Der US-amerikanische Häusermarkt hatte zu Beginn der Krise eine ungewöhnliche Entwicklung hinter sich: Seit Jahrzehnten waren die landesweiten Häuserpreise kaum mehr gefallen. Besonders dynamisch wurde diese Entwicklung aber vor allem nach der Jahrtausendwende, als die Preise in jeder Wirtschaftslage stiegen und die durchschnittliche Erhöhung mit deutlich mehr als 10 Prozent pro Jahr weit über dem Wirtschaftswachstum lag. Abbildung 6, welche die Entwicklung der US-Häuserpreise von 1991 bis 2006 anhand der wichtigsten landesweiten Messgröße darstellt, zeigt ein eindrucksvolles Bild dieser Dynamik.
Abbildung 6
Quelle: Datastream
Spätestens seit dem Jahr 2002 wurden US-amerikanische Immobilien zu einem bevorzugten Investitionsobjekt. Die vom Platzen der New-Economy-Blase Anfang des Jahrzehnts gebeutelten Investoren sahen im Häusermarkt eine sichere, rentable Alternative. Die Häuserpreise waren landesweit schon lange nicht mehr gesunken, außerdem besaß man bei dieser Investition eine handfeste Sicherheit, nämlich das Haus selbst – dies ganz im Gegensatz zur Investition in die Aktien von neuen, kleinen Internetfirmen, die über Ideen, aber nichts Handfestes verfügten. Eine gewaltige Investitionslawine begann sich in den US-amerikanischen Immobilienmarkt zu ergießen; die dadurch steigenden Preise schienen die Rentabilität der Investitionen zu bestätigen.
Drei Voraussetzungen waren für die Entstehung der Blase auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt entscheidend:
Voraussetzung 1: Zu expansive US-Geldpolitik
Voraussetzung 2: Massive Kapitalströme in die USA
Voraussetzung 3: Problematische «Innovationen» auf den Finanzmärkten
Wir werden im Folgenden die Rolle dieser drei Faktoren erläutern.
Zu expansive US-Geldpolitik8
Investitionen in Immobilien sind stark von den Kosten der Verschuldung und damit vom Zinsniveau abhängig. Tiefe Zinsen führen zu einer Erhöhung der Investitionsnachfrage, weil es billiger wird, sich Geld zu beschaffen. Für die Preisblase auf dem US-Immobilienmarkt waren außerordentlich tiefe Zinsen ohne Zweifel ein wichtiger Auslöser, wie eine Analyse der US-Geldpolitik zu Beginn des neuen Jahrtausends klarmacht.
Mit einigem Recht lässt sich heute behaupten, dass die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 bei der Entstehung der Krise eine wichtige indirekte Rolle spielten. Damals litt die US-amerikanische Wirtschaft ohnehin schon unter den Folgen des abrupten Börseneinbruchs nach dem Ende des New-Economy-Strohfeuers. Viele Wirtschaftspolitiker befürchteten, die Kombination aus fallenden Börsenkursen und Terrorismusangst könnte zu einer tiefen Rezession führen, falls die große Unsicherheit einen Einbruch der Investitionen und Konsumausgaben auslösen würde. Es wurde gar die Gefahr einer Deflation – also einer tiefen Rezession mit gleichzeitig stark fallenden Preisen – heraufbeschworen.9
Die US-amerikanische Notenbank, das Federal Reserve System (kurz Fed), reagierte auf diese Befürchtungen mit einer stark expansiven Geldpolitik, indem sie die Zinsen deutlich senkte, um die Investitionen und den Konsum zu stimulieren. Ungewöhnlich war vor allem, dass die Zinsen auch dann noch auf außerordentlich tiefem Niveau belassen wurden, als die Wirtschaft schon wieder kräftig zu wachsen begann. Anhand von Abbildung 7 lässt sich ermessen, wie ungewöhnlich expansiv diese Geldpolitik war.
Die blaue Kurve zeigt den Verlauf der durch das Fed festgelegten Leitzinsen seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts. Man sieht, dass sie nach dem Platzen der Internetblase und den Anschlägen von 2001 auf einen sehr tiefen Wert gesenkt wurden, um diese Schocks aufzufangen. Bemerkenswert ist aber, dass die Zinsen auch nach 2002 lange auf diesem tiefen Niveau verharrten, obwohl der Aufschwung längst eingesetzt hatte. Wie ungewöhnlich dies war, lässt sich an der roten Linie ablesen. Sie zeigt das Zinsniveau, wenn sich die Geldpolitik konventionell verhalten hätte.10 Heute ist klar, dass bei diesem kräftigen Konjunkturaufschwung (die Wachstumsraten stiegen auf deutlich über 2 Prozent) die Zinsen nicht so lange auf beinahe null Prozent hätten gehalten werden sollen.
