Wirtschaftskrise ohne Ende?. Aymo Brunetti. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aymo Brunetti
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная деловая литература
Год издания: 0
isbn: 9783039058969
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– die Entwicklung des Eigenkapitals im Verhältnis zur gesamten Bilanz. Je tiefer dieser Anteil ist, desto stärker ist die Bank verschuldet. In den Nachkriegsjahren sank diese Kennzahl rasch von 10 auf gegen 5 Prozent; auf diesem Niveau verharrte sie dann während mehrerer Jahrzehnte bis Mitte der 1990er-Jahre. In der Boomphase vor der Krise wurde der Verschuldungsgrad dann aber noch einmal deutlich erhöht, sodass das Eigenkapital gerade noch etwa 2 Prozent der Bilanzsumme ausmachte. Das bedeutete, dass 98 Prozent der Aktiven der Banken mit Fremdkapital finanziert waren – eine wahrlich riskante Situation.

      Für die Aktionäre der Banken war diese Ausdehnung der Verschuldung sehr attraktiv, da mit dem steigenden leverage die erzielbare Eigenkapitalrendite steigt. Die folgende Box erläutert diesen wichtigen Zusammenhang. Im Vorfeld der Krise konnten Banken nicht zuletzt auch wegen der Deregulierung der Finanzmärkte in vielen Ländern die Verschuldung noch einmal stark ausdehnen.5 Entsprechend hoch waren folglich auch die Renditen der Bankaktien in den Jahren vor der Krise. Und entsprechend explosiv waren auch die Risiken.

      Die Ausdehnung der Verschuldung ist aber nur ein Aspekt der gestiegenen Risiken. Wichtig war auch, dass die Expansion vor der Krise sehr stark durch kurzfristige Kredite bei anderen Banken finanziert wurde. Dies bedeutete einerseits, dass diese Kredite laufend wieder erneuert werden mussten, und andererseits, dass die Risiken der Banken sehr stark miteinander verknüpft waren. Die Schieflage bei einer Bank führte zugleich auch zu einem hohen Verlustrisiko bei den anderen Banken, welche Schuldpapiere der angeschlagenen Bank als Aktivposten in ihren Bilanzen hatten. Und als wäre dies nicht schon genug, gingen die Banken gleichzeitig ein hohes Liquiditätsrisiko ein, indem die liquiden Mittel auf Kosten von Investitionen in Wertpapieren reduziert wurden, um vor allem mit dem Eigenhandel die Rendite weiter zu steigern.

      Angesichts dieser Situation ist es kaum erstaunlich, dass Banking in den Jahren vor der Krise eine Goldgrube war. Kaum je waren die Wachstumsraten und die Renditen so hoch, und die great moderation ließ die eingegangenen Risiken als gar nicht so bedrohlich erscheinen. Tatsächlich glich aber das Bankensystem im Vorfeld der Krise einem Pulverfass.

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      Quelle: Schweizerische Nationalbank (SNB)

      Große Gewinn- und Verlustmöglichkeiten durch leverage

      Die Effekte des leverage leiten sich aus der ältesten Regel der Finanzökonomie ab: Bei jeder Anlage gibt es einen Zielkonflikt zwischen Risiko und erwartetem Gewinn. Wer einen höheren Ertrag anstrebt, erhält diesen nur, wenn er bereit ist, dafür ein größeres Risiko einzugehen.

      Entsprechendes gilt für das Geschäft jeder Bank. Je höher der Gewinn ausfallen soll, desto höher ist in der Regel das Risiko, das die Bank eingehen muss. Ausschlaggebend ist dabei, mit welchem Anteil von günstigem Fremdkapital eine Bank operiert. Je höher der Anteil an solchem Fremdkapital, desto größer wird der Gewinn, wenn alles gut geht; aber – und das sind die Risikokosten – desto verheerender ist auch das Resultat, wenn es schlecht läuft.

      Betrachten wir ein sehr stark vereinfachtes Zahlenbeispiel. Nehmen wir an, eine Bank habe bei einem Eigenkapital von 10 Millionen Euro Wertpapiere in der Höhe von 90 Millionen in ihrer Bilanz. In einem guten Jahr erhöhe sich der Marktwert dieser Papiere um 10 Millionen, alles andere bleibe gleich. Das bedeutet, dass diese Papiere jetzt neu mit 100 anstatt wie bisher mit 90 Millionen in der Bilanz stehen und damit das Eigenkapital von 10 auf 20 Millionen ansteigt. Der Ertrag der Investition in diesem Jahr betrug somit 11 Prozent (also 10/90). Die Rendite des Eigenkapitals belief sich aber auf 100 Prozent, hat es sich doch von 10 auf 20 Millionen verdoppelt. Weil die Bank eine hohe Verschuldung aufweist – also mit viel günstigem Fremdkapital arbeitet – wird aus einem Investitionsertrag von 11 Prozent eine Eigenkapitalrendite von 100 Prozent. Wie man an diesem Beispiel leicht sieht, wird die Rendite immer höher, je kleiner das Eigenkapital ist, je höher also der leverage wird. Kein Wunder, lieben die Aktionäre in einer guten Phase einen möglichst hohen leverage.

