Westend 17. Martin Arz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Arz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783940839343
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der Beweis, dass ein Mix aus allen Völkern und Hautfarben der Welt die schönsten Menschen hervorbringt.

      »Eben. Ich gebe mir Mühe, Brownie.«

      Max Pfeffer sprang schnell aus dem Bett und Tims spielerischer Schlag ging ins Leere.

      »Schokocrossie ist mir lieber«, rief ihm Tim hinterher. »Klingt knackiger als Brownie. Und eigentlich bin ich ja eher ein Karamellbonbon …«

      »Werds mir merken«, antwortete Pfeffer vom Flur aus, bevor ihm einfiel, dass er leiser sein musste, wollte er nicht seinen Sohn Florian aufwecken.

      Ein zartes Morgenrot beleuchtete die Szenerie, als Max Pfeffer die Betontreppe neben den Gleisen hinunterstieg. Er ärgerte sich ein wenig, dass der Tag so begann, statt mit seinem üblichen Sportprogramm. Obwohl er erst Anfang vierzig war, hatte Max Pfeffer schon seit Jahren graue Haare. Daran hatte er sich nie gestört, und er hatte alle Versuche seines Friseurs, die Haare zu »renaturieren«, abgelehnt. Außerdem kontrastierten die Haare bestens mit seinen tiefbraunen, sanftkuscheligen Augen, die ihm nicht ausschließlich, aber doch zumeist bei Frauen gewisse Sympathiepunkte einbrachten. Ein Kollege hatte mal gesagt: »Du redest dir leicht mit deinen Schenkelöffneraugen …« Pfeffer fand sich selbst nicht besonders hübsch, aber er achtete sehr auf sich – seit er sich einen kurzen Bart hatte stehen lassen, brauchte er im Bad etwas kürzer. Er kleidete sich immer mit Stil und Geschmack. Was Pfeffer jedenfalls massiv störte, waren Fettpölsterchen und Bierbäuche. So etwas würde es bei ihm nicht geben. Also zog Max Pfeffer konsequent und diszipliniert seit ewigen Zeiten sein Sportprogramm durch. Idealerweise in der Früh. Außer an Tagen wie diesem.

      Pfeffer schwang sich über das Absperrgitter und lief die paar Schritte durch ein bisschen Böschung mit Grünzeug, bis er am Schotterbett der Bahngleise stand. Vor ihm lag die Hackerbrücke im Licht des beginnenden Tages. Hinter mehreren Reihen Gleisen und Weichen, zwischen denen ein Wald von Signalmasten stand, erhob sich düster wie eine Trutzburg das Stellwerk. Auf den Gleisen dahinter rauschten schon die ersten S-Bahnen mit Pendlern in Richtung Hauptbahnhof, von der Ferne wehten die Lautsprecherdurchsagen her. Züge rangierten auf den seitlichen Gleisen. Ein weißer ICE glitt im Schleichtempo gespenstisch leise vorbei.

      Die grellen Scheinwerfer der Spurensicherung wiesen Pfeffer den Weg. Er sah es schon von Weitem: Ungefähr in halber Höhe zwischen Brückengeländer und Bahngleisen hing ein menschlicher Körper an einem Seil. Dahinter sah er die Silhouette der Stadt, die Türme der Frauenkirche und die aufgehende Sonne. Im Halbdunkel den Weg halbwegs stolperfrei zwischen Bohlen, Schienen, Schotter und erstaunlich wenig Abfall zurückzulegen, war nicht so einfach. Pfeffer sah, dass wenige Meter vor ihm eine Frau mit kurzen blonden Haaren, die denselben Weg zu haben schien, stolperte und hinfiel. Seine Kollegin. Er beeilte sich und half ihr auf. »Gehts, Bella?«

      »Chef, mein starker Held.« Hauptkommissarin Annabella Scholz richtete sich stöhnend auf, stemmte den linken Arm in die Seite und wischte sich über den mächtigen Bauch. Sie roch angenehm nach Kaffee. Seit sie Kontaktlinsen statt einer Brille trug, hatte sie etwas Lieblicheres an sich.

      »Schwangerschaftsgymnastik, Bella?«, fragte Pfeffer schmunzelnd. Alle nannten Annabella nur Bella.

      »Klar, Chef. Ist eine Yogaübung. Nennt sich Verbrühung mit heißem Kaffee am Morgen.« Sie wischte mit der flachen Hand weiter über ihre Kleidung, in der anderen hielt sie noch den Pappbecher, dessen Inhalt sie über sich geschüttet hatte.

      »War er arg heiß?«

      »Nein, geht schon. Nur ärgerlich, dass ich gleich die neue Hose eingesaut habe.«

      Die beiden gingen vorsichtig weiter.

      »Gehts wirklich, Bella?«, fragte Pfeffer und deutete auf den Bauch der schwangeren Kollegin.

