Wir sahen uns um. Wer kam für diese Eselei in Frage?
Ich sah eine Frau mit einem Kinderwagen. Die nicht, dachte ich. Und der alte Mann mit dem Stock auch nicht. Aber vielleicht die beiden rappenden Halbwüchsigen, die, im Rap-Rhythmus schnatternd, die Straße hinuntergingen...
Mein Handy klingelte. Ich holte es heraus und meldete mich.
»Warum sind Sie so unvernünftig, Agent Trevellian?«, fragte jemand ärgerlichvorwurfsvoll. »Denken Sie, ich weiß nicht, was Sie tun? Ich beobachte Sie.«
Ich drehte mich blitzschnell um die eigene Achse. War der Kerl in der Nähe? Wenn ja - wo steckte er?
»Sie sollten Ihre Aktivitäten doch auf 60 Prozent zurückschrauben«, sagte der Anrufer tadelnd. »Was aber tun Sie? Sie machen mit Vollgas weiter. Obwohl Sie wissen, dass mir das nicht gefällt.«
Ich kniff die Augen zusammen, drehte mich wieder im Kreis und suchte ihn. »Wo sind Sie?«
»Ich bin überall und nirgends.«
»Sehen Sie mich in diesem Augenblick?«, wollte ich wissen.
»Vielleicht.«
»Warum zeigen Sie sich nicht?«
»Wozu?«, fragte Mr. X zurück.
»Wir könnten miteinander reden.«
»Das tun wir doch.«
»Auge in Auge, meine ich.«
»Darauf lege ich keinen Wert.«
»Waren Sie an den Reifen meines Wagens?«
»Sehen Sie’s als Warnung. Ich weiß über jeden Ihrer Schritte Bescheid. Sollten Sie so stur bleiben und weiter in diesem Tempo ackern, sehe ich mich gezwungen, andere Saiten aufzuziehen. Das könnte durchaus dazu führen, dass Sie und Ihr Partner Ihres Lebens nicht mehr sicher sind. Mal ehrlich, ist der Fall das wert? Profilieren Sie sich anderswo, und lassen Sie diese Dinge einfach ruhen, okay?«
»Ich kann das nicht«, erwiderte ich grimmig. »Ich kann die Hände nicht in den Schoß legen und nichts tun.«
»Aber ja können Sie das. Sie müssen es nur wollen.«
»Dann liegt es wohl daran, dass ich’s nicht will!«
»Ach, Trevellian.« Der Mann seufzte, als ginge ihm meine Hartnäckigkeit langsam ziemlich auf die Nerven. »Heute sind nur die Reifen Ihres Wagens platt - aber morgen sind es vielleicht schon Sie!«
»Ihnen flattert die Hose, hab ich Recht?«, versuchte ich ihn zu provozieren.
»Überhaupt nicht.«
»Sie fürchten, dass ich Sie kriege!«
»Ich möchte Sie lediglich vor Schaden bewahren.«
»Wie nett von Ihnen«, erwiderte ich spöttisch.
»Lassen Sie den Dingen, die Sie nichts angehen, ihren Lauf, Trevellian. Stecken Sie lhre verdammte Nase irgendwo anders hinein. Ich warne Sie nicht noch einmal.«
»Was heißt, diese Dinge gehen mich nichts an?«, brauste ich auf. »Ich bin FBI-Agent. Zwei Frauen sind tot...«
Ich unterbrach mich. Hitze stieg mir ins Gesicht. »Hallo! Hallo!«
Stille.
Mr. X war nicht mehr dran.
28
Seit Gore Gandolfini den Mobster Bob Verbinski für Mick Derek getötet hatte, konnte er in Dereks Bar gratis trinken, soviel er wollte, und der Profi-Killer machte auch reichlich Gebrauch von diesem Bonus.
Es war nie .die Rede davon, dass Gandolfini Gefahr laufen könnte, alkoholkrank zu werden, wenn er immer so viel schluckte. Schließlich musste jeder selbst wissen, was er tat und wie er mit dem Dämon Alkohol umging, und außerdem wollte Derek nicht den Eindruck erwecken, es täte ihm Leid um die vielen Whiskys, die Gandolfini jedes Mal vernichtete, wenn er in seine Bar kam.
Wendy Wood, die dümmste Rothaarige, die Gandolfini kannte, machte sich an ihn heran. Sie hatte einen fantastischen Körper, aber so gut, wie überhaupt nichts im Kopf. War auch nicht nötig. Wendy war nicht auf die Welt gekommen, um Einstein zu überflügeln. Ihr war von Mutter Natur eine andere Aufgabe zugedacht worden, und der wurde sie ohne Intellekt, völlig instinktiv, absolut gerecht.
»Na, du«, sagte sie.
Gandolfini glotzte grinsend in ihren Ausschnitt. »Na, ihr beiden«, gab er zurück.
»Wie geht’s denn immer?«
Gandolfini feixte. »Möchtest du die lange oder die kurze Version hören?«
Wendy zuckte mit den Achseln. »Ich hab jede Menge Zeit.«
Gandolf inis Blick verstieg sich wieder in ihr Dekollete. »Ich hätte eher zu was anderem Lust, als nur mit dir zu quatschen.«
»Wann immer du willst«, sagte Wendy Wood sofort.
»Wie war’s mit heute?«, fragte Gore Gandolfini.
»Kein Problem.«
»Jetzt gleich?«
»Okay«, antwortete die heiße Rothaarige.
Gandolfini richtete sich auf. »Dann geh ich nur mal ganz schnell für kleine Königstiger, bevor wir uns vom Acker machen.«
»Ich werde hier auf dich warten.«
»Tu das, Baby. Du wirst es nicht bereuen.«
Obwohl er schon einiges geladen hatte, hielt er sich kerzengerade und kam keinen Millimeter vom Kurs ab, als er auf die Toilette ging.
Als er sich anschließend die Hände wusch und sich dabei im Spiegel betrachtete, öffnete sich hinter ihm eine der Kabinen - und er sah den Maskierten wieder.
Gandolfini grinste den Mann im Spiegel an. »Gibt’s diesmal keins auf die Nuss?«
»Ich denke, das ist nicht mehr nötig.«
»Die Maskerade schon?«, fragte Gore Gandolfini.
Der Maskierte ging nicht darauf ein. »Sie haben Ihren Job hervorragend erledigt«, sagte er stattdessen.
Gandolfini lachte selbstgefällig. »Diese Art der Service-Leistung ist meine Spezialität.«
»Sind Sie an einem Nachfolge-Auftrag interessiert?«, wollte der Maskierte wissen.
Der Killer kniff die Augen zusammen. »Zu den gleichen Bedingungen?«
»Selbstverständlich.« Der Maskierte zeigte ihm den mit Geld gefüllten Umschlag.
Gandolfini drehte sich langsam um und griff danach. »Was soll ich tun?«, erkundigte er sich.
Der Maskierte sagte es ihm. Gandolfini hörte aufmerksam zu. Kein Muskel regte sich in seinem Gesicht.
Er steckte das Kuvert ein, nachdem er kurz hineingesehen hatte, und sagte: »Alles klar.«