Noch einmal gesteigert wurde dieser Kapitalexport dadurch, dass China den Wechselkurs seiner Währung gegenüber dem Dollar auf einem künstlich zu tiefen Niveau fixiert hatte, um seine Exportindustrie zu stärken.11 Um dies zu erreichen, bekämpfte die chinesische Zentralbank den wegen des Wachstumsbooms natürlichen Aufwertungsdruck auf die inländische Währung, indem sie massiv Dollar kaufte; ein Kauf der ausländischen Währung erhöht ja deren Preis und schwächt damit den relativen Wert der inländischen Währung. Dieser Dollarkauf wurde in zunehmendem Maß über den Erwerb US-amerikanischer Wertpapiere umgesetzt und bedeutete daher nichts anderes als einen zusätzlichen Kapitalexport in die USA.
Wir sehen also: Aus verschiedensten Gründen flossen wie nie zuvor Kapitalströme in die USA, und die Nachfrage nach rentablen Anlagen war entsprechend groß. Investitionen in traditionelle US-Wertpapiere wie etwa Staatsanleihen waren aber wegen der tiefen Zinsen (vgl. obige Ausführungen zur Geldpolitik) wenig rentabel. Eine Alternative war die Investition in den boomenden US-amerikanischen Immobilienmarkt. Allerdings war das ins Land strömende Kapital so überreichlich vorhanden, dass der US-Häusermarkt zu wenige Investitionsmöglichkeiten mit akzeptablem Risiko bot.
Diese beiden Faktoren – die tiefe Rentabilität der US-Wertpapiere und die beschränkten Anlagemöglichkeiten für Großinvestoren auf dem US-Häusermarkt – hätten den Kapitalfluss in die USA (und damit auch die Blase im Häusermarkt) eigentlich rasch dämpfen müssen. Ein dritter Faktor, mit dem wir uns jetzt beschäftigen wollen, führte jedoch dazu, dass dies nicht geschah: Die Investmentbanken fanden nämlich innovative Lösungen für beide Probleme. Und erst diese «Innovationen»12 ermöglichten die Ausweitung zur gigantischen Blase, die zuletzt eine weltweite Krise auslösen sollte.
Problematische «Innovationen» auf den Finanzmärkten
Hypothekarkredite eignen sich denkbar schlecht als Investitionsmöglichkeiten für internationale Anleger. Um die Risiken eines solchen Kredits abzuschätzen, muss sich die Kreditgeberin ein Bild über den einzelnen Kreditnehmer und die Immobilie machen können. Aus diesem Grund handelt es sich normalerweise um ein sehr lokales Einzelgeschäft, und große Investitionssummen kommen nur zustande, wenn sehr viele dieser Kredite vergeben werden können. Der erste Teil der Finanzinnovationen, die für die Krise entscheidend werden sollten, nahm sich dieses Problems an. Mit der sogenannten Verbriefung wurde eine große Zahl von einzelnen Hypotheken zu Wertpapieren gebündelt, die sich auf internationalen Finanzmärkten verkaufen ließen. Die Mechanik lässt sich anhand von Abbildung 9 erläutern.
Hauskäufer schließen mit lokalen Geschäftsbanken einen Hypothekenvertrag ab und erhalten einen Hypothekarkredit. Anstatt die Hypothekarforderung wie üblich in ihren Büchern zu behalten, verkaufen die Banken sie mit Gewinn an eine Investmentbank weiter. Die Investmentbank schafft nun mittels Verbriefung aus den Hypothekarforderungen handelbare Wertpapiere und verkauft diese an private Investoren – oft auch an Banken. Diese Wertpapiere versprechen den Anlegern eine regelmäßige Zinszahlung, die aus den monatlichen Hypothekarzinszahlungen der Hausbesitzer stammt. Die Investoren erhalten dadurch die Möglichkeit, im Immobilienmarkt in standardisierte Wertpapiere Geld anzulegen, ohne sich selbst mit den Details des Hypothekargeschäfts herumschlagen zu müssen. Diese Art von Wertpapieren lassen sich unter dem Überbegriff ABS (asset-backed security)13 zusammenfassen. Die Verbriefung ist ein altbekannter Vorgang in der Finanzbranche und dient eigentlich der Risikoverminderung für die Anleger. Denn die einzelne Hypothek ist vergleichsweise risikoreich, weil ein nicht unbeträchtliches Ausfallrisiko besteht: Ein einzelner Haushalt kann immer in Konkurs gehen. Kauft man mit demselben Betrag aber einen Anteil eines Pools mit Tausenden von Hypothekarkrediten aus dem ganzen Land, so sollte das Risiko deutlich tiefer sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass viele Schuldner gleichzeitig zahlungsunfähig werden, scheint viel geringer, als dass dies einem einzelnen passiert. Später werden wir sehen, dass diese Überlegung im vorliegenden Fall dramatisch falsch war.
