Ausgangspunkt der gesamten Krisenkaskade waren Ereignisse auf dem US-amerikanischen Häusermarkt. In der Folge einer außergewöhnlichen Preissteigerung für Immobilien wurden auf einem Teil des US-amerikanischen Häusermarktes zunehmend riskante Kredite vergeben. Solche Übertreibungen sind typisch für Finanzmarktblasen, die es in vielen Ländern immer wieder gegeben hat. Doch angesichts der schlimmen Folgen war diese eine Blase offensichtlich etwas ganz anderes, und damit stellt sich die Frage, die sich wohl schon viele gestellt haben: Wie konnten Ereignisse auf dem im globalen Maßstab doch eher kleinen US-amerikanischen Häusermarkt die Weltwirtschaft derart ins Wanken bringen?
Wir werden die Antwort auf diese Frage Schritt für Schritt herleiten. Dabei wird sich die außerordentliche Risikobereitschaft zahlreicher Banken als der wohl wichtigste Erklärungsfaktor für das Ausmaß der Krise erweisen. Um dies besser zu verstehen, werden wir eine einfache Analyse des Bankgeschäfts und seiner Risiken ins Zentrum unserer Darstellung stellen. Die Diskussion des Krisenverlaufs sowie die anschließende Analyse der wirtschaftspolitischen Reaktionen werden es zudem erlauben, zahlreiche wichtige ökonomische Zusammenhänge an einem relevanten Fallbeispiel zu erläutern.
Das Buch ist wie folgt aufgebaut:
Teil I zeichnet die wichtigsten Etappen der Krise nach, zudem werden die besonderen Risiken des Banking – der Kern zum Verständnis der Ereignisse – anhand des Konzeptes einer stark vereinfachten Bankbilanz erläutert. Dieses Konzept kann in der Folge immer wieder verwendet werden.
Teil II widmet sich den Fehlentwicklungen auf dem US-Immobilienmarkt und deren abrupter Korrektur, die den Ausgangspunkt der Krise darstellten.
In Teil III zeichnen wir Schritt für Schritt die wichtigsten Etappen der globalen Krise nach. Sie beginnt mit einer Bankenkrise, setzt sich mit einer globalen Wirtschaftskrise fort und mündet schließlich in die Verschuldungskrise im Euroraum.
In Teil IV wenden wir uns dann den wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise zu. Sie waren ebenso spektakulär wie die Krise selbst und haben die Weltwirtschaft möglicherweise vor einer Wiederholung der Großen Depression der 1930er-Jahre bewahrt.
Teil V schließlich diskutiert die Herausforderungen für die Zukunft. Es wird aufgezeigt, dass gerade die spektakulären wirtschaftspolitischen Reaktionen einige Risiken mit sich gebracht haben, sodass bis zur endgültigen Überwindung der Krise noch verschiedene Hürden zu meistern sind.
Um den Leserinnen und Lesern die Übersicht zu erleichtern, sind die Teile III, IV und V jeweils gleich aufgebaut, indem zuerst die Ereignisse im Bankensystem, dann diejenigen in der Weltwirtschaft und schließlich diejenigen in der Eurozone behandelt werden.
1 Einstieg und Krisenverlauf
Eine Wiederholung der Großen Depression?
Am 6. April 2009 erschien auf dem europäischen Ökonomenportal voxEU ein kurzer Beitrag, der rasch alle Leserekorde pulverisierte. Nach zwei Tagen hatten ihn bereits 30 000, nach einer Woche 100 000 Personen angeklickt. Der Artikel stellte eine ganz einfache Frage und gab darauf eine erschreckende Antwort. Die Frage lautete, ob die Finanz- und Wirtschaftskrise mit der Großen Depression der 1930er-Jahre vergleichbar sei. Die Antwort lautete, zumindest bezogen auf einige globale Indikatoren, für den Zeitpunkt der Publikation eindeutig Ja. Wenn man sich vor Augen hält, welche wirtschaftliche Katastrophe die Große Depression darstellte – die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern war während Jahren höher als 20 Prozent, und das Wachstum brach um zweistellige Raten ein –, wird einem die Tragweite dieser Aussage bewusst.
