Die schöpferische Besprechung. Christoph Mandl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Mandl
Издательство: Bookwire
Серия: EHP - Organisation
Жанр произведения: Зарубежная деловая литература
Год издания: 0
isbn: 9783897975606
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des Challenger-Unglücks, bei dem im Januar 1986, ganze 73 Sekunden nach dem Start der Mission, die Raumfähre zerbrach. – Die tatsächliche Unfallursache war nämlich als potentielle Gefahrenquelle bereits vor dem Start bekannt gewesen und hatte zu intensiven Besprechungen darüber geführt, ob der Start verschoben werden sollte. Durch die Analyse der Gesprächsprotokolle konnte Argyris zeigen, dass die dahinter liegenden peinlichen bzw. bedrohlichen Themen in diesen Besprechungen jedoch nie erörtert worden waren, was letztlich zur tödlichen Fehleinschätzung der Situation führte.

      Die Sinnhaftigkeit und Qualität von herkömmlichen Besprechungen in Organisationen wurde somit in Frage gestellt. Der Boden für David Bohms Ideen zur Propriozeption10 des gemeinsamen Denkens war bereitet: Ab 1984 entwickelte der als theoretischer Physiker bekannt gewordene Bohm seine Idee von Dialog. Wie aus seiner Biographie11 hervorgeht, schöpfte Bohm dabei aus drei Erfahrungsbereichen: Seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit der Quantenphysik,12 seinen Gesprächen mit Jiddu Krishnamurti13 in den 70er Jahren und seiner therapeutischen Erfahrung in einer von Patrick de Marés14 Median Groups in den 80er Jahren. – Im Jahre 1990 beschrieb Bohm in On Dialogue15 erstmals diesen neuen Kommunikationsprozess. Für Bohm war die zentrale Frage, wie ein Gespräch beschaffen sein muss, damit die daran Beteiligten nicht nur miteinander reden, sondern gemeinsam denken, dadurch auf gemeinsame neue Gedanken kommen und sich dieses gemeinsamen Denkens bewusst werden. Wiewohl Bohm sich nie auf Buber bezog, war beiden gemeinsam, dass sie die tiefe Verbindung der Menschen durch den Dialog als Ausweg aus den sozialen, politischen und ökologischen Krisen sahen.16 Mit Bateson wiederum hatte Bohm gemein, dass auch Bohm der Struktur des Gesprächs herausragende Bedeutung beimaß. Er ging aber wesentlich weiter als Bateson, indem er die Struktur, die gemeinsames Denken ermöglicht, beschrieb.

      Bohm selber sah die Bedeutung dieses Dialogprinzips im gesellschaftlichen und politischen Kontext. Aber Peter Senge, der Gründer des Center for Organizational Learning am MIT erkannte, dass diese Gesprächsform wie keine andere geeignet war, Abwehrroutinen sowie professionelle Unfähigkeit in Organisationen zu überwinden.17

      Die konzeptiven Voraussetzungen für schöpferische Besprechungen in Unternehmen, in denen die Schaffung von Wissen (Knowledge-Creation)18 im Zentrum steht, waren somit Ende des 20. Jahrhunderts gegeben.

      Anfang der 90er-Jahre wurde uns klar, dass viele Besprechungen, Sitzungen und Konferenzen, die wir in Unternehmen, in Schulen und in Forschungsinstitutionen erlebten, dysfunktional und ganz und gar nicht dem Wohle dieser Organisationen zuträglich waren. Dieses Unbehagen ließ uns über das Konzept des Dialogs stolpern – und das gleich mehrmals. Zunächst entdeckten wir Bohms Konzept im Kapitel über Team Learning19 des im deutschsprachigen Raum damals noch unbekannten Buches The Fifth Discipline. Markus machte erste Erfahrungen mit dem Dialogkonzept im Rahmen seines M.A.-Studiums am California Institute of Integral Studies.20 Christoph und Markus lernten im Juli 1994 beim 12th Annual International Symposium on Organization Transformation Linda Ellinor und Glenna Gerard21 kennen, die damals schon intensiv die Konzepte von Bohm erprobten. Im Mai 1995 flogen Hanna und Christoph nach Boston, um am viertägigen Retreat Introduction to Dialogue von Linda und Glenna teilzunehmen.

      Im September 1995 war es dann soweit: Wir gestalteten und betreuten unsere erste dialogische Besprechung bei der ksoe.22 Nunmehr hochinteressiert und motiviert, Gleichgesinnte in Europa kennen zu lernen, nahmen wir im April 1996 am Dialogue Weekend von Peter Garrett in Großbritannien teil. Was Peter so interessant machte, war, dass er mit Bohm gearbeitet23 und auch publiziert24 hatte und bereits Erfahrung mit dialogischen Gesprächen in Extremsituationen, nämlich zwischen Angestellten und Inhaftierten in Hochsicherheitsgefängnissen, hatte.25 Seine Erfolge bestärkten uns darin, das Konzept von Dialog für unterschiedlichste Organisationen nutzbar zu machen, und Besprechungen an die heutigen Erfordernisse anzupassen. Denn eine sich erfolgreich behauptende Organisation wurzelt, das erleben wir seit 1995 wieder und wieder, in einer zeitgemäßen Besprechungsstruktur – Edgar Schein spricht in diesem Zusammenhang von Kultur.26 Die Quellen von Krisen, da stimmen wir mit unseren Vordenkern Martin Buber, Chris Argyris und David Bohm völlig überein, sind Besprechungskulturen, in denen bloß sachliche Verständigung, Monologe, professionelle Unfähigkeit sowie Abwehrroutinen bestimmend sind.

