Warum sind Banken speziell?
Was Banken so speziell macht, lässt sich in einer einfachen Feststellung zusammenfassen: Sie sind deutlich stärker verschuldet als alle anderen Unternehmen. Man kann dies am besten anhand ihrer Bilanz erkennen. Eine Bilanz stellt für einen bestimmten Zeitpunkt die Verwendung der finanziellen Mittel eines Unternehmens der Herkunft dieser Mittel gegenüber. Auf der rechten Seite (Passiven) finden sich die Finanzierungsquellen; sie gibt also Auskunft darüber, woher die Mittel stammen. Auf der linken Seite (Aktiven) wird aufgeführt, wofür diese Mittel verwendet werden, also was dem Unternehmen gehört. Da jede Anlage finanziert sein muss, steht auf der Aktiv- und Passivseite der Bilanz jeweils die gleiche Summe.
In Abbildung 2 sehen wir eine auf das absolute Minimum vereinfachte Bilanz eines typischen Industrieunternehmens links und einer typischen Bank rechts. Uns interessiert vorerst nur, wie die beiden Unternehmen finanziert sind, wir konzentrieren uns also hier auf die Passivseite; später werden wir auch die Aktivseite unter die Lupe nehmen.
Jedes Unternehmen (und auch jede Privatperson) hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten, seine Aktivitäten zu finanzieren. Entweder verfügt es über eigene Mittel, oder es muss sich die Mittel von anderen beschaffen. Im ersten Fall werden diese Mittel als Eigenkapital bezeichnet, im zweiten Fall als Fremdkapital. Die Höhe des Fremdkapitals im Verhältnis zur gesamten Bilanzsumme zeigt, wie hoch die Verschuldung oder – um einen in den letzten Jahren oft verwendeten Begriff einzuführen – der leverage des Unternehmens ist.
In Abbildung 2 sehen wir, dass bei einem typischen Industrieunternehmen der Anteil des Fremdkapitals nicht wesentlich höher ist als derjenige des Eigenkapitals, während eine Bank mit einem viel größeren Anteil an Fremdkapital arbeitet. Ein Beispiel: Unmittelbar vor der Finanzkrise verfügte die Schweizer Großbank UBS auf einer Bilanzsumme von 2010 Milliarden Franken über ein Eigenkapital von 41 Milliarden Franken, also von gerade einmal 2 Prozent; fast die gesamte Finanzierung kam also nicht von den Eigentümern! Beim typischen Schweizer Industrieunternehmen Rieter waren es zur gleichen Zeit etwa 35 Prozent.
Wenn man diese Verschuldung betrachtet, könnte man leicht zur Ansicht gelangen, dass Banking ein unseriöses Geschäft sei. Und man könnte daraus schließen, dass das ungewöhnliche Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital über Staatseingriffe in normale Größenordnungen zu bringen sei. Nun zeigte sich in der Krise tatsächlich, dass gewisse Banken massiv überschuldet waren und unverhältnismäßig große Risiken eingegangen waren. Hier ist eine Erhöhung des Eigenkapitals sicher angebracht; wir werden darauf zurückkommen. Trotzdem sollte man sich aber im Klaren darüber sein, dass nicht nur unseriöse, sondern alle Banken stark verschuldet sind. Ihr Kerngeschäft – und ihre zentrale Rolle für eine prosperierende Volkswirtschaft – ist es gerade, mit Geld, das nicht ihnen gehört, Kredite zu vergeben. Wollte man sie tatsächlich zu Eigenkapitalquoten zwingen, wie sie in Industrieunternehmen üblich sind, würde man ihre volkswirtschaftlich wichtigste Funktion stark erschweren. Damit sind wir bei der Kernfrage, was die volkswirtschaftliche Rolle der Banken ist, was sie also genau tun – und eng damit verbunden, welchen Risiken sie dabei ausgesetzt sind.
Abbildung 2
Eigene Grafik
Was tun Banken?
Die Kreditvergabe: Das klassische Bankgeschäft
Das Kerngeschäft einer Bank ist die Kreditvergabe. Die meisten Unternehmen finanzieren ihre Investitionen nicht direkt über den Kapitalmarkt, sondern indirekt über Banken. Diese sind dabei sogenannte Intermediäre zwischen Sparern und Investoren. Sie sammeln von den Sparern Einlagen und vergeben diese dann als Kredite an Unternehmen (oder im Falle von Hypotheken an Haushalte).