Die beiden Autoren Barry Eichengreen und Kevin O’Rourke, beides bekannte Wirtschaftshistoriker, verwendeten bei ihrer Analyse eine ganz einfache Methode. Sie verfolgten für die beiden Krisen die Entwicklung gut messbarer makroökonomischer Größen von dem Zeitpunkt an, in dem die Werte zu fallen begannen. Dieser Zeitpunkt war der Juni 1929 für die Große Depression und der April 2008 für die aktuelle Krise. Weil es sich in beiden Fällen um ein globales Ereignis handelte, wählten sie dafür weltweite Durchschnittswerte.1 Abbildung 1 zeigt ihre Daten für die Industrieproduktion links und für den internationalen Handel rechts.
Für die Große Depression zeigt die Grafik den Verlauf der ersten sechs Jahre nach Ausbruch der Krise und für die aktuelle Finanzkrise die ersten neun Monate, also die Daten, die zum Zeitpunkt der Publikation im April 2009 verfügbar waren. Es wird sofort ersichtlich, warum diese Publikation derart hohe Wellen warf: Die weltweite Industrieproduktion zeigte in der aktuellen Krise einen ähnlichen, ja sogar eher noch etwas negativeren Verlauf als bei der wirtschaftlichen Katastrophe vor 80 Jahren. Und vollends erschreckend war der Blick auf die Entwicklung des Welthandels. Hier war der Rückgang eindeutig stärker als zu Beginn der Großen Depression. Die beiden Autoren zogen aus ihrer Analyse den lapidaren Schluss, dass zumindest das erste Jahr der Krise auf ein Ereignis in der Größenordnung der Großen Depression schließen lasse.
Abbildung 1
Quelle: Eichengreen und O’Rourke (2010)
Ein Ereignis aus heiterem Himmel?
Wenig deutete zu Beginn dieses Jahrtausends auf eine solch dramatische Entwicklung hin. Vielmehr blickte man auf derart stabile weltwirtschaftliche Verhältnisse zurück, dass viele von der sogenannten great moderation, der großen Beruhigung also, sprachen. Die Periode von Mitte der 1980er-Jahre bis 2007 war in der Tat gekennzeichnet von moderaten Konjunkturschwankungen, stark rückläufiger und stabiler Inflation und vorhersehbarer Geld- und Fiskalpolitik. Auch an sich destabilisierende Ereignisse wie der Irakkrieg oder die Terroranschläge vom 11. September 2001 widerspiegelten sich kaum in den makroökonomischen Daten. Und selbst das Platzen der New-Economy-Blase, also der übersteigerten Begeisterung für Internetunternehmen zu Beginn des Jahrtausends, führte zwar zu massiven Einbrüchen der Aktienmärkte, mündete aber nur in einer relativ milden Rezession. Viele Ökonominnen und Ökonomen waren denn auch unmittelbar vor der Krise der Ansicht, dass die Zeit großer Konjunktureinbrüche vorbei sei und dass man sich anderen makroökonomischen Themen zuwenden könne.
Bei aller Zuversicht über die allgemeine Stabilität war sich die ökonomische Zunft allerdings schon bewusst, dass sich in der Weltwirtschaft einige bedeutende Ungleichgewichte aufgebaut hatten, die irgendwann einmal korrigiert werden mussten. Als zentrales Problem wurde die Tatsache gesehen, dass die USA Jahr für Jahr wesentlich mehr importierten als exportierten, also letztlich über ihre Verhältnisse lebten. Und diese Leistungsbilanzdefizite finanzierten die USA mit einer dauernd wachsenden Verschuldung bei anderen Ländern. In diesem Zusammenhang wurde auch immer wieder festgehalten, dass die Ersparnisbildung in den USA – die der Haushalte, der Unternehmen oder des Staates – generell sehr tief lag und sich die US-amerikanische Gesellschaft laufend weiter verschuldete.
Nur wenige aber sahen mit genügender Deutlichkeit das grundlegende Problem, das hinter diesen Entwicklungen steckte, nämlich die wachsende Risikobereitschaft aller Akteure. Regnet es lange Zeit nicht, werden immer mehr Leute ohne Schirm nach draußen gehen, da das Risiko, von einem Regenguss überrascht zu werden, immer