Abbildung 7
Quelle: The Economist, 18. Oktober 2007
Unmissverständlich zeigt die Grafik eine zu expansive US-Geldpolitik während mehr als zwei Jahren.
Ein wichtiger Grund für diese ungewöhnliche Politik war die – im Nachhinein gesehen – unnötige Deflationsangst. Sie wurde noch dadurch geschürt, dass die Inflationsrate in dieser Periode sehr tief blieb, was in einer Aufschwungphase unüblich ist. Allerdings wissen wir heute, dass sich die stark expansive Geldpolitik eben doch in den Preisen niederschlug – allerdings nicht wie üblich in den Konsumentenpreisen, sondern in den Preisen von Wertanlagen und hier insbesondere in den Preisen von Immobilien.
Massive Kapitalströme in die USA
Ein zweiter, sehr wichtiger Faktor zur Erklärung des Ausmaßes der Immobilienblase waren die außergewöhnlich kräftigen Kapitalströme in die USA. Ökonominnen und Ökonomen hatten schon seit den 1990er-Jahren große Bedenken, dass die US-amerikanische Wirtschaft über ihre Verhältnisse lebte. Denn seit den 1980er-Jahren und in eindrucksvoll steigendem Ausmaß seit Ende der 1990er-Jahre exportierten die USA wesentlich weniger, als sie importierten, und sie finanzierten dies mit Kapitalimporten vor allem aus dem asiatischen Raum. Dadurch taten sich große globale Ungleichgewichte auf. Zahlreiche Beobachter hielten fest, dass es früher oder später zu einer starken und schmerzhaften Korrektur kommen müsse. Die US-Bevölkerung verhielt sich insgesamt wie ein privater Haushalt, dessen Ausgaben laufend höher sind als sein Einkommen, weshalb er sich immer weiter verschulden muss. Das Resultat sieht man in Abbildung 8: Die US-amerikanischen Auslandschulden, also der Bestand an US-Wertpapieren, die von Ausländern gehalten wurden, stieg im Verlauf der 1990er-Jahre kontinuierlich an; die US-Amerikaner verschuldeten sich in zunehmendem Maß in ihrer eigenen Währung bei Ausländern.
Diese Tendenz verstärkte sich Anfang des vergangenen Jahrzehntes noch, und wir sehen in der Grafik, dass der schon 2002 sehr hohe Bestand sich bis 2007 noch einmal verdoppelte. Die Sparquote der US-amerikanischen Haushalte sank in dieser Periode gegen null. Gesamtwirtschaftlich betrachtet, waren Investitionen in den USA nur noch möglich, weil das Ausland kräftig mitfinanzierte. Darin zeigte sich auch ein bemerkenswerter Risikoappetit, der die ungünstige spätere Entwicklung mit erklärt. Die US-Amerikaner hielten die Aussichten offenbar für genügend gut, um eine ständig wachsende Verschuldung problemlos mit späteren Einkommenszuwächsen (oder auch aus den erwarteten weiteren Wertsteigerungen der Immobilien) finanzieren zu können. Das starke Wachstum der US-Wirtschaft seit Mitte der 1990er-Jahre, das nur von einer kurzen Rezession nach dem Platzen der Internetblase unterbrochen worden war, schien diese Annahme immer plausibler zu machen.
Abbildung 8
Quelle: Federal Reserve
Es stellt sich die Frage, wieso der Rest der Welt bereit war, dieses aus heutiger Sicht unverantwortliche und für sie zuletzt kostspielige Verhalten zu finanzieren. Die einfache Antwort: Zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts erschien dies keineswegs als unverantwortlich. Die USA wiesen damals über Jahre ein spektakuläres Produktivitätswachstum auf und wurden allgemein als attraktivster und dynamischster Wirtschaftsstandort weltweit eingeschätzt. Investitionen in dieses Land galten deshalb als vielversprechend. Hinzu kam, dass ein großer Teil des Zuwachses an Kapitalimporten aus Japan und den stark wachsenden Schwellenländern wie Russland und allen voran China stammte.