Wirtschaftskrise ohne Ende?. Aymo Brunetti. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aymo Brunetti
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная деловая литература
Год издания: 0
isbn: 9783039058969
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lange Zeit ohne große Schwankungen, werden viele die Risiken von Einbrüchen immer weniger stark gewichten. Und entsprechend werden sie mit der Zeit etwa bei ihren Investitionsentscheiden immer größere Risiken eingehen. Genau diesen Mechanismus konnte man – wir werden das in der Folge sehen – vor der Krise beobachten. Die lange Jahre dauernde Stabilität führte zu unvorsichtigerem Verhalten vieler, wodurch sich große Risiken aufbauten. Die Krise hat uns schmerzhaft in Erinnerung gerufen, dass in solchen Fällen die Korrekturen oft sehr plötzlich auftreten und einschneidend sind.

      Die Chronologie der Krise

      In der öffentlichen Diskussion spricht man heute meist von der Finanz- und Wirtschaftskrise oder einfach von der Finanzkrise. Diese Bezeichnung verschleiert allerdings die Tatsache, dass es sich eigentlich um eine Abfolge von Krisen handelte, die eng miteinander zusammenhingen, aber jeweils verschiedene Bereiche betrafen. Es begann 2006/2007 mit einer Immobilienkrise in einigen Ländern, vor allem in den USA. Darauf folgte 2007/2008 eine Bankenkrise, die, von den USA ausgehend, sich sehr rasch global ausbreitete. Mit dem bekanntesten Ereignis der Krise, dem Konkurs der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008, weitete sich die Bankenkrise zu einer globale Wirtschaftskrise aus, die vor allem 2009 zu massiven konjunkturellen Einbrüchen führte. Und als (vorläufig?) Letztes traf es ab 2010 den Euroraum, in dem eine eigentliche Schuldenkrise ausbrach. Sie hatte (und hat) das Potenzial, eine weitere Bankenkrise auszulösen.

      Wir werden die Abfolge der Krisen Schritt für Schritt nachzeichnen und die wichtigsten Hintergründe erläutern. Damit man sich dabei besser zurechtfindet, sind in der folgenden Box die bedeutendsten Entwicklungen chronologisch aufgeführt.

      Chronologie der wichtigsten Ereignisse

      Die Ursprünge der Krise auf dem US-Immobilienmarkt

      2002–2006 Die Preisexplosion («Blase») auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt entsteht. Die schon seit Mitte der 1990er-Jahre rasante Preissteigerung für Häuser beschleunigt sich noch einmal drastisch.

      2004–2006 In zunehmendem Maße werden risikobehaftete Hypothekarkredite an US-Haushalte mit zweifelhafter Zahlungsfähigkeit (subprime) vergeben.

      2006–2007 Die Häuserpreise in den USA beginnen erstmals seit Jahrzehnten landesweit stark zu fallen; dies setzt sich in den folgenden Jahren fort.

      2007 Die Preise von Wertpapieren, die auf der Bündelung von Hypotheken beruhen (asset backed securities, ABS), brechen in starkem Maße ein; diese Papiere finden sich direkt oder indirekt in großer Zahl in den Bilanzen der global tätigen Banken.

      Die Bankenkrise beginnt und breitet sich weltweit aus

      August 2007 Banken realisieren zunehmend, dass andere Banken problematische Kredite vergeben hatten, die sie existenziell bedrohen; das gegenseitige Vertrauen ist erschüttert, und die Banken vergeben sich deshalb gegenseitig deutlich weniger Kredite.

      2007–2008 Die Zentralbanken stellen den Banken in zunehmendem Maß liquide Mittel (kurzfristige Kredite) zur Verfügung; es gelingt, die Situation etwas zu beruhigen. Einzelne Banken werden durch den Staat gerettet.

      15.9.2008 Die US-Investmentbank Lehman Brothers geht in Konkurs. Damit beginnt eine dramatische globale Finanzkrise. Die Banken gewähren sich gegenseitig keine Kredite mehr; zahlreiche große Banken sind in ihrer Existenz bedroht.

      2008–2009 Die Zentralbanken vergeben in bisher völlig ungekanntem Ausmaß kurzfristige Kredite an die Banken, um Konkurswellen zu vermeiden. Zahlreiche Banken in verschiedenen Ländern werden durch den Staat gerettet.

