Eine Sonderform dieser medialen Sichtbarkeit stellen fiktionale Darstellungen von ÜbersetzerInnen dar. Mit der Globalisierung, wie wir sie seit den 1980er Jahren erleben, setzte ein wahrer Boom an literarischen und filmischen Darstellungen von ÜbersetzerInnen ein, die als „master metaphor“ für aktuelle Zustände wie Migration, Identität, Entwurzelung, Mehrsprachigkeit usw. dienen (Delabastita 2009: 111). Interessanterweise werden, wie ich (vgl. Kaindl 2008) in einer Studie zeige, ÜbersetzerInnen häufig als einsame AußenseiterInnen, Heimatlose und GrenzgängerInnen beschrieben, deren Arbeit meist mühsam und frustrierend ist, wodurch sie häufig auch krank, mürrisch, depressiv, ja sogar schizophren werden. Die massive Präsenz fiktionaler Darstellungen ist, was die damit einhergehende Sichtbarkeit betrifft, sicherlich ambivalent zu sehen, da sie einerseits ÜbersetzerInnen aus ihrem Schattendasein holt, andererseits die häufige Verbindung ihrer Person und Tätigkeit mit den problematischen Seiten der Globalisierung ein negatives Bild erzeugen kann.
Soziale Sichtbarkeit
In der Soziologie wird Sichtbarkeit vor allem vor dem Hintergrund der Präsenz im sozialen Raum analysiert: „Visibility is a social dimension in which thresholds between different social forces are introduced. In this sense, the visible can be conceived of as a field of inscription and projection of social action, a field which can be explored as a territory.“ (Brighenti 2010: 4) Die Frage, wie ÜbersetzerInnen im öffentlichen Raum sichtbar sind, stellt sich in verschiedenen Kontexten. So zum Beispiel im Rahmen von Lesungen: Sind ÜbersetzerInnen auf dem Podium präsent, welchen Raum nehmen sie dabei ein, sitzen sie zentral oder eher am Rand, wie viel Rede- bzw. Lesezeit wird Ihnen gegeben? Während es inzwischen durchaus üblich ist, ÜbersetzerInnen im Rahmen von Buchpräsentationen, aber auch auf Buchmessen sichtbar zu positionieren und zu präsentieren, haben Übersetzungen und ihre SchöpferInnen in Buchhandlungen und Bibliotheken meist keinen eigenen Raum. Diese sind meist rund um AutorInnen oder auch um Genres strukturiert; eigene Bücherregale mit Übersetzungen hingegen sind die Ausnahme.
Zur sozialen Dimension kann im weiteren Sinne auch die rechtlich-politische Sichtbarkeit gezählt werden, wie sie sich in Form von Urheberrechtsbestimmungen, Berufsvertretungen etc. manifestiert. Berufsvertretungen haben zum Beispiel lange für das Recht auf Namensnennung gekämpft, bis es schließlich im Urheberrecht auch verankert wurde. Auch hier zeigt sich, dass Sichtbarkeit nicht nur an sprachlichen Faktoren gemessen werden kann, sondern eine semiotisch-räumliche Kategorie ist: Wo und in welcher Schriftgröße der Name von ÜbersetzerInnen aufscheint, ist entscheidend für den Grad der Sichtbarkeit und ist zeit- und kulturgebunden. So war es bis ins 17. Jahrhundert hinein durchaus üblich, dass der Name des Übersetzers (meist waren es Männer), größer und vor dem Namen des Autors genannt wurde, eine Praxis die heutzutage kaum vorstellbar ist.1
Wissenschaftliche Sichtbarkeit
Die Sichtbarkeit der Übersetzerin/des Übersetzers war in der übersetzungswissenschaftlichen Theoriebildung lange kein Thema. Die übersetzende Person wurde in frühen Ansätzen entweder überhaupt nicht thematisiert (z.B. Mounin 1963; Catford 1965) oder als möglichst neutraler Vermittler erachtet (z.B. Kade 1968). Wenn ÜbersetzerInnen eine eigene Persönlichkeit zugestanden wurde, so sollten diese bei der Übersetzung möglichst unterdrückt werden, wie dies Nida forderte, wenn er schreibt: „the human translator is not a machine, and he inevitably leaves the stamp of his own personality on any translation he makes. This being the case, he must exert every effort to reduce to a minimum any intrusion of himself“ (Nida 1964: 154). Der Weg zu einer Humanisierung der Übersetzungswissenschaft war dementsprechend mühsam und lange,1 Venutis Kritik an der Unsichtbarkeit von ÜbersetzerInnen gilt gewissermaßen auch für die Übersetzungswissenschaft. Erst in den letzten 20 Jahren hat sich dies geändert, nicht zuletzt mit Andrew Chestermans Entwurf der Translator Studies (2009) und Anthony Pyms Aufruf zu einer stärkeren Humanisierung der Übersetzungsgeschichte (2009). Indem nun die Subjektivität übersetzerischer Entscheidungen nicht mehr als Problem, sondern als integraler Bestandteil translatorischen Handelns gesehen werden konnte, wurde auch die Frage der Sichtbarkeit erweitert. Mit der Einbeziehung von persönlichen Texten wie Briefen, Tagebüchern, Autobiographien etc. können ÜbersetzerInnen als „people with flesh-and-blood bodies“ (Pym 1998: 161) gesehen werden. Damit ist die Forderung verknüpft, in der Wissenschaft vermehrt die individuelle Persönlichkeit, die jede/r Übersetzer/in hat, und damit seine/ihre Einzigartigkeit sichtbar zu machen.
4 Fazit
In Ralph Ellisons Invisible Man wird die Frage der Sichtbarkeit eng mit Identität und Gesellschaft verknüpft. Dem Protagonisten wird bewusst, dass letztlich die Komplexität des Individuums sich auch in einer Vielzahl von Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten widerspiegelt (vgl. Callahan 2004b: 297ff.). Die Beziehung zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit, Gesellschaft, Identität und Macht lässt dementsprechend nicht nur eine Antwort zu, sondern kann nur mit dem Blick auf den gesamten Handlungsspielraum beantwortet werden. In diesem Sinne war das Ziel dieses Beitrags eine übersetzungswissenschaftliche Theoretisierung von Sichtbarkeit als relationale Kategorie. Sichtbarkeit entsteht aus dem Verhältnis zwischen Ausgangs- und Zieltext, zwischen handelnden Personen und vor dem Hintergrund von mit der Übersetzung verbundenen Einstellungen, Erwartungen und Werthaltungen. Dementsprechend vollzieht sich Sichtbarkeit nicht immer auf die gleiche Weise, vielmehr ist sie multifaktoriell und multidimensional. Die Praktiken der Sichtbarkeit sind dabei sowohl von sozialen und kulturellen als auch individuellen Faktoren abhängig. Sichtbarkeitsordnungen, die festlegen, was als akzeptable und somit sozial anerkannte Form von Sichtbarkeit gilt, existieren folglich nicht als expliziter Regelapparat, sondern entstehen im performativen Akt des doing translation.
Literaturverzeichnis
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Barlach, Kerstin/Breuer, Hannah/Brinkhoff, Carolin/Prellwitz, Miriam (Hg.). 2017. Georg Goyert. Sein Leben und seine Übersetzungen. Berlin: Ch. A. Bachmann.
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Danielewski,