      Leider gibt es aber Schwankungen in beide Richtungen. In einem schlechten Jahr könnte der Marktwert der Wertpapiere, anstatt um 10 Millionen Euro anzusteigen, um 10 Millionen fallen. Der Verlust beträgt in diesem Jahr somit – 11 Prozent – spürbar, aber kaum katastrophal. Die Aktionäre aber werden gewaltig getroffen. Denn bleibt alles andere gleich (macht die Bank also keine sonstigen Gewinne), wird ihr Eigenkapital mit einem Abschreiber von 10 Millionen vollständig aufgebraucht, sie verlieren also ihren gesamten Einsatz. Trotzdem bleibt aber das individuelle Risiko der Aktionäre beschränkt. Da die Aktionäre nämlich maximal ihre investierten Mittel verlieren können (wegen der beschränkten Haftung einer Aktiengesellschaft gibt es keinen Rückgriff auf ihr sonstiges Vermögen), ist eine starke Verschuldung (leverage) für sie trotzdem oft attraktiv; die Verlustmöglichkeiten sind begrenzt, die Gewinnmöglichkeiten aber kaum.

      Wie wir noch sehen werden, würde ein Verlust von nur schon wenig mehr als 10 Millionen Euro diese stark verschuldete Bank in den Konkurs treiben. Ein hoher leverage ist also ein außerordentlich gefährliches Spiel, das in unsicheren Zeiten den Charakter eines (russischen) Roulettes annehmen kann.

kapitel 2

      Über den Ursprung der Krise gibt es keine Zweifel. Er findet sich in den USA, genauer im US-amerikanischen Häusermarkt. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts bildete sich auf diesem Markt eine spektakuläre Preisblase, deren Platzen schließlich den Anfang der großen Krise markierte. Wir wollen hier erklären, wie die starke Blase auf dem US-Immobilienmarkt begonnen hat, wie die Preisspirale durch die Vergabe von unverantwortlichen Hypothekarkrediten weiter angeheizt wurde und was dazu führte, dass die Preise schließlich drastisch einbrachen.

      3 Die Entstehung der Immobilienblase

      Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, zu welch absurden Situationen übersteigerte Erwartungen in die Gewinnmöglichkeiten einer Anlagekategorie führen können. Auf dem Höhepunkt der New-Economy-Blase zu Beginn des Jahrtausends waren die Gewinnerwartungen an jedes Geschäft, das auch nur entfernt mit dem Internet zu tun hatte, völlig übersteigert. Wie bei jeder Blase ließen die spektakulären Aussichten selbst derart abstruse Bewertungen wie diejenige von EM.TV als plausibel erscheinen. Das Internetzeitalter, so war überall zu hören, führe zu Gewinnmöglichkeiten in völlig neuen Dimensionen, was wiederum die stratosphärischen Bewertungen von Unternehmen rechtfertige, die außer einer Geschäftsidee wenig Konkretes vorzuweisen hatten.

      Wie bei jeder Blase erwies sich auch hier die Annahme als verfrüht, ein neues Zeitalter sei angebrochen, das die bisherigen ökonomischen Gesetze infrage stelle. Ganz bewusst und treffend ironisch lautet der Titel des wegweisenden Buchs von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff zur langen Geschichte der Finanzkrisen deshalb: «Diesmal ist alles anders».6 2008 wurde die aus der EM.TV hervorgegangene EM.Sport an der Börse noch mit 220 Millionen Euro bewertet, während das Old-Economy-Unternehmen ThyssenKrupp 21 Milliarden Euro wert war.7

      Kaum war die New-Economy-Blase geplatzt, begann sich in den USA die nächste Blase zu bilden, die schließlich zu absurd überbewerteten Immobilien führen sollte. Der Mechanismus war auch hier ähnlich, aber das Platzen dieser Blase hatte wesentlich drastischere Auswirkungen. Wir wollen im Folgenden nachzeichnen, wie diese fatale Immobilienblase in den