      Die Bankenkrise wird zur weltweiten Wirtschaftskrise

      Ende 2008 Die Aktienkurse fallen stark, der Welthandel erleidet den größten Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg.

      2009 Weltweit verschlechtert sich die Konjunkturlage. In zahlreichen Ländern war 2009 das Jahr mit dem stärksten Wirtschaftseinbruch in Friedenszeiten seit der Großen Depression in den 1930er-Jahren.

      2009–2010 Zentralbanken und Regierungen bekämpfen den Konjunktureinbruch mit massiv expansiver Geld- und Fiskalpolitik, also vor allem mit einer Ausweitung der Geldmenge und zusätzlichen Staatsausgaben.

      2010–2012 Zögerliche, von vielen Rückschlägen gekennzeichnete wirtschaftliche Erholung in den meisten Ländern. Die Arbeitslosigkeit bleibt meist hoch, die Staatsverschuldung steigt zum Teil stark an.

      Die Ereignisse lösen eine Staatsverschuldungskrise in Europa aus

      2009–2010 Massive Budgetdefizite und tiefe Rezessionen lassen die Schuldenquote in den sogenannten GIPS-Ländern (Griechenland, Irland, Portugal und Spanien) so stark ansteigen, dass sich die Zinsen für die Staatsverschuldung dieser Länder massiv erhöhen.

      Mai 2010 Der drohende Staatsbankrott von Griechenland gefährdet die Solvenz der europäischen Banken. Die Euroländer beschließen deshalb, das Land mit insgesamt 110 Milliarden Euro zu unterstützen.

      Mai 2010 Gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) spannen die Euroländer einen gigantischen finanziellen Rettungsschirm von bis zu 750 Milliarden Euro für vom Bankrott bedrohte Mitgliedsstaaten auf; die Situation beruhigt sich etwas.

      Nov. 2010 Auch Irland, dessen Staatsfinanzen wegen der Rettung der maroden Banken völlig aus dem Ruder gelaufen sind, erhält Unterstützung aus dem Rettungsschirm, und zwar in Höhe von knapp 70 Milliarden Euro.

      März 2011 Die Eurostaaten beschliessen, zur Ablösung des Rettungsschirms bis 2013 einen permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus zu schaffen.

      April 2011 Auch Portugal ist nicht mehr in der Lage, die Schuldenlast zu tragen, und erhält Unterstützung aus dem Rettungsschirm in der Höhe von rund 80 Milliarden Euro.

      August 2011 Auch Italien wird zunehmend von den Turbulenzen erfasst. Um die Situation zu beruhigen, beginnt die Europäische Zentralbank (EZB), italienische Staatsanleihen zu kaufen.

      Juni 2012 Spanien beantragt Unterstützung aus dem Rettungsschirm; mit bis zu 100 Milliarden Euro sollen spanische Banken bei der dringend nötigen Rekapitalisierung unterstützt werden.

      2 Die Banken als Hauptdarsteller

      Wenn besorgte Einleger vor den Bankschaltern Schlange stehen

      Am 14. September 2007 bildeten sich vor den Schaltern der britischen Bank Northern Rock lange Schlangen von Kundinnen und Kunden, die ihre Ersparnisse abheben wollten. Auslöser war eine Meldung, dass die damals achtgrößte Bank Großbritanniens wegen der beginnenden Finanzkrise in Schwierigkeiten zu geraten drohe. Die Kundschaft fürchtete deshalb um die Sicherheit ihrer Einlagen und hob innerhalb von wenigen Tagen insgesamt rund 2 Milliarden Pfund ab. Erst als der britische Finanzminister bekannt gab, dass die Regierung während der Krisenzeit alle Kundengelder garantiere, beruhigte sich die Situation.

      Was bei Northern Rock vor sich ging, war ein sogenannter bank run, ein panikartiger Abzug von Kundeneinlagen. Ein solches Ereignis ist für jede Bank ein eigentlicher GAU. Findet eine solche Panik nicht ein rechtzeitiges Ende, geht auch die solideste Bank innert kürzester Zeit in Konkurs.

      Dieses Risiko ist ganz spezifisch für das Bankgeschäft – bei anderen Unternehmen besteht es in dieser Form nicht. Die Finanzkrise wurde letztlich durch eine spezielle Variante eines bank runs ausgelöst, wie wir in den kommenden Kapiteln erläutern werden.