Die schöpferische Besprechung. Christoph Mandl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Mandl
Издательство: Bookwire
Серия: EHP - Organisation
Жанр произведения: Зарубежная деловая литература
Год издания: 0
isbn: 9783897975606
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Garrett erreichen sie die beraterische Praxis. Sie führen die dialogischen Methoden zu einer Praxis der schöpferischen Besprechung in Organisationen, die nicht nur in der theoretischen Fundierung, sondern auch bei Lesbarkeit und Praktikabilität einen neuen Standard setzen wird.

      Herausgeber, Autoren und Verlag möchten mit diesem neuen Band wie mit den bereits vorliegenden Titeln den Dialog mit den Lesern innerhalb der globalen Professional Community ermöglichen – seien Sie herzlich dazu eingeladen.

      Gerhard Fatzer

       1. Einleitung

       Ich hoffe, dass vielleicht dieses Buch irgendwo für irgendwen, der in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort mit seinen eigenen Problemen ringt, nützlich sei. Falls jedoch jemand versucht, es als Handbuch zu nutzen, muss ich ihn warnen: Es gibt keine Formeln und keine Methoden. Ich kann eine Übung oder eine Technik beschreiben, aber jeder, der versucht, sie von meiner Beschreibung zu reproduzieren, wird sicherlich enttäuscht sein. Ich wäre bereit, jeden in wenigen Stunden alles zu lehren, was ich über Theaterregeln und -techniken weiß. Der Rest ist Praxis – und die kann nicht alleine getan werden. 1

       – Peter Brook –

      Besprechungen, Klausuren, Meetings, Sitzungen und Konferenzen sind aus unserem beruflichen Alltag nicht mehr wegzudenken. Deren Bedeutung steht in unserer Gesellschaft außer Frage. Kaum eine wesentliche Entscheidung wird heute getroffen, ohne das Für und Wider zu erörtern, sei es in politischen Gremien, in Aufsichtsratssitzungen, in Vorstandsklausuren, in Geschäftsleitungsmeetings, in Projektbesprechungen oder im Rahmen des Jour fixe einer Abteilung. Kaum eine Lösung für ein schwerwiegendes Problem wird gesucht, ohne dieses in Besprechungen zu diskutieren.

      All das ist nicht neu – und war doch in diesem Ausmaß vor hundert Jahren unvorstellbar. Arbeit, das war in der Blütezeit der Industriegesellschaft physische Arbeit. Da bedurfte es klarer Befehle und präziser Ausführung. Entscheidungen hatten Politiker und Unternehmer am besten alleine zu treffen. Längere Besprechungen waren Zeitverschwendung und ein Zeichen von Entscheidungsschwäche.

      In dem Maße jedoch, in dem wirtschaftliche Gegebenheiten immer schwieriger zu durchschauen waren und die Wissensgesellschaft begann, die Industriegesellschaft zu überlagern, veränderte sich die Bedeutung von Besprechungen radikal: Besprechungen wurden immer notwendiger. Aber war die Art und Weise einer Besprechung auch immer passend zu ihrem Sinn und Zweck? Eine seltsame Ambivalenz entstand gegenüber Besprechungen. Sie wurden als unabdingbar, aber auch als unbefriedigend erlebt. Sie wurden immer schwieriger und anstrengender. Die Gesprächsleitung überstieg zunehmend die Fähigkeiten der Vorgesetzten und die neue Rolle des Moderators entstand. Eine neue Technik entwickelte sich: die Moderationstechnik. Gesprächsleitung wurde zur Aufgabe von Menschen mit hoher sozialer und methodischer Kompetenz. Aber auch Moderatoren waren, das wurde nach und nach deutlich, kein Allheilmittel für nicht funktionierende Besprechungen. Auch konnte nicht zu jeder Besprechung ein Moderator herangezogen werden: Eine Ministerratssitzung mit Moderator – schwer vorstellbar; eine Aufsichtsratssitzung mit Moderatorin – aus Vertraulichkeitsgründen undenkbar; ein Jour fixe mit Moderatorin zu teuer.

      Die Zeit war somit reif für die Wiederentdeckung des Dialogs als adäquate Besprechungsform der Wissensgesellschaft. Diese Wiederentdeckung kündigte sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts an.

      Anfang des 20. Jahrhunderts war die Welt der Unternehmen noch vom Bild der Maschine geprägt.2 Und so wie eine Maschine am besten funktionierte, wenn sie zentral gesteuert wurde, so musste auch ein Unternehmen zentral gesteuert werden. Besprechungen dienten daher der Weitergabe zentral festgelegter Anweisungen zum Wohle der Firma. Da musste nicht viel diskutiert werden, sondern die Anweisungen waren zur Kenntnis zu nehmen und auszuführen.3

      Nicht nur Unternehmen, auch die Wissenschaft blühte zu dieser Zeit auf. Aber das Bild der Maschine war in der Forschung fehl am Platz. Es ging um Erkenntnis, nicht um Steuerung. Die Frage, wie Gespräche beschaffen sein müssen, um zu Erkenntnis zu gelangen, beschäftigte den Philosophen Leonard Nelson, der an der Universität Göttingen unterrichtete, Zeit seines Lebens. Sein 1922 gehaltener Vortrag Die sokratische Methode4 hatte nachhaltige Wirkung. Diese Gesprächsform hat seitdem unter dem Begriff des Sokratischen Gesprächs vor allem im deutschsprachigen Raum Fuß gefasst, nicht zuletzt deswegen, weil die von Nelson 1924 gegründete Philosophisch-Politische Akademie5 sich dessen Pflege annahm und der Philosoph Gustav Heckmann6 diese Gesprächsform weiterentwickelte. Ziel des Sokratischen Gesprächs ist, dass die Teilnehmer Einsichten gewinnen; es werden die eigenen Gedanken an denen anderer überprüft und gegebenenfalls modifiziert. Es wird also in Gemeinschaft gedacht, um zu Aussagen zu kommen, denen alle zustimmen können.

      Im Jahre 1923 veröffentlichte der Philosoph Martin Buber seine erste Abhandlung Ich und Du, die der Frage gewidmet war, wie Menschen im Gespräch miteinander in Beziehung treten können. Die Früchte seiner bis ins Jahr 1953 reichenden Auseinandersetzung mit dieser existentiellen Frage nannte er schließlich »Das dialogische Prinzip«.7 Wie kein anderer gab Buber dem Begriff Dialog eine besondere Bedeutung:

       Ich kenne dreierlei Dialog: den echten – gleichviel, geredeten oder geschwiegenen –, wo jeder der Teilnehmer den oder die anderen in ihrem Dasein und Sosein wirklich meint und sich ihnen in der Intention zuwendet, dass lebendige Gegenseitigkeit sich zwischen ihm