»Ach, das.« Er winkte ab. »Ich hab’s etwas im Rücken, deshalb bin ich heute zu Hause geblieben. Aber das geht gleich weg, wenn ich mich bewege.«
Kai formte neben mir mit den Lippen ein ›wer’s glaubt‹, sprach es aber nicht aus. Ich musste ihm recht geben, denn ich glaubte Renko ebenfalls nicht. Dafür wirkte er zu hibbelig. Er versuchte, etwas zu verheimlichen. Der Polizist in mir erkannte das sofort.
Die Atmosphäre war gut, als wir im Haus auf Mirco und Ben trafen. Die Chemie zwischen ihnen und Renko schien zu stimmen, was ein gutes Zeichen war. Gemeinsam mit Ben machten wir uns auf den Weg in die Scheune, in der Renko sich erst mal umsah und dann durch die Zähne pfiff.
»Wow, das ist doch mal was. Hier kann man sich ja richtig austoben.«
»Ja, nicht wahr? Wobei ich es anfangs mit dem Austoben übertrieben habe, sodass Mirco mir verboten hatte, die Scheune ohne Trainer zu betreten«, erwiderte Ben mit einem Lachen.
»Oh ja, das war eine schwierige Zeit«, erinnerte Kai sich.
So lange war das noch gar nicht her gewesen; nur ein paar Monate. Aber in der Zwischenzeit hatte Ben sich tüchtig gemacht. Seit er eine feste Aufgabe hatte, indem er die Schützlinge trainierte, schien es ihm wesentlich besser zu gehen. Natürlich beflügelte ihn auch die noch relativ frische Liebe zu Mirco.
»Wollen wir starten? Etwas aufwärmen, bevor die Meute reinkommt?«, schlug ich vor und erntete die Zustimmung der anderen.
Wir hatten die Einheit beendet. Alle Schützlinge waren zur Tür raus. Ich räumte mit Kai die Matten zusammen, die wir benötigt hatten. Doch ließ ich sie sofort fallen, als ein Schrei ertönte. Besorgt drehte ich mich zu Renko und Ben herum, die bis dato rumgealbert hatten. Renko lag auf dem Boden. Ich rannte hin. Kai folgte.
»Was ist passiert?«, hakte ich nach, kaum hockte ich neben ihm.
Ben stand blass daneben und starrte auf Renko herab. »Ich … Ich …. Das wollte ich nicht. Ich hab doch bloß … Also ….«, stammelte er.
Kai legte ihm einen Arm um die Schultern und zog ihn an sich. »Hey, alles gut, Ben«, beruhigte er, obwohl wir alle sahen, dass bei Renko nicht alles gut war.
Der krümmte sich. Tränen rannen über sein Gesicht. Vorsichtig berührte ich ihn am Arm, doch sofort wimmerte er und zuckte weg. Also ließ ich es bleiben. Ich blickte ebenfalls zu Ben. Der war weiß wie eine Wand.
»Ich hab doch nur Spaß gemacht. Ihm die Hand entgegengestreckt und ihn auf die Matte befördert, als er eingeschlagen hat. Ich wollte nur lustig sein, ihn aber nicht verletzen«, beteuerte er.
»Ich glaube dir, dass das keine Absicht war. Und Steffen ebenso«, sprach Kai weiter auf ihn ein. »Es wäre gut, wenn du Mirco informierst. Schaffst du das?«
Ben nickte und machte sich auf den Weg. Jetzt kniete sich auch Kai neben Renko auf den Boden.
»Renko, bist du noch bei uns?«, hakte er nach und bekam ein minimales Nicken als Antwort.
Das war schon mal gut. »Was ist los? Wo hast du Schmerzen?«, fragte ich.
Daraufhin schüttelte Renko nur den Kopf und krampfte sich noch weiter zusammen.
Hinter uns ging die Scheunentür auf und Mirco kam eilig zu uns. »Brauchen wir Leon?«, fragte er und meinte damit den Arzt, der seine Schützlinge betreute und für ihn rund um die Uhr erreichbar war, denn außer, dass er der Arzt des Hauses war, waren Mirco, Ben und André auch gut mit ihm befreundet.
»Wir wissen noch nichts. Er sagt nicht, was los ist.«
»Mhm. Dann ruf ich Leon an. Besser ist das«, entschied Mirco und entfernte sich ein paar Schritte, um zu telefonieren.
»Renko?«, sprach ich erneut. »Wir können dir nur helfen, wenn du uns sagst, was los ist.«
»Keine Hilfe«, sagte er gebrochen.
Immerhin reagierte er, also war er bei klarem Verstand. Das war schon mal positiv.
»Leon braucht zehn Minuten«, informierte Mirco uns. »Bringen wir ihn besser rein. Renko, kannst du aufstehen?«
So wie er dalag und sich krümmte, glaubte ich das nicht und sein mattes Kopfschütteln bestätigte meine Vermutung.
Ich versuchte nochmal, ihn zu berühren, auch, um ihn etwas zu beruhigen, aber wieder zuckte er weg. Ratlos sah ich zu Kai, der daraufhin mit seinen Fingern zu seinen Augen und auf Renkos Rücken deutete. Ich kam der Geste nach und erschrak. Da war Blut an seinem Shirt.
»Renko? Du blutest am Rücken. Darf ich da mal nachsehen?«, fragte ich.
»Nein!«, schrie er fast panisch. »Bitte nicht«, kam leise hinterher.
Das machte mich stutzig. Kai scheinbar ebenfalls, so wie er mich ansah. Ich beschloss, Renkos Bitte zu ignorieren, fasste blitzschnell an den Saum seines Shirts und zog es hoch, soweit es ging, da er auf der Seite lag. Was zum Vorschein kam, ließ mich schockiert zurück. Sein Rücken schillerte in allen Farben. Die Haut war stellenweise aufgeplatzt. Aber noch ehe ich weiter gucken konnte, kam Regung in Renkos Körper. Er drehte sich von mir weg, sodass ich das Shirt loslassen musste.
»Was soll das?!«, beschwerte er sich, auf einmal laut und deutlich.
Ich hob die Hände. »Nichts für ungut, aber das muss behandelt werden, Renko. Sofort.«
»Nein! Das ist nichts! Das geht auch wieder weg!«, protestierte er.
Ich lachte bitter auf. »Nein, so einfach und schnell geht das mit Sicherheit nicht weg.«
»Na und? Kann dir doch egal sein!«
»Ist es aber nicht. Lass es sich wenigstens Leon ansehen. Er ist der Arzt, der sich während der Befragung auf dem Revier um Ben gekümmert hat. Erinnerst du dich?«
»Ist doch egal! Ich brauche seine Hilfe nicht! Und eure auch nicht!«, wetterte Renko weiter.
»Ich diskutiere da nicht mit dir drüber. Du lässt dir jetzt helfen. Punkt.« Ich ließ ihn Bekanntschaft mit meiner Domstimme machen.
Es zeigte überraschend Wirkung. Wobei, so überraschend fand ich das ehrlich gesagt gar nicht. Warum auch immer. Er sank jedenfalls in sich zusammen und gab keine Widerworte mehr, keinen Protest.
Als ich ihn berührte, zuckte er auch nicht mehr weg. Behutsam strich ich ihm über den Arm und bemerkte, dass sein Ellenbogen geschwollen war. Ich hakte vorerst nicht nach. Um das zu untersuchen, müsste er später das langärmlige Shirt ausziehen.
»Schaffst du es jetzt, aufzustehen?«
Er schüttelte den Kopf. Tränen liefen noch immer über seine Wangen.
»Dann trag ich dich. Wo bist du überall verletzt?«
»Der Rücken ist das Schlimmste«, murmelte er.
»Okay. Ich werde vorsichtig sein, aber ganz ohne Schmerzen wird es wohl nicht gehen, fürchte ich.« Ich schob einen Arm unter seine Schultern, mit dem anderen griff ich an seine Kniekehlen. Langsam hob ich ihn hoch.
»Schling deine Arme um meinen Hals, dann ist es einfacher.«
Er tat wie geheißen und mit vorsichtigen Schritten trug ich ihn nach drinnen, die Treppen hoch, bis in den zweiten Stock, wo Mirco mir Bens altes Zimmer öffnete, damit ich ihn auf das Bett legen konnte.
Kaum berührte er das Laken, drehte er sich zur Seite und krümmte sich wie ein Embryo zusammen.
Noch bevor ich entscheiden konnte, wie ich weiter vorgehen wollte, betrat Leon das Zimmer.
»Hallo. Ich sehe schon, meine Hilfe wird gebraucht«, erkannte er sofort und stellte seine Arzttasche neben dem Bett ab. Dann betrachtete er die im Bett liegende Person und wurde sich wohl bewusst, wer da lag.
»Herr Pollack, richtig?«, sprach er ihn an.
»Renko«, erwiderte der