Nach diesen Worten wandte er den Kopf ruckartig zu mir. Wir sahen uns an, während wir weiter unser Tempo hielten. Seine Augen zeigten Trotz, aber da war noch mehr.
Mir fiel sofort auf, dass seine Wangen nicht vom Schweiß feucht waren. Es waren Tränen. Und dann erkannte ich es. Den unterdrückten Schmerz in seinen Augen.
Augenblicklich, bevor er sich dagegen sträuben konnte, packte ich seinen Arm und sorgte dafür, dass wir an den Rand der Bahn kamen. Dort drosselte ich das Tempo, bis wir schließlich standen.
»Was soll das?«, pampte er mich an und riss seinen Arm aus meinen Fingern.
Ich packte ihn stattdessen an den Schultern und sah ihm intensiv in die Augen. »Was ist los?«, fragte ich und ließ ihn dabei nicht aus den Augen.
Ich weiß nicht, ob es mein Blick oder meine Worte gewesen waren, aber plötzlich sank er in meinen Händen zusammen, sodass ich fester zupacken musste, damit er nicht fiel.
»Lass mich los, ich kann nicht mehr«, drang es leise über seine Lippen.
Ich ließ locker, ging in seiner Bewegung aber mit, bis er auf dem Boden saß. Dort legte er sich hin und rollte sich zur Seite, das Gesicht in den Händen vergraben.
»Verdammt, Renko! Was ist los mit dir? Sag es mir, sonst kann ich dir nicht helfen.« Ich bettelte regelrecht, als auch schon mein Schichtleiter neben mir auftauchte, gefolgt von Herrn Häuser.
Ausgerechnet der, dachte ich beim Anblick von Renkos Partner.
Bei uns angelangt, zog Thorsten, mein Schichtleiter, mich aus der Hocke und ein Stück von Renko weg. Ich kam gar nicht dazu, zu protestieren.
»Komm, lass Olaf das machen, der weiß vielleicht eher, was sein Teampartner jetzt braucht«, sprach er dabei.
»Ich glaube, er braucht einen Arzt. Es ging ihm vorhin schon nicht gut«, plapperte ich.
»Ja, ja, Olaf wird sich jetzt um ihn kümmern. Komm mit, du siehst gerade auch nicht fit aus. Hinten kannst du trinken.«
Damit deutete er in Richtung der Umkleiden. Notgedrungen machte ich mich mit ihm auf den Weg dorthin, nicht ohne nochmal einen Blick zurückzuwerfen.
Renko hatte sich wieder etwas aufgerappelt. Er saß im Gras, die Hände um die Knie geschlungen. Sein Kollege, von dem ich nun wusste, dass er Olaf hieß, hockte neben ihm und redete auf ihn ein. Renko sah alles andere als glücklich aus.
»Hey, was ist los?« Kais Worte rissen mich von dem Anblick weg. Er war schwer am Atmen, hatte seinen Lauf offenbar gerade erst unterbrochen.
»Wir klären das. Geh und lauf die restliche Zeit», scheuchte Thorsten ihn weg, noch ehe ich etwas dazu sagen konnte.
»Verdammt!«, wütete ich erneut und schleuderte mein Handtuch quer durch den Umkleideraum, in dem nur Kai und ich anwesend waren. Nach der Dusche und nachdem die anderen die Kabine verlassen hatten, hatte er wissen wollen, was denn genau passiert war.
»Ich hätte verflucht nochmal hartnäckiger sein sollen!« Lautstark machte ich mir Vorwürfe.
Kai, der solche Ausbrüche von mir eigentlich nicht kannte, bewahrte trotzdem absolut die Ruhe. Er sammelte mein Handtuch vom Boden auf und stopfte es mit in seine Tasche.
»Beruhig dich. Vielleicht ist Häuser mit ihm zum Arzt gefahren«, wandte er ein.
»Ich will mich aber nicht beruhigen!«, rief ich. »Sein Blick sagte mir ganz deutlich, dass er Hilfe braucht!«
»Steffen, er hat doch Hilfe bekommen. Häuser war bei ihm.«
»Häuser, Häuser«, äffte ich. »Er hat damit was zu tun, das wette ich!«
»Steffen! Jetzt ist aber mal gut!«, fuhr Kai härter dazwischen und baute sich warnend vor mir auf.
Mir war das egal. Ich sah ihn trotzdem nicht an.
»Olaf Häuser ist sein Partner! Wie du und ich! Er wird sich schon gut um ihn kümmern!«
»Es ist eben nicht wie bei dir und mir!«, begehrte ich weiter auf.
»Warum glaubst du das?«, hakte Kai nach, plötzlich wieder in normaler Lautstärke.
Ich kam nicht zu einer Antwort, da wir von der sich öffnenden Tür unterbrochen wurden, die durch die Heftigkeit des Schwungs gegen die Wand krachte.
»Was macht ihr hier für einen Lärm? Seid ihr noch ganz bei Trost?«
Ein gereizter Schichtleiter starrte uns an, auf eine Antwort wartend. Es sollte besser eine gute Antwort sein, denn Thorsten hasste es, wenn jemand laut wurde.
Ich setzte zum Sprechen an, um abzuwiegeln, aber Kai packte mich grob im Nacken und brachte mich damit zum Schweigen, bevor ich überhaupt einen Ton über die Lippen bekam.
»Ich glaube, Steffen hat die ganze Sache heute etwas mitgenommen. Ich kläre das in Ruhe mit ihm. Wir benehmen uns ab jetzt.«
»Wenn der da«, Thorsten zeigte auf mich, »so ausflippt, ist auf jeden Fall irgendwas. Und dieses Irgendwas will ich wissen. Ihr klärt das, ja, aber ich werde dabei sein. Den Weg in mein Büro kennt ihr ja.«
»Ist okay, wir kommen gleich«, stimmte Kai zu.
»Nein, nicht gleich. Sofort. Ich will nicht, dass ihr euch vorher absprecht. Dafür kenn ich euch zu gut. Irgendwas ist hier im Argen.«
Lauernd sah er uns an und wartete, bis wir unsere Sachen beisammen hatten, um ihm zu folgen.
»Setzt euch«, forderte Thorsten uns auf. In seinem Büro angekommen deutete er auf die zwei Stühle vor dem Schreibtisch.
Er selbst ließ sich gegenüber von uns auf seinen Schreibtischstuhl fallen und verschränkte die Arme vor der Brust, wie er es immer tat, wenn er gespannt auf ein Gespräch war. Erwartungsvoll sah er mich an.
»Schieß los. Was war da auf dem Platz? Und wag es nicht, ›nichts‹ zu sagen.«
Ich räusperte mich. »Renko, also Herrn Pollack, ging es nicht gut, das bemerkte ich, als ich mit ihm auf einer Höhe lief. Er wollte es erst nicht zugeben und weiterlaufen. Deshalb hab ich ihn zur Seite bugsiert und angehalten.«
»Ach, da hast du wohl wieder zu deinem typischen Steffen-Modus gewechselt«, kommentierte er meine Antwort. »Ich will das aber genauer. Also verkauf mich nicht für blöd und mach den Mund auf!«, fuhr er mich barsch an.
Der Blick von Kai, der mir im Augenwinkel auffiel, zeigte ganz klar, dass ich besser auf das, was mein Schichtleiter verlangte, hören sollte.
Ich seufzte. »Wir haben seit gestern Kontakt zu Herrn Pollack, da wir ihn gefragt haben, ob er bei Mirco im Haus mit uns die Schützlinge trainieren möchte.«
Thorsten war in der Sache komplett aufgeklärt und kannte die Zusammenhänge. Mit einer Geste forderte er mich auf, weiterzusprechen.
»Na ja, jedenfalls ist uns heute Morgen aufgefallen, dass Herr Pollack
»Renko, nenn ihn Renko«, warf Thorsten ein.
Verwundert darüber fuhr ich fort. »Okay. Renko sah heute Morgen nicht fit aus. Dass er das auch nicht war, zeigte sich mir deutlich, weil ich ihn einholte. Ich laufe zwar mit soliden Zeiten, aber von Renko habe ich in allen Läufen bisher immer nur die Rückansicht gesehen. Also überholte ich ihn nicht, sondern blieb auf seiner Höhe und hakte nach. Er sagte nichts, aber als er mich irgendwann ansah, bemerkte ich seine Tränen. Den Rest kennst du. Ich zog ihn beiseite und stellte ihn zur Rede. Bevor er antworten konnte, hast du mich weggezogen.«
»Hm«, äußerte Thorsten und rieb sich übers Kinn. »Und was hat das mit Olaf Häuser zu tun?«
Ich versteifte mich unwillkürlich