Abbildung 9
Eigene Grafik
Zum explosiven Gebräu wurden diese ABS aber erst durch den zweiten Teil der Finanzinnovation, die sogenannte Strukturierung. Die Investmentbanken verkauften nicht gleichartige ABS, sondern teilten diese in unterschiedliche Tranchen auf, die mit unterschiedlichem Risiko behaftet waren. Das Risiko eines solchen Wertpapiers besteht im Wesentlichen darin, dass nicht nur vereinzelte, sondern viele Hausbesitzer in finanzielle Engpässe geraten und ihre Hypotheken nicht mehr bedienen können. Die Idee der Strukturierung ist, dieses Risiko vor allem jenen zuzuteilen, die – vereinfacht ausgedrückt – bereit sind, Roulette zu spielen, also mit hohem Risiko auf einen hohen Gewinn zu wetten. Damit sollten bei allen übrigen Anlegern nur noch minimale Risiken verbleiben. Abbildung 10 erläutert dies schematisch.
Durch die Strukturierung werden die ABS (verbriefte Hypotheken) in drei Tranchen aufgeteilt, wobei die hoch riskanten Tranchen an die risikofreudigen Investoren verkauft (oder von der Investmentbank selbst gehalten) werden.14 Sie erhalten den Rest, also den Teil der Hypothekarzinsen, der noch übrig ist, nachdem die beiden anderen Tranchen zu einem vorher vereinbarten Zinssatz ausbezahlt worden sind. Ihr hohes Risiko drückt sich auch darin aus, dass sie gar kein Rating aufweisen. Die mittlere Tranche trägt ein deutlich kleineres Risiko, weil sie nur dann Verluste schreibt, wenn alle Anleger in den hoch riskanten Tranchen einen Totalverlust erlitten haben; das mittelgroße Risiko wird durch ein Rating in den Kategorien A oder BBB ausgedrückt. Entscheidend ist aber die dritte Kategorie, nämlich die Tranche mit tiefem Risiko. Diese weist zwar den tiefsten Zins aller drei Kategorien auf, scheint dafür aber eine «bombensichere» Investition darzustellen. Schließlich trägt sie nur ein Verlustrisiko, wenn die beiden anderen Tranchen Totalverlust erlitten haben. Da Hypothekardarlehen durch das Haus gesichert und sehr viele solcher Darlehen in einem ABS gebündelt sind, erscheint hier ein Verlust in normalen Zeiten als sehr unwahrscheinlich. Die Ratingagenturen ließen sich von diesem Argument überzeugen und verliehen diesen Tranchen der ABS deshalb meist die höchste Bewertung AAA. Bei dieser Einschätzung stützten sie sich auf Daten aus der jüngeren Vergangenheit, auf deren Basis allerdings ein gleichzeitiger starker Vertrauensverlust und damit ein Preiseinbruch bei allen ABS gar nicht modelliert werden konnte, weil so etwas noch nie vorgekommen war. Doch genau dieser scheinbar unmögliche Fall trat schließlich ein.
Mit dem AAA-Rating – das oft 70 Prozent aller Tranchen eines ABS aufwiesen – galten diese Investitionen als ebenso sicher wie Staatsanleihen, mit dem großen Vorteil, dass sie deutlich höhere Zinsen einbrachten. Es ist kaum verwunderlich, dass sich die Anleger mit Begeisterung auf diese scheinbar großartigen Investitionsmöglichkeiten stürzten. Sie kauften auch dann noch in Scharen solche Produkte, als bereits erste Zweifel über deren Qualität aufkamen. Für diese Sorglosigkeit gab es noch einen weiteren wichtigen Grund. Konservative Investoren konnten sich nämlich gegen ein Verlustrisiko bei den besseren Tranchen der ABS absichern, waren doch Versicherungen noch so gerne bereit, in dieses scheinbar risikoarme Geschäft einzusteigen. AIG – dem größten Versicherungskonzern der Welt – sollte dies später zum Verhängnis werden.
Abbildung 10
Eigene Grafik
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