„Dennoch habe ich den Menschen rechtmäßig ersteigert und er gehört demnach mir.“ Er lächelte sie hämisch an.
„Aber ich bin unter gewissen Voraussetzungen durchaus an einem Geschäft mit dir interessiert, Ravanna. Ich habe immerhin schon viel von dir gehört. Von dir und deinen speziellen Künsten.“
Seine Augen wanderten erneut begierig über ihren Körper.
„Du sagst, du zahlst mir das Doppelte an Gold. Gut, abgemacht. Aber das ist mir noch nicht genug. Von dem Jüngling da hätte ich immerhin eine ganze Zeit lang etwas gehabt und das ist auch mit dem doppelten an Gold längst nicht abgegolten. Das musst du selbst doch auch zugeben. Also“, er sah sie verlangend an und lächelte über sein gesamtes vernarbtes Gesicht, „Ist es nur angebracht, dass du mir diesen Verlust irgendwie bezahlst. Und ich denke dabei ganz konkret an deine hier in dieser Gegend selbst nach all der vergangenen Zeit noch immer so hochgelobten Fähigkeiten bestimmter, körperlicher Zusammenkünfte.“
Seine Augen blitzten sie begehrlich an und Ravanna atmete innerlich auf. Sie hatte den narbengesichtigen Hünen um den Finger gewickelt. Die Angelegenheit war so gut wie besiegelt. Ihrem ihr hier noch immer vorauseilenden Ruf aus längst vergangenen Zeiten sei Dank. So sehr sie diese verlorenen Jahre ansonsten gerne aus ihrem Gedächtnis verbannt hätte – für dieses Geschäft war ihr ihr wildes und ungezügeltes Vorleben doch noch einmal zugutegekommen. Ravanna gab sich dennoch gelassen und betont geduldig vor dem Kerl. Sie tat so, als würde sie nun doch lieber noch einmal darüber nachdenken wollen. Schürzte die vollen Lippen und legte die Stirn in kleine, nachdenkliche Falten.
„Wenn ich’s mir recht überlege …“
Ihre rechte Hand glitt wie zufällig über ihren zarten Hals und sie lenkte die Aufmerksamkeit des Kerls mit dieser Geste gezielt dorthin, wo ihre Halsschlagader unter ihren schlanken Fingern vibrierte. Sie rieb immer wieder über genau diese empfindsame Stelle und sah den Hünen dabei mit laszivem Blick und halb geöffneten Lippen an.
„Wenn ich daran denke, was mein Meister wohl zu so viel Gold sagen wird, wo ich selbst doch zu meinen eigenen Zeiten gut und gerne das Dreifache verlangen konnte … für eine einzige Nacht, versteht sich.“
Sie schüttelte den Kopf, während sie sich dabei in ihre gelockten, ebenholzfarbenen Haare griff, um sie in einem Schwung gekonnt über die zarte Schulter zu werfen. „Nein, er wird alles andere als begeistert sein, wenn ich so unverhältnismäßig viel für den sterblichen Burschen da bezahlen würde! Das Gold, was du für den Jüngling an Mera löhnen musst, das kann ich dir geben. Sicher. Abgemacht. Mehr aber auch nicht. Eine zusätzliche Nacht mit mir ist einfach zu teuer für dich und mein Meister hat mir strengstens verboten, mich unter Wert zu verkaufen. Das würde nämlich meinem Ruf schaden. Und du kennst diesen Ruf ja offenbar sehr gut, also wirst du mich verstehen!“
Ravanna lauerte darauf, innerlich ein klein wenig angespannt, ob ihr Trick nun auch aufgehen würde,, blieb äußerlich jedoch völlig entspannt.
„Dabei gäbe es eine Lösung, die weder dir noch mir schaden würde. Und die ich auch meinem strengen Meister erklären könnte.“
Sie schüttelte wieder gespielt überlegend den Kopf.
„Aber das wäre ein zu großes Risiko für mich. Immerhin ist es mein Ruf, der auf dem Spiel steht, wenn ich dir eine Nacht mit mir anbieten würde. Im Tausch für den Jüngling, versteht sich. Eigentlich verlange ich immerhin mehr als dreimal so viel wie dich der Bauernjunge auf der Tribüne kostet.“
Sie senkte gespielt enttäuscht ihre Lider:
„Wie schade. Dann muss ich meinem Meister eben sagen, dass ein großer, starker, sehr gut gebauter Hüne mir den Jüngling vor der Nase weggeschnappt hat. Wenn du Glück hast, kannst du dich ein paar Tage vor Ash Phalidos und seinem unbändigen Zorn verstecken. Und so lange deine Beute genießen. Das solltest du jedenfalls. Denn finden wird er dich irgendwann!“
Ravanna drehte sich gerade herum, als der Hüne sie aufhielt.
„Warte.“
Mehr hatte die listige Hexe nicht hören wollen. Zutiefst befriedigt lauschte sie danach den vor Aufregung und Wollust bebenden Worten des Hünen, der aufgrund Ravannas Pheromone bereits völlig in ihren Bann gezogen war:
„Ich bin einverstanden mit deinem Angebot! Und ich verspreche dir, dass dein Ruf nicht beschmutzt wird. Ich werde niemandem erzählen, dass ich deine Dienste so günstig habe in Anspruch nehmen können.“
Er sah sie ein wenig angstvoll an, als fürchtete er, diesen Handel nicht mehr vollziehen zu können, und streckte ihr eilig seine Hand mit dem bereits angetrockneten Blut vom vorangegangenen Kampf mit dem Reptilienmann daran entgegen:
„Ich gebe dir hiermit mein Wort! Und verlange im Gegenzug deines, um unseren Tauschhandel auf der Stelle endgültig und unwiderruflich zu besiegeln.“
Ravanna lächelte triumphierend in sich hinein und nahm die grobe Hand des Hünen entgegen, obwohl sich ihr beim Anblick des Blutes daran die kleinen Nackenhaare aufstellten.
„Abgemacht!“
Sie sah ihm noch einmal eindringlich in die Augen.
„Eine Nacht mit mir im Tausch für den Jungen! Und dein absolutes Stillschweigen darüber!“
Der Handel war somit beschlossene Sache. Ravanna rollte zwar erneut innerlich mit den Augen, als der Hüne sie gierig begaffte und sich in seiner Vorstellung womöglich schon ausmalte, was er alles mit ihr anstellen würde. Doch das war ihr nun gleich. Immerhin hatte sie bekommen, was sie wollte. Vielleicht hätte sie einfach den doppelten Preis zahlen sollen, anstelle die eigenen Dienstleistungen anzubieten, dachte sie bei sich. Nun war der Kerl immerhin so dermaßen aufgegeilt, dass sie ihn nicht lange würde hinhalten können. Sicher, sie hatte diese Begehrlichkeiten in ihm durch ihr laszives Auftreten ja geschürt. Und eigentlich suchte sie sich ihre Liebhaber immer noch gerne selbst aus. Doch sie war nun einmal keineswegs daran interessiert gewesen, den nackten Jüngling da oben aufzugeben. Er war einfach zu perfekt und sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ihn Ash als ihr Geschenk von diesem ansonsten völlig nutzlosen Ausflug in den Sukkura Forest und nach Innubà, mitzubringen. Sie würde wohl oder übel mit dem Verlauf der Dinge leben müssen. Ein Geschäft war ein Geschäft und sie nahm sich vor, das Beste aus der Situation zu machen.
„Du solltest Mera jetzt lieber ihr Gold zahlen. Ich habe gehört, mit ihrer Geduld soll es nicht weit her sein“, forderte Ravanna von dem Unhold, während dieser sie noch immer verlangend betrachtete, „und danach machen wir uns auf die Suche nach einem netten, ungestörten Plätzchen für die Nacht“, ergänzte der Hüne voll freudiger Erwartung.
„Sicher. Aber zuerst will ich den Menschen bei meinem Hundedämon in Sicherheit wissen.“
Der Hüne nickte nur und zahlte das Gold an die wartende Mera, welche kurz darauf einen ihrer Lakaien anwies, den nackten jungen Mann von der Tribüne zu holen.
Christopher, der nicht hatte mitanhören können, was die Halbhexe namens Ravanna und der Muskelprotz da miteinander ausgehandelt hatten, verfiel in angstvolles Zittern, als man ihn die Anhöhe herunterzerrte. Doch Ravanna kam sogleich auf ihn zu und betrachtete ihn voll Bewunderung. Allem Anschein nach war sie es also, die den „Zuschlag“ für ihn erhalten hatte. Irgendetwas in Christopher war einerseits erleichtert. Anderseits wusste er damit noch lange nicht, was dieses Schicksal nun für ihn bereithielt. War diese äußerlich so schön anzuschauende Gestalt im tiefsten Inneren ebenso abartig und grausam wie jene anderen Kreaturen dieses Ortes? Oder hatte sie ihn womöglich vor einem schrecklichen Los gerettet? Und wenn ja, warum hatte sie das getan? Was mochte der Grund dafür sein?
Als ihn jener grobe Oger unter Meras Befehl der zierlichen Ravanna übergab, konnte er sich noch nicht im Geringsten ausmalen, was ihm in der nächsten Zeit bevorstehen würde.