verlagert den Akzent von der Übersetzung zwischen den Sprachen auf die Übersetztheit innerhalb der Sprache. Er verfolgt das Ziel, jene literarischen Texte, zumeist Beispiele der transkulturellen und exophonen Literatur, zu analysieren, die auf inszenierte Mehr- und Zwischensprachigkeit setzen, um die inhärente Übersetztheit der deutschsprachigen Literatur und Sprache zum Vorschein zu bringen. Vorstellungen von Sprachen als geschlossenen Gebilden werden hier ebenso in Frage gestellt wie die Herdersche Korrelierung von Territorium, Sprache und Gemeinschaft. Mit diesen zwischensprachlichen Konstellationen und translatorischen Poetiken verbinden sich weiterreichende sozio-politische Fragestellungen nach Formen der Sozialität jenseits von identitären Homogenitätskonstruktionen, wie sie etwa durch ‚Nationalsprache‘, aber auch ‚Nationalliteratur‘ perpetuiert werden. Arvi Sepp untersucht in seinem Beitrag Übersetzung als hermeneutische Denkfigur in der Prosa von Yoko Tawada und Emine Sevgi Özdamar und zeigt den engen Zusammenhang zwischen Sprachreflexivität und einer Ethik des Kulturtransfers auf. Er analysiert die Texte der transkulturellen Autorinnen hinsichtlich der metaphorischen Ausgestaltung sprachlicher und kultureller Dislokation und illustriert, wie der Topos der ‚Zunge‘ zum Ausgangspunkt wird, um eine radikale multikulturelle Erfahrung von Körperlichkeit zwischen Sprachen und Kulturen zu modellieren. Gerade die Sichtbarkeit der Materialität von Sprache und Text dient hier der Profilierung einer transkulturellen Poetik, die sich aus grenzüberschreitenden Literatur- und Kulturpraktiken speist. Der Beitrag von Volker Dörr nähert sich den Erzähltexten von Emine Sevgi Özdamar aus anderer Perspektive, einer Perspektive, die Interferenzen zwischen den beteiligten Sprachen Türkisch, der ‚Muttersprache‘ der Autorin, Arabisch, der Sprache u.a. des Islam, und Deutsch, der vorherrschenden Sprache der Texte, in den Vordergrund rückt. Die translatorische bzw. transkulturelle Poetik Özdamars integriert unübersetzte Wörter, markierte Übersetzungen und unmarkierte wörtliche Übersetzungen, um das Verhältnis zwischen Sprachen auszuloten. Deutlich wird dabei, dass solche translatorischen Poetiken eben nicht nur grenzüberschreitende und subversive Akte sind; vielmehr implizieren sie auch performative Sprechakte, die Differenzen zwischen Sprachen allererst herstellen. Vor dem Hintergrund einer solchen Dynamik von Konstruktion und anschließender Dekonstruktion stellt sich die Frage nach dem politischen Potential sprachlicher Hybridität in der Tat neu. Es folgt ein Beitrag von Vera Elisabeth Gerling, der den Blick auf María Cecilia Barbettas Roman
Nachtleuchten (2018) lenkt und damit einen Roman erforscht, der sprachliche Vernetzungen zum Ausgangspunkt transkultureller Formen der Erinnerung nimmt. Die in Argentinien geborene, in Berlin lebende Autorin erinnert in ihrer Zweitsprache Deutsch an die Geschichte der argentinischen Militärdiktatur. Übersetzerische Verfahren, so zeigt Gerling, werden in diesem exophonen Werk vor allem genutzt, um kulturelle, nationale und territoriale Grenzen zu überschreiten und einen hybriden Raum des Erinnerns zu schaffen, der sich nationalkultureller Vereinnahmung widersetzt. Teil III schließt mit einem Beitrag von Monika Schmitz-Emans, der literarisch-graphische Inszenierungen sprachlicher Übergänge und Zwischenräume in ausgewählten Texten von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Yoko Tawada, Ann Cotten, Theresa Hak Kyung Cha und Uljana Wolf untersucht. Akte der Übersetzung zwischen und innerhalb von Sprachen werden in diesen Texten nicht nur durch vielschichtige multilinguale und zwischensprachliche Poetiken sichtbar; vielmehr werden sie auch durch Brüche mit orthographischen Konventionen sowie die Mischung von Schriftsystemen sinnfällig gemacht. Sogenannte fremd
schriftliche Texte, dies zeigt der Beitrag eingängig, weisen Leser:innen zumeist beharrlicher ab als fremd
sprachliche Texte, denn sie entziehen sich selbst einer Oberflächenlektüre. Zugleich haben fremdschriftliche Zeichen, Zeichenketten und Arrangements eine starke ‚Fremdheitsanmutung‘, die zu leserseitigen Auseinandersetzungen mit Fremdheit einlädt, die sie aber auch zu Impulsgebern innovativer Schreibverfahren macht. Der Aufsatz illustriert deutlich, welch vielschichtige Formen die Auseinandersetzung mit Übersetzung in der Literatur annehmen kann und welch unterschiedliche Effekte diese translatorischen Poetiken auszulösen vermögen.
Der Band schließt mit Beiträgen der Übersetzer:innen Jan Wilm, Reinhild Böhnke, Susanne Lange und Miriam Mandelkow und übergibt damit das letzte Wort denjenigen, um die es hier zentral geht. In ihren in Teil IV versammelten Beiträgen thematisieren Wilm, Böhnke, Lange und Mandelkow die Herausforderungen und Freiheiten von Übersetzungen, deren Kreativität und Eigensinn im Spannungsfeld zwischen der Agentialität von Übersetzer:innen und den Anforderungen des Buchmarktes. Dabei formulieren sie zugleich weiterreichende Ideen, wie Übersetzungen zu größerer Sichtbarkeit verholfen werden kann. Einmal mehr zeigen diese Beiträge, welch immenses Innovationspotential Übersetzungen als kreative Interventionen in bestehende Sprach-, Literatur- und Denkordnungen bieten; dieses sichtbarer zu machen und auszuschöpfen bleibt auch weiterhin ein zentrales Desiderat.
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