An neuen Orten. Rainer Bucher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Bucher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429061623
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kreativen Möglichkeitssinn.

       KIRCHENPOLITIK UND PASTORALTHEOLOGISCHER DISKURS

       Beiläufige Beobachtungen über ihren Zusammenhang am Beispiel einer Kontroverse zwischen M. N. Ebertz und J. Werbick

       1 Das Problem

      Jürgen Werbick und Michael N. Ebertz tauschten vor einiger Zeit die argumentativen Klingen zur viel diskutierten Frage nach der „Zukunft der Gemeinde“, beziehungsweise, ein wenig grundsätzlicher und eigentlich missverständlich formuliert, zur „Verörtlichung des Glaubens“.265

      Der Dogmatiker Werbick und der Soziologe und Pastoraltheologe Ebertz repräsentieren die beiden zentralen Referenzwissenschaften der Pastoraltheologie. Sie führen in ihrer kleinen, aber repräsentativen Debatte einen aktuellen, zudem ohne Zweifel relevanten pastoraltheologischen Diskurs von einigem Niveau. Die argumentativen Pfeile fliegen eindrucksvoll hinüber und herüber, allerdings aneinander vorbei: knapp sicherlich, aber eben unübersehbar. Diese Konstellation sich wechselseitig vielleicht noch berührender, kaum schneidender, vor allem aber nicht treffender Diskurse hat Gründe, die über den konkreten Kampfplatz und sein Thema hinausreichen.

      Um diese Gründe, also um die Struktur der Auseinandersetzung und was sich an ihr ablesen lässt, soll es im Folgenden gehen. Denn in dieser Auseinandersetzung zeigt sich ein bislang kaum bearbeitetes Thema des theologischen, speziell des pastoraltheologischen Diskurses: seine eigene Situierung im Feld des Politischen, speziell der innerkirchlichen politischen Vektoren. Natürlich ist sich der pastoraltheologische Diskurs seiner eigenen politischen (Interventions-)Chancen und Risiken bewusst,266 doch eher selbstverständlich behandelt er seine eigenen politischen Strukturierungen, Abhängigkeiten und Bedingtheiten. Wiewohl der pastoraltheologische Diskurs als „Praxiswissenschaft“ zentral im Feld des (Kirchen-)Politischen situiert ist, gibt es (praktisch) keine „Kritische Theorie der Pastoraltheologie“.267

      An der vorliegenden und hier analysierten Diskussion zweier renommierter Theologen zu einem umstrittenen pastoraltheologischen Thema sollen diese politischen Strukturierungen, Abhängigkeiten und Bedingtheiten analysiert werden. Es kann vermutet werden, dass diese Auseinandersetzung geradezu paradigmatische Qualität für die pastoraltheologische Diskussion, zumindest jene zum Bereich der Kirchenbildung, besitzt.

      Worum geht es inhaltlich? Schon das ist nicht so ganz klar und auf mindestens zwei Ebenen zu beantworten. Vordergründig geht es um die „Verörtlichung des Glaubens“, was aber auch schon nicht wirklich zutrifft, denn keiner der beiden Kontrahenten bestreitet die Notwendigkeit solcher „Verörtlichung“. Auch Ebertz betont, dass der Glaube auf „verörtlichte Begegnungen angewiesen ist“ und eben nicht „umgebettet werden“ könne „in ortlose Beziehungen etwa des neuen sozialen Raums der elektronischen Medien“268.

      Mit seinem Plädoyer für eine „Verörtlichung des Glaubens“ trifft Werbick Ebertz also nicht wirklich, schon hier läuft etwas aneinander vorbei: Ebertz’ Gemeindekritik meint eben kein Plädoyer für rein virtuelle kirchliche Räume oder „Zwischenräume“, wie es anderswo269 bei ihm heißt. Man wird also trotz der vom Herausgeber der Zeitschrift geschickt inszenierten Blattdramaturgie unterscheiden müssen, worum es Ebertz und worum es Werbick geht. Das „Verörtlichungs“- oder „Was wird aus der Gemeinde?“-Thema scheint eher das Forum, der Ort, der Spielraum, auf dem und mit dem andere Themen ausgetragen werden: soweit eine erste Beobachtung. Aber welche Themen? Wie und warum?

