Warum ist Banking ein besonders riskantes Geschäft?
Dass Banking ein sehr riskantes Geschäft sein kann, hat uns die Krise drastisch vor Augen geführt. Man kann damit zwar viel Geld verdienen, aber in kaum einem anderen Geschäft kann so viel Geld so rasch verloren werden, wenn einmal etwas wirklich schiefläuft.
Wenn wir die Bilanz der Bank in Abbildung 4 ansehen, springen die besonderen Risiken sofort ins Auge. Ihr Geschäft basiert stark auf Fremdkapital, also Geld, das ihr nicht gehört. Und mit diesem Fremdkapital werden zum Teil beschränkt liquide – das heißt kurzfristig nur schwer zu verkaufende – Anlagen wie eben Kredite finanziert. Das wäre dann kein großes Problem, wenn die Banken langfristig über das Fremdkapital verfügen könnten. Gerade das ist aber nicht der Fall. Sowohl die Kundeneinlagen als auch die Verschuldung bei anderen Banken sind sehr kurzfristig; die Einlagen, können jederzeit zurückgezogen werden, und die anderen Banken können es unterlassen, die Kredite zu erneuern.
Gefahren können sowohl von der Passiv- als auch von der Aktivseite der Bilanz herkommen. Auf der Passivseite kann die Finanzierung innert kürzester Zeit austrocknen (Liquiditätsrisiko), auf der Aktivseite können Verluste so hoch sein, dass sie das Eigenkapital übersteigen (Kreditausfalls- und Marktrisiko). Diese beiden wichtigen Fälle wollen wir etwas genauer betrachten.
Wenn die Finanzierung austrocknet: Das Liquiditätsrisiko
Das sogenannte Liquiditätsrisiko besteht darin, dass eine Bank in eine Situation gerät, in der sie nicht über genügend liquide Mittel verfügt oder solche beschaffen kann, um ihre Gläubiger auszuzahlen. Wie bereits gesagt, ist das Kerngeschäft einer Bank – das Zinsdifferenzgeschäft – anfällig für dieses Risiko: Mit Kundengeldern, die jederzeit kurzfristig abgezogen werden können, werden Kredite an Firmen oder Haushalte vergeben, die nur langfristig wieder vollständig zurückgezahlt werden. Zwar haben wir oben gesehen, dass auf der Aktivseite ein gewisser Teil der Mittel liquide gehalten wird, doch würden diese Mittel niemals ausreichen, um alle Verpflichtungen an die Einleger jederzeit zu befriedigen. Das Geschäftsmodell basiert hier auf der vernünftigen Annahme, dass in der Regel nur ein kleiner Teil der Einleger zu einem bestimmten Zeitpunkt das gesamte Geld abziehen wird. Deshalb kann man das Risiko eingehen, nicht alle Forderungen jederzeit vollständig zurückzahlen zu können. Gibt es aber aus irgendeinem Grund einen bank run, also die Situation, dass viele Einleger ihr Geld gleichzeitig zurückverlangen, so wird die Bank rasch illiquide.3
Für das Verständnis der Finanzkrise ist wichtig zu sehen, dass dieses Liquiditätsrisiko nicht nur entsteht, wenn Einlagen abgezogen werden, sondern auch, wenn die kurzfristigen Kredite von anderen Banken («Sonstige Schulden») nicht erneuert werden. Das heißt, auch die zweite Quelle von Fremdkapital gemäß Abbildung 4 kann austrocknen und so die Wirkung eines bank runs entfalten. Dazu später mehr.
Wenn der Wert von Krediten oder Wertpapieren fällt: Solvenzrisiken
Die zweite Kategorie von Risiken besteht darin, dass eine Bank bei der Verwendung ihrer Gelder auf der Aktivseite Verluste erleiden kann. Sind solche Verluste zu hoch, kann dies zu einer Insolvenz führen. Solvenzrisiken können bei beiden wichtigen Anlagekategorien von Banken entstehen, nämlich bei den Kreditbeständen einerseits (Kreditausfallrisiko) und bei den Wertpapierbeständen andererseits (Marktrisiko).
Das Kreditausfallrisiko besteht darin, dass auf gewährten Kredite keine Zinsen gezahlt oder dass sie nicht zurückgezahlt werden. Die Kreditvergabe an Unternehmen oder Haushalte ist ein riskantes Geschäft, weil die zukünftige Zahlungsfähigkeit der Schuldner nur sehr schwer abzuschätzen ist. Ein guter Teil des Bankgeschäfts besteht darin, mit vertretbarem Aufwand die Kreditwürdigkeit zu prüfen, also zu beurteilen, ob der Kreditnehmer willens und fähig ist und sein wird, Zinszahlungen zu leisten und das geliehene Geld wieder zurückzuzahlen. Sind die Schuldner zahlungsunfähig, so ist das Geld für die Bank verloren, und der Kredit muss abgeschrieben, das heißt von der Aktivseite der Bilanz entfernt werden. Wegen solcher Verluste reduziert sich dann das Eigenkapital entsprechend.4
Das Marktrisiko ergibt sich aus Verlusten, die aufgrund des Eigenhandels der Banken entstehen können. Reduziert sich der Marktpreis des Bestands eigener Wertpapiere bleibend, so muss der entsprechende Aktivposten der Bilanz reduziert werden. Auch eine solche Abschreibung vermindert das Eigenkapital.