      »Klar. Er tritt nur ein wenig. Kein Thema.« Bella Scholz hielt sich sacht an Pfeffers Arm fest. »Warum haben sie dich rausgeholt, Chef?«, fragte sie dann. »Muss schon was verdammt Wichtiges sein.«

      »Keine Ahnung«, antwortete Max Pfeffer. »Sie haben nur gesagt, dass das vermutlich ein höchst sensibler Fall sei, und dass auch The Big Boss informiert wurde und anwesend sein wird. Ebenso der Oberstaatsanwalt. Da muss ich also auch kommen.«

      »Elefantenrunde«, sagte Bella Scholz trocken und deutete auf eine kleine Gruppe Menschen, die außerhalb des Flutlichts stand und sich unterhielt: Oberstaatsanwalt Norbert Bauer, Kriminaldirektorin Jutta Staubwasser und Rechtsmedizinerin Doktor Gerda Pettenkofer. Die Rechtsmedizinerin trug als Einzige der drei einen weißen Overall, ebenso wie die Kollegen der Spurensicherung innerhalb des gleißenden Flutlichtkreises. Bella Scholz sah beim Gehen konzentriert auf den Boden, um nicht noch einmal zu fallen. Deshalb fuhr sie überrascht zusammen, als Pfeffer plötzlich seinen Arm befreite, davonsprintete und dabei »Seid ihr völlig übergeschnappt! Stopp!« brüllte. Das Quietschen eines rangierenden Zugs verschluckte sein Geschrei.

      Hauptkommissarin Bella Scholz stolperte ein zweites Mal an diesem Morgen und schlug sich diesmal das rechte Knie an einer Schiene auf. Das Baby in ihrem Bauch trat und boxte.

      »Stopp!«, brüllte Pfeffer noch einmal. Die Kollegen von der Spurensicherung drehten sich zu ihm um, auch Kriminaldirektorin Staubwasser, die Rechtsmedizinerin Doktor Gerda Pettenkofer und Oberstaatsanwalt Bauer richteten ihre Aufmerksamkeit auf Pfeffer. Nun endlich nahmen ihn die Uniformierten oben auf der Brücke wahr und hielten inne. Sie waren auf die Absperrung auf der Brüstung geklettert, hatten mehrere Decken auf den Stacheldraht gelegt und waren dabei, den Erhängten am Seil, das ihm das Genick gebrochen und dann tief in seinen Hals eingeschnitten hatte, nach oben zu ziehen.

      »Seid ihr wahnsinnig?!«, rief Pfeffer den Kollegen oben auf der Brücke zu. »Runterlassen, nicht raufziehen!«

      »Aber wir haben doch Handschuhe an«, rief einer der Uniformierten.

      »Runterlassen!«, brüllte Pfeffer.

      Sofort ließen die beiden Uniformierten das Seil los, die Leiche rauschte nach unten und landete mit einem unangenehmen Knacksen wieder in ihrer Auffindposition.

      »Das … also wirklich …«, stammelte Kriminaldirektorin Jutta Staubwasser, als sie zu Pfeffer trat. Weder sie noch die Rechtsmedizinerin oder der Staatsanwalt hatten zuvor bemerkt, was vor sich gegangen war. »Wie pietätlos …«

      »Wobei … sie hatten ihn doch schon fast oben«, sagte Oberstaatsanwalt Bauer. »Gut, warten wir eben, bis der Laster mit Hebebühne hier ist und ihn runterholt.«

      Doktor Gerda Pettenkofer verdrehte die Augen und zündete sich eine Zigarette an. »Sie wissen schon, dass die beiden Kasper da oben mit ihrer Aktion meine Arbeit unnötig erschweren«, knurrte sie.

      »Mein Gott«, entgegnete der Staatsanwalt, »Sie werden ja wohl noch feststellen können, welche Verletzungen zum Tode führten und welche danach …« Er brach ab und zuckte mit den Schultern.

      »Ich glaube, falls hier irgendwer mit dem Handy fotografiert oder filmt, macht das keinen guten Eindruck von der Arbeit der Münchner Polizei, wenn sie einen Erhängten am Galgen hochziehen, oder?«, sagte Max Pfeffer. Er hatte ein, gelinde gesagt, schwieriges Verhältnis zu Oberstaatsanwalt Norbert Bauer.

      »Da hat Kollege Pfeffer recht«, sagte Kriminaldirektorin Staubwasser. Inzwischen hatte auch Hauptkommissarin Scholz die Gruppe erreicht. »Sie fragen sich sicher, warum wir heute zu dieser unchristlichen Uhrzeit in großer Runde hier sind«, fuhr die Kriminaldirektorin fort. »Auch wenn unser Opfer noch nicht genau untersucht werden konnte, so ist doch selbst von hier unten eindeutig feststellbar, dass es sich um einen Menschen mit Migrationshintergrund handelt. Dazu diese exponierte Lage! Mitten in der Innenstadt in Sichtweite zum Hauptbahnhof. Und die Art und Weise lässt sofort an eine Hinrichtung denken.«

      »Warum sind wir sicher, dass es kein Selbstmörder ist, der sich spektakulär verabschieden wollte?«, fragte Pfeffer.

      »Weil …«, der Staatsanwalt zögerte. »Weil wir das noch nicht wissen. Es sieht allerdings nicht nach Selbstmord aus.« Er ließ offen, warum. Er hatte keine Ahnung, warum.

      Die Rechtsmedizinerin sprang ein: »Weil ein Selbstmörder hier wohl die leichtere Variante