Großeltern ihm immer hatten eintrichtern wollen. Immerhin war das ihr Glaube. Ihre Religion. Die Religion der Sanctinier eben, einer kleinen, von der übrigen Bevölkerung oft belächelten Minderheit Pranandos, die die Existenz der Dunkelwesen leugnete. Wie oft waren verirrte Wanderer bei ihnen eingekehrt und zutiefst darüber verwundert gewesen, einen Hof so nahe des äußersten Randes des umstrittenen Dunkelwaldes vorzufinden, den die Menschen für gewöhnlich größtenteils mieden. Im Nachhinein