Um alle diese Risiken einzudämmen, ist die Tätigkeit von Banken stark reguliert. Mit Mindestanforderungen zur Ausstattung an Eigenkapital sollen etwa Verluste aus der Kreditvergabe oder aus dem Halten von Wertpapieren aufgefangen werden können. Und als Schutz gegen bank runs gibt es Vorschriften über die Ausstattung der Banken mit Liquidität auf der Aktivseite. Wie die Finanzkrise zeigte, genügten die bestehenden Vorsichtsmaßnahmen jedoch nicht, um die katastrophalen Entwicklungen aufzuhalten.
Wer die Risiken trägt – oder die Bedeutung des moral hazard
Angesichts der verschiedenen Risikoquellen im Banking stellt sich natürlich die Frage, wie viel Risiko dabei sinnvollerweise eingegangen werden soll. Dies ist letztlich ein Optimierungsproblem. Es geht also nicht darum, ob überhaupt Risiken eingegangen werden, sondern in welchem Ausmaß. Damit dieser Entscheid effizient getroffen werden kann, ist eine Voraussetzung zentral: Die Kosten, die entstehen, wenn etwas schiefgeht, müssen von den gleichen Akteuren getragen werden, die auch die Erträge im Erfolgsfall erzielen können. Wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, entsteht ein sogenannter moral hazard («moralische Versuchung», «moralisches Risiko»): Wer die Kosten von gewinnversprechendem und gleichzeitig riskantem Verhalten nicht selbst trägt, wird zu große Risiken eingehen. Zu groß sind sie zwar nicht aus individueller Sicht, aber aus derjenigen der Gesamtgesellschaft, da die Kosten den Nutzen insgesamt übersteigen.
Moral hazard kann im Banking eine wichtige Rolle spielen. So haben zum Beispiel Banken mit Staatsgarantie einen höheren Anreiz zu riskantem Verhalten, weil die Erträge bei ihnen verbleiben, die Kosten, wenn etwas schiefgeht, aber der Allgemeinheit angelastet werden können. In der Krise hat sich gezeigt, dass für große Banken auch ohne explizite Staatsgarantie moral hazard relevant war. Da diese Banken in ihren Geschäften so stark mit anderen Banken vernetzt waren, dass ihr Konkurs das gesamte Finanzsystem gefährdet hätte, konnte davon ausgegangen werden, dass sie im Notfall durch den Staat gerettet würden. Große Banken hatten deshalb einen spürbaren Vorteil, wenn sie sich verschuldeten. Diese faktische staatliche Garantie verringerte so das Verlustrisiko der Gläubiger und führte dazu, dass die Banken tiefere Risikozuschläge zahlen mussten als andere Schuldner. Dies reduzierte die Zinsen für Fremdkapital und trug dazu bei, dass sich große Banken vor der Krise immer stärker verschulden konnten. Mit dieser sogenannten Too-big-to-fail-Problematik werden wir uns noch vertieft beschäftigen.
Die Gefahr von moral hazard ist im Bankgeschäft so groß, dass sie in der Regulierung besonders beachtet werden muss; wird diesbezüglich zu wenig unternommen, kann dies die Risikobereitschaft im Banking weit über das gesamtwirtschaftlich optimale Niveau hinausgehen lassen – mit entsprechend hohen Kosten für die Allgemeinheit.
Die außerordentliche Risikofreude der Banken vor der Krise
Die beschriebenen Risiken sind charakteristisch für das spezielle Geschäft von Banken und deshalb zu einem gewissen Grad unvermeidlich. Beeinflussbar ist aber das Ausmaß, das diese Risiken im Verhältnis zum Nutzen für die Allgemeinheit annehmen. Hier war vor der Krise ein eindeutiger Trend feststellbar: Die Risiken im globalen Bankensystem wurden in den letzten Jahrzehnten permanent ausgebaut und erreichten vor der Krise ein aus heutiger Sicht inakzeptables Niveau. Dies betraf im Wesentlichen alle relevanten Risiken, die wir oben angesprochen haben.
Am deutlichsten erkennbar war die gestiegene Risikofreude an der massiven Ausdehnung des leverage, also der Verschuldung der Banken. Wir können dies am Beispiel der beiden Schweizer Großbanken (UBS und Credit Suisse Group) in