       2 Jürgen Werbicks Positionen

      Worum es Jürgen Werbick geht, das wird gleich zu Beginn seiner Ausführungen und ganz besonders in seiner Replik auf Ebertz deutlich. Es formuliert sich speziell in dem, was er fürchtet: Werbick fürchtet, dass unter der Decke einer Communio-Ekklesiologie – der Terminus kommt bei Ebertz allerdings genau besehen gar nicht vor – und mit Hilfe des Netzwerk-Gedankens, also auf der Basis der Auflösung der traditionellen Pfarrei- und Gemeindestrukturen270, „eine amtszentrierte (bzw. priesterzentrierte) Vollmachtsverteilung aufrecht“ erhalten wird, „die beim derzeitigen ‚Priestermangel‘ dazu führen muss, dass die Netze reißen und die Gemeindemitglieder wie die überlasteten Amtsträger sich allein gelassen fühlen“271, wie es in der Replik heißt. Werbick fürchtet also, wie es zu Beginn geheißen hatte, dass all die neuen gemeindetheologischen Überlegungen, jene von Ebertz, aber auch anderer, dazu dienen, „die Frage der Ämter und Aufgaben in der Kirche (zu) umschiffen“272.

      Werbicks Argumentation ist also primär amtstheologisch und kirchenpolitisch motiviert. Werbick graut es vor einem amtstheologisch begründeten „Zelebrationstourismus“273 und er befürchtet, sicher nicht ohne Grund, den ideologischen Umgang mit den Laien, die als „ekklesiologische Ersatzleute“ instrumentalisiert würden, „wenn die priesterliche ‚erste Garnitur‘ nicht mehr zur Verfügung steht“274. Mit anderen Worten: Werbick wittert hinter allen Modellen, die „Vernetzung“, großflächige Seelsorgeräume oder überhaupt die bischöfliche Diözesankirche favorisieren, als Motivation wie Resultat das zähe Festhalten an der alten klerikalen Zwei-Stände-Kirche, wie sie vorkonziliar tatsächlich Konzept und Realität war und nachkonziliar in der Praxis durchaus noch nicht überwunden ist. Wer könnte in dieser Intention Werbick widersprechen?

      Am Schluss seiner Replik fragt Werbick dann auch unmissverständlich die Entscheidungsträger der Kirche, also die Hierarchie, ultimativ und alternativ:

      Bejaht sie den „Ersatz“ der priesterlichen Gemeindeleitung durch Laien-Ämter und den weitgehenden „Ersatz“ der Eucharistiefeier vor Ort durch andere liturgische Formen wie auch deren sakramentalen Charakter, oder betrachtet sie dies alles als Notfall – zu dem man freilich selbst entscheidend beigetragen hat, weil man gemeindeleitenden Charismen den Weg zum priesterlichen Amt versperrt – und sucht sie nach Wegen, die diesem Notfall abhelfen könnten? Tertium non datur – es sei denn, man hält die Verörtlichung des Glaubens in Zeiten einer umfassenden Virtualisierung für weitgehend entbehrlich.275

      Es geht Werbick also um das, was man „Gemeindeleitungsdilemma“ nennen könnte, also um die unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht auflösbare Entscheidungslage, entweder die Zulassungsbedingungen zum Priesteramt unverändert zu lassen, dann aber auf Grund des eklatanten Priestermangels die sakramentale, vor allem eucharistische „Versorgung“ des Volkes Gottes zu gefährden, zudem die Priesterrolle immer ausschließlicher auf Sakramentenspendung zu reduzieren und de facto den Umbau der gewohnten priesterlichen Rolle zu akzeptieren, insofern immer deutlicher gemeindeleitende Funktionen, offen oder unter der Hand, an Laien abwandern, oder aber die Zulassungsbedingungen zum Priestertum zu ändern, was mit einiger großer Wahrscheinlichkeit die Priesterzahlen wieder steigern und es wohl ermöglichen würde, die gegenwärtige pastorale Struktur aufrecht zu erhalten.

      Werbicks Option ist eindeutig, wenn sie auch eher nur indirekt aus seiner kritischen Stoßrichtung erschließbar ist: Er möchte, wie viele, etwa auch der Basler Bischof Kurt Koch,276 eher die Zulassungsbedingungen zum Priestertum verändern als umgekehrt die Basisrealität der Kirche dem aktuellen Priestermangel anpassen.

      Werbicks Gründe für diese Option sind nachvollziehbar: Die Feier der Eucharistie müsse, so Werbick, weiterhin im Zentrum der kirchlichen Vergemeinschaftung stehen, die Eucharistie aber müsse konkret vor Ort realisierbar sein, und dazu brauche es eben, so der Priester der einzig legitime Vorsteher der Eucharistie bleibe, wovon Werbick ausgeht, genug geweihte Amtsträger.277

      Zudem wird deutlich, dass Werbick nicht nur Eucharistievorsitz und Priestertum koppelt, was ja nicht umstritten ist, sowie Eucharistieversammlung und Gemeindebildung, was ebenfalls weitgehend Konsens sein dürfte, wenn auch in der Realität schon durchaus nicht so selbstverständlich wie theologisch postuliert, sondern auch, umstrittener schon, Eucharistievorsitz, Gemeindeleitung und Seelsorge. „Mir scheint die seelsorgliche Prägung der Gemeindeleitung unaufgebbar“, so Werbick, weswegen „eine verantwortbare