Dabei besteht die zentrale volkswirtschaftliche Aufgabe von Banken darin, das Problem des unterschiedlichen Zeithorizonts von Haushalten (Sparern) und Unternehmen (Investoren) zu lösen. Haushalte möchten möglichst jederzeit über ihr Erspartes verfügen können, das heißt, am liebsten würden sie sich überhaupt nicht binden und ihr Geld ganz kurzfristig anlegen. Unternehmen (oder Haushalte, die Häuser finanzieren möchten) hingegen benötigen die Gelder, um zu investieren. So gut wie jede Investition hat aber einen langfristigen Charakter; es ist kaum möglich, einmal investiertes Geld rasch und ohne substanzielle Verluste wieder zu Geld zu machen. Will man diese beiden Marktseiten mit sehr unterschiedlichen Interessen trotzdem zusammenführen, hilft es sehr, wenn sich jemand dazwischenschaltet, der diese ungleichen Anforderungen an die Fristen ausgleichen kann. Diese sogenannte Fristentransformation ist die Kernaufgabe von Banken. Sie sammeln große Mengen an kurzfristigen Spargeldern ein, bündeln sie und stellen sie Unternehmen für langfristige Investitionsprojekte zur Verfügung. Das ist deshalb möglich, weil in der Regel immer nur ein kleiner Teil der Sparer sein Geld gleichzeitig abheben möchte. Die Bank kann deshalb das Risiko eingehen, nicht alle Kundengelder jederzeit auszahlen zu können. Dieses Risiko führt aber dazu, dass Banken – ohne entsprechende Vorsichtsmaßnahmen – in schlechten Zeiten in sehr ungemütliche Situationen kommen können.
Bei diesem klassischen Bankgeschäft verdient die Bank an der sogenannten Zinsdifferenz, das heißt, sie zahlt den Einlegern einen Zins, der tiefer liegt als der Zins, den sie den Kreditnehmern berechnet. Aus diesem Grund wird diese Transaktion oft auch als Zinsdifferenzgeschäft bezeichnet. Abbildung 3 zeigt die Auswirkungen dieses Geschäftes auf die einfache Bankbilanz.
Auf der Passivseite besteht das Fremdkapital bei einer klassischen Bank also aus Einlagen der Kundinnen und Kunden. Diese Mittel werden verwendet, um Kredite an Unternehmen oder Haushalte zu vergeben, wie wir auf der Aktivseite (links) sehen. Da die Kundschaft ihre Einlagen jederzeit abheben kann, verwendet die Bank nicht die gesamten Mittel zur Kreditvergabe, sondern hält einen Teil davon in bar zurück. Deshalb findet sich auf der Aktivseite auch ein kleiner Posten an Liquidität. Klein ist er, weil liquide gehaltene Mittel für die Banken teuer sind, da sie im Gegensatz zu den Krediten keine Zinserträge abwerfen.
Abbildung 3
Eigene Grafik
Der Eigenhandel von Banken: Wichtiger Auslöser der Krise
Lange Zeit war das oben beschriebene Geschäft mit der Differenz zwischen Einlagen- und Kreditzinsen die wichtigste Ertragsquelle von Banken. Es ist zwar nach wie vor das klassische Bankgeschäft, doch erweiterte sich die Tätigkeit der Banken in den letzten Jahrzehnten in zunehmendem Maß. Für das Verständnis der Krise ist dabei vor allem ein Geschäft von so zentraler Bedeutung, dass wir es speziell betrachten müssen: der sogenannte Eigenhandel. Dieser besteht darin, dass die Bank Wertpapiere kauft, um daraus möglichst hohe Zinserträge oder beim späteren Verkauf Handelsgewinne zu erzielen. Viele Banken dehnten im Vorfeld der Finanzkrise diesen Eigenhandel stark aus, was schließlich dazu führte, dass die Wertpapiere einen immer größeren Anteil der Aktiven ausmachten. Abbildung 4 stellt dies vereinfacht dar.
Auf der Aktivseite kommt zu den klassischen Krediten ein bedeutender Posten von Wertpapieren hinzu, welche die Bank selbst besitzt.2 Finanziert wurden diese Geschäfte im Vorfeld der Krise meist mit kurzfristigen Krediten bei anderen Banken über den sogenannten Geldmarkt. Deshalb findet sich in der obigen Bankbilanz auf der Passivseite zusätzlich der Posten «Sonstige Schulden». Die Tatsache, dass der Eigenhandel oft durch kurzfristige Kredite von anderen Banken finanziert wurde, spielte für die Entstehung der Krise eine zentrale Rolle.
Abbildung 4