      Im Grunde ist es paradox, ein Buch über Besprechungen zu schreiben, denn bei den Erfolgsfaktoren von Besprechungen handelt es sich um implizites Wissen:27 Implizites Wissen ist Wissen, das situationsabhängig, schwer in Sprache zu fassen und kaum durch schriftliche Abhandlungen weiter zu geben ist. Ein Buch ist also eigentlich kein gutes Medium, um implizites Wissen zu vermitteln. Durch das Lesen eines Buches über Bogenschiessen oder über Violinespielen lernt man nicht, Bogen zu schießen oder Violine zu spielen. Besprechungen ändern sich nicht dadurch, dass alle Teilnehmer ein Buch darüber lesen. Und doch gibt es Bücher über das implizite Wissen eines Bogenschützen28 oder eines Musikers,29 die hilfreich sind; das hat uns ermutigt. Robert Musil beschrieb dies poetischer:

       Ich bin nicht nur überzeugt, dass das, was ich sage, falsch ist, sondern auch das, was man dagegen sagen wird. Trotzdem muss man anfangen, davon zu reden. (1922, Einleitung zu einem Essay)

      Dieses Buch kann, so hoffen wir, das Verständnis für die Essenz schöpferischer Besprechungen fördern, die Aufmerksamkeit für das Schöpferische in Besprechungen schärfen und zum Erproben neuer Besprechungsstrukturen einladen.

      Besprechungen, so sind wir überzeugt, gibt es, seitdem die Menschen zur Sprache fanden. Besprechungen sind ein wesentliches Element menschlicher Gemeinschaften, geeignet, diese zu stärken und zu vertiefen. Aber die archaische Form sinnstiftender Besprechungen haben wir, so scheint es, in den hoch industrialisierten Gesellschaften verloren. Diese Form gilt es wieder zu entdecken – für die alltägliche berufliche Praxis: Das Buch zur Kunst schöpferischer Besprechungen halten Sie in Händen. Die gelebte Praxis ist eine Reise, auf die Sie sich selbst begeben. Wir wünschen Ihnen dabei interessante Erlebnisse und spannende Entdeckungen. Seien Sie darauf gefasst, dass sich scheinbar altbekanntes Terrain plötzlich vor Ihren Augen neu formiert!

      In diesem Buch wird entweder die männliche oder die weibliche Form gleichberechtigt verwendet, wo dies sinnvoll und ohne inhaltliche Missverständnisse möglich ist.

      Im Unterschied zu Disziplinen wie Mathematik oder theoretischer Physik, kann die Kunst der schöpferischen Besprechung nicht in Gedankenexperimenten weiterentwickelt werden. Es bedarf Menschen, die bereit sind, sich auf das Wagnis ungewöhnlicher Besprechungen einzulassen – mit all der Frustration, dem Ärger und der Angst, aber auch der Inspiration, der Freude, der Wertschätzung und Momenten des Glücks. Ohne diese Menschen wäre dieses Buch nie möglich geworden, ohne sie hätten wir die Ideen von Martin Buber, Chris Argyris und David Bohm nie erproben, geschweige denn weiterentwickeln können.

      Dafür möchten wir den nachstehenden Menschen ganz herzlich danken: Edwin Achermann, Agnes Ackerl, Christine Amon, Vasiliki Argyropoulos, Angelika Auer, Gabriele Bachowsky, Dieter Bader, Magdalena Barrios de Steinmeyer, Fritz Bastarz, Leo Baumfeld, Helmut Bechter, Jutta Berger, Knut Berndorfer, Annelis Bernhard, Klaus Bethlehem, Monika Bradna, Joachim Brunold, Heinz Budin, Walter Casazza, Fernando Christian, Verena Christian, Margreth Cueni, Joan Davis, Susanne De-Chillia, Bettina Demmer, Peter Derntl, Stefanie Dirschl-Hala, Christoph Dolezal-Brandenberger, Michael Doubrava, Karin Duftner, Julia Düh, Brigitte Duttlinger, Andreas Ebhart, Norbert van Eickels, Jakob Elmer, Reto Enderli, Peter Engel, Paul Erdélyi, Heinz Ermatinger, Bernhard Ernst, Michele Eschelmüller, Franziska Feichtinger, Erhard Fischer, Hans-Peter Fischer, Paul Fischer, Philipp Freymüller, Roland Fricker, Robert Gaar, Manfred Ganahl, Jutta Gatternig, Manfred Geiger, Susanne Geyer, Karl Giebeler, Frank Görmar, Felix Graser, Christine Grießler, Erich Grießler, Albert Großmaier, Brigitte Gschiegl, Josef Gundinger, Gertraud Gurschler, Daniel Gut, Christoph Hackspiel, Peter Haimayer, Franziska Halder, Kurt Halter, Manfred Hämmerle, Josef Handler, Ilse Hantschk, Gabriele