32
Verstörung allerseits. Das war verständlich. Vor Kurzem hatte Dudley Holden mit Zoe Manson, Rachel Jedee und Wayne Pytka noch Tennis gespielt, und vor kurzem hatte Dudley Holden mit Wayne Pytka noch in der Sauna geschwitzt - und nun war er tot. Jemand hatte ihn erschossen. Wie seine Mutter.
Zoe Manson und Rachel Jedee weinten. Wayne Pytka war leichenblass. Wir sprachen mit ihnen in der Kantine, während die Kollegen von der City Police in der Sauna ihren Job taten.
Zoe, Dudleys Freundin, kam darüber nicht hinweg, dass sie mit ihm kurz vor seinem gewaltsamen Ende noch Differenzen gehabt hatte. Er hatte sich über sie geärgert, weil sie so schlecht gespielt hatte und so zur Mutter einer saftigen Niederlage geworden war, erzählte sie uns.
»Er nahm das Spiel so tierisch ernst«, sagte sie traurig. Sie putzte sich zum wiederholten Mal die Nase. »Wir ändern wollten bloß ein bisschen Spaß haben.«
Rachel Jedee und Wayne Pytka nickten.
»Ich habe gesagt: ›lch spiele nie wieder mit diesem Verrückten.‹«, berichtete Zoe Manson. »Das tut mir jetzt furchtbar Leid. Ich hätte es mir verkneifen sollen. Ich wusste doch, wie er war. Jetzt kann ich ihm nicht mehr sagen, dass ich bedauere, was ich gesagt habe.«
Sie weinte haltlos in ihr völlig durchnässtes Taschentuch.
Niemand hatte den Mörder gesehen. Er schien eine Tarnkappe getragen zu haben. Das Ganze sah nach der grauenvoll-hochklassigen Arbeit eines abgebrühten Profis aus. Der Mann hatte hier total kaltschnäuzig seinen Auftrag erledigt, und ich fragte mich, von wem er ihn bekommen hatte.
In Andrew Holdens engstem Umfeld hatte das große Sterben begonnen, und ich befürchtete, dass die blutige Serie noch nicht zu Ende war.
Der Kerl, der mir vier platte Reifen beschert hatte, wollte, dass ich die Hände in den Schoß legte. War er der Killer? Wenn er, wie er behauptete, über jeden meiner Schritte Bescheid wusste, musste er auch jetzt in meiner Nähe sein. Ich blickte mich so unauffällig wie möglich um. Aber mir fiel niemand auf, der dieser Mann hätte sein können.
Er hat geblufft, sagte ich mir. Er weiß mit Sicherheit nicht über all meine Schritte Bescheid, aber doch über einige, deshalb kann ich nie sicher sein, dass er nicht in meiner Nähe ist.
Wir sahen uns in der Sauna um, sprachen mit den Cops und mit dem Kantinenpächter. Auch mit einigen Tennisspielern redeten wir. Einen brauchbaren Hinweis auf den Täter konnte uns keiner geben...
Tags darauf erfuhren wir, dass Dudley Holden mit derselben Waffe erschossen worden war wie seine Mutter. Dieselbe Waffe musste nicht automatisch heißen, derselbe Killer. Ich ging aber trotzdem davon aus, und es hätte mich schon sehr gewundert, wenn ich damit falsch gelegen hätte.
33
Die Zeitungen berichteten nicht nur über den Mord an Dudley Holden. Sie brachten auch das Phantombild, das Peiker, unser »Zeichner«, nach den bisweilen recht konträren Angaben von Mr. und Mrs. McFadden angefertigt hatte. In der Bildlegende stand, dass so der Mann aussehen könnte, der in der U-Bahn-Station hinter Yvonne Bercone gestanden hatte.
Im Laufe des Vormittags klopfte jemand an unsere Bürotür. Milo war nicht anwesend. Er hatte eine Besprechung mit unseren Kolleginnen June Archibald und Annie Lamontino.
Ich rief: »Ja!«
Die Tür öffnete sich, und ein mittelgroßer Mann, der eine entfernte Ähnlichkeit mit Hugh Grant hatte, trat ein. »Sind Sie Special Agent Trevellian?«, erkundigte er sich.
Ich nickte. »Was kann ich für Sie tun?«
»Mein Name ist Zalman Simaszko«, stellte er sich vor. »Ich bin Wallstreet Broker. Geboren in Warschau. Seit zehn Jahren amerikanischer Staatsbürger.«
»Was haben Sie auf dem Herzen, Mr. Simaszko?«, wollte ich wissen.
»Sie suchen mich«, sagte der gebürtige Pole.
Ich sah ihn überrascht an. »Ich suche Sie?«
Er nickte. »Das FBI.«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Er legte eine Zeitung auf meinen Schreibtisch und zeigte auf Peikers Phantombild, das ihm nicht im Entferntesten ähnlich sah. »Das bin ich«, behauptete er.
Mein Blick pendelte zwischen ihm und dem Phantombild hin und her. »Sind Sie sicher?«
»Sie suchen den Mann, der hinter Yvonne Bercone stand«, sagte Zalman Simaszko. »Das bin ich.«
Ich nickte. »Jetzt verstehe ich.« Ich bot ihm Platz an.
Er setzte sich, und legte das linke Bein über das rechte. »Was möchten Sie wissen?«
»Was haben Sie gesehen?«
Simaszko zuckte mit den Achseln. »Eigentlich nichts. Ich wartete mit all den anderen Leuten auf den Zug. Yvonne Bercone stand vor mir. Der Zug fuhr in die Station ein, und plötzlich stand das Mädchen nicht mehr vor mir.«
»Kann jemand sie gestoßen haben?«
Zalman Simaszko hob beide Hände. »Also ich habe sie bestimmt nicht...«
»Und jemand anders?«, fiel ich ihm ins Wort.
Simaszko schüttelte den Kopf. »Mir ist niemand aufgefallen. Ich hätte das merken müssen. Sie stand ja unmittelbar vor mir. Aber ich war natürlich durch die Ankunft des Zuges abgelenkt.«
»Haben Sie Yvonne Bercone auf die Gleise fallen gesehen?«, wollte ich wissen.
»Nein...«, sagte Simaszko zuerst. Doch dann: »Das heißt...« Erlegte den Zeigefinger auf seine Lippen. »Vielleicht ja... Irgendwie... Aus den Augenwinkeln... Auf jeden Fall nicht richtig bewusst... Erst als der Zug sie erfasste...« Er holte tief Luft. »Es war grauenvoll... Mir wurde schlecht... Mein Verstand hakte aus... Mir fehlen einige Minuten in meiner Erinnerung... Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich mich nicht mehr in der U-Bahn-Station befand, sondern auf der Straße. Ich muss die Treppe hinaufgerannt sein, ohne es mitbekommen zu haben.«
»Dass Yvonne gestoßen wurde, schließen Sie also aus«, sagte ich. '
»Weitgehend«, schränkte Zalman Simaszko ein.
»Nun«, sagte ich, »dann ist sie entweder gefallen oder - gesprungen.«
Simaszko riss die Augen auf. »Grundgütiger! Wenn sie gesprungen ist...«
»...war es Selbstmord«, sagte ich ernst. »Dann hat sie sich mit voller Absicht das Leben genommen!«
Milo und ich sprachen zwei Stunden später mit Yvonne Bercones Vater. Für ihn war es undenkbar, dass seine Tochter freiwillig aus dem Leben geschieden war.
Hatte