Es gab nur ein Problem. Ravanna war in den letzten Tagen ihrer Suche nach einem passenden Gespielen für Ash bereits in allen ihr bekannten, gängigen „Etablissements“ dieser Art in und um Innubà gewesen, ohne fündig geworden zu sein. Es schien momentan tatsächlich kaum männliche Dunkelwesen zu geben, die sich zum einen prostituierten und die dann zum anderen für Ash auch tatsächlich infrage gekommen wären. Sicher, sie hätte einen dieser höllisch teuren Dunkelelfen bei Elethras anheuern können. Doch sie hatte Ash schon so oft über die spitzen Ohren und dünnen Arme und Beine dieser Gesellen lästern gehört, dass sie davon abgesehen hatte. Immerhin wollte sie, dass ihr Lehrmeister ihr verzieh und den Streit vergaß. Und nicht, dass ein neuer vom Zaun gebrochen wurde. Weibliche Wesen waren, wie erwähnt, nicht seine bevorzugten Liebespartner – immerhin hätte sie seine körperlichen Gelüste ansonsten auch liebend gerne selbst befriedigt. Wozu also eine andere dafür entlohnen? Das wäre ihr ja geradezu abstrus vorgekommen. Tja, und wenn sie diesen kleinwüchsigen Gnom aus Donikius Freudenhaus mitgebracht hätte, der angeblich alles machte und das mit wirklich jedem, wäre Ash ihr vermutlich in einem Lachanfall vor die Füße gestolpert. Nein. Es schienen gerade keine besonders guten Zeiten zu sein für Ashs Vorliebe für attraktive, männliche Liebesdiener. Vermutlich wäre Ravanna so mit leeren Händen zu Ash zurückgekehrt, wenn sie nicht noch diesen gefährlichen Umweg durch die wohl unangenehmste Gegend des Sukkura Forest gemacht hätte. Der Ort, den sie betrat, um sich nach einem männlichen, einigermaßen ansehnlichen „Lustsklaven“ umzusehen, war immerhin selbst unter ihresgleichen verpönt. Und doch stand sie, zu ihrem eigenen Glück unter dem Schutz von Bo, welcher sie nicht aus den Augen ließ, an jenem Abend vor der wohl schmutzigsten Auktion der Unterwelt.
„Eine schmutzige Auktion“
Christopher zitterte am ganzen Körper, als man ihn auf den hölzernen Bretterverschlag zerrte, welcher auf einer Anhöhe mitten im Wald als Tribüne diente.
Es hätte nicht erniedrigender sein können. Nackt. Nur mit einer schweren Eisenkette um den Hals, deren Ende an einem Holzpfahl zu seinen Füßen festgemacht war.
Als ob er ohne diese Eisenfessel ganz einfach und ungehindert davonspaziert wäre.
Er war nicht der Einzige, den man vor das Getümmel ihm unbekannter, gaffender und grölender Kreaturen und Wesen des hiesigen Dunkelwaldes dirigierte. Zusammen mit einem Dutzend anderer, unglückseliger Geschöpfe bot man ihn hier seinem ungewissen Schicksal feil.
Christopher wagte es fast nicht, seinen Blick zu heben und nach vorne zu richten, da manche der in der Menge stehenden Kreaturen so schauderhaft aussahen, dass er sich wirklich nicht ausmalen wollte, was solche Monster mit jemandem wie ihm wohl anfangen konnten. Natürlich war er sehr wohl in der Lage, sich in seiner Fantasie zusammenzureimen, wofür er im schlimmsten Falle alles dienlich sein könnte. Als profanes Abendessen zum Beispiel. Oder als Folteropfer oder wer weiß, was sonst noch alles. Doch was brachte es ihm, weiter darüber nachzusinnen, außer, dass es ihn zutiefst entmutigte? Er versuchte stattdessen, die laute, ihn einschüchternde Geräuschkulisse der johlenden Menge vor sich auszublenden und sich in seine tiefsten Gedanken zurückzuziehen. Dies war eine Fähigkeit, die er bereits seit seiner Kindheit beherrschte und die ihm nun sehr dienlich war. Und das schien ihm angesichts seiner verzweifelten und hoffnungslosen Lage auch das einzig Richtige zu sein. Sich an einen besseren Ort zu denken und die grausame Welt um sich herum auszublenden. Er würde mit großer Wahrscheinlichkeit sowieso sterben. So viel war Christopher bereits klar geworden. Wann genau und auf welche Weise, diese Überlegungen gedachte er sich allerdings nicht weiter anzutun. Es würde mit Sicherheit geschehen und er konnte wohl auch nichts daran ändern. Aber seine letzten Momente wollte er trotzdem nicht damit verbringen, über die mannigfaltigen, grausamen Möglichkeiten seines Ablebens nachzugrübeln. Er flüchtete sich lieber in Erinnerungen seines bisherigen Lebens. Gedachte seiner Kindheit und seiner Eltern, der Großeltern und der vielen Tiere auf ihrem kleinen Hof, die er so gerne versorgt und gepflegt hatte. An sein geliebtes Pferd. Endlos lange Tage mit dem Vieh auf der Wiese am Bach. Regentropfen auf seiner Haut nach einem warmen Sommerregen. Das Lachen seines besten Freundes Taran nach einem wilden Wettrennen, während sie erschöpft nebeneinanderlagen. Der Geruch süßer Walderdbeeren. Seine Hand in Tarans Hand. Christopher wurde schwer ums Herz. Es gab noch so vieles, was er gerne erlebt hätte. So vieles, was er sehen wollte und Sehnsüchte, denen er nie würde nachgehen können, wenn man ihn jetzt seines Lebens beraubte. Doch was konnte er schon tun? Hier, an diesem Ort mit diesen Kreaturen, von denen er sein Leben lang geglaubt hatte, sie würden nur in den Erzählungen und Legenden der Ältesten existieren? Ihm waren die Hände im wahrsten Sinne des Wortes, gebunden. Dabei war er alles andere als ein ängstlicher Typ. In seiner Welt, der einzigen Welt, die er bis jetzt gekannt hatte, war er kein Schwächling oder Angsthase gewesen. Im Gegenteil. Doch nun, hier unter diesen monströsen Wesen, lehrte man ihn wahrhaftig zum ersten Mal das Fürchten.
Wenn er zu seiner rechten oder linken Seite blickte, so sah er neben sich ebenfalls vermeintliche Gefangene, die hier als „Ware“ einen Käufer finden sollten. Im Gegensatz zu ihm waren sie allesamt jedoch keine Menschen, sondern Geschöpfe der Unterwelt. Neben ihm stand zum Beispiel ein schmächtiger und sehr abgemagerter Dunkelelf mit spitzen Ohren und einem ebenso spitzen Kinn, der aus traurigen Augen ins Leere blickte. Sein nackter Oberkörper war von unzähligen Narben übersät. Er trug auch, anders als Christopher, keine Fesseln, mit denen man ihn an Ort und Stelle halten musste. Ebenso wie dessen untersetzte Nachbarin. Eine kleine, dicke Gestalt, die Christopher höchstens bis zu den Knien reichte und mit üppigen, weiblichen Attributen ausgestattet war. Sie schien in ihrem Gemüt das genaue Gegenteil zum jämmerlich wirkenden Elf neben ihr zu sein. Denn sie gab ständig schmutzige Kommentare von sich und zog ihren lumpigen Rock so weit zur Seite, dass die unten stehende, potenzielle Käuferschaft genauestens im Bilde war, was sie zu bieten hatte. Christopher atmete tief ein und versuchte, beim Ausatmen erneut in seinen Gedanken zu versinken, um dieser furchtbaren Situation geistig zu entkommen, als jemand unvermittelt an der Kette um seinen Hals zog. Erschreckt und wie von Sinnen, kam Christopher wieder in der harten Realität an und stolperte beinahe auf die betreffende Person zu, die ihn sozusagen „an der Leine“ hielt. Es war die bucklige Hexe Mera, deren unangenehme Bekanntschaft er bereits in dem stinkenden Erd-Kerker gemacht hatte und die sich nun neben ihn auf die Tribüne gesellt hatte. Ihre schrille Stimme hallte durch die Menge und das Grölen und Johlen stoppte für einige Augenblicke, während sie Christopher voller Inbrunst feilbot. Dieser hörte ihre Worte, doch dann hörte er sie auch wieder nicht. Vielleicht, weil sie ihm zu unwirklich erschienen. Oder, weil er sie einfach nicht wahrhaben wollte. Hätte er die Möglichkeit gehabt, sich die Ohren zuzuhalten, so hätte er es getan. Doch seine Hände waren noch immer hinter seinem Rücken gefesselt. Und so war er regelrecht gezwungen, ihr lautes Anpreisen seiner eigenen Person mitanzuhören. Er fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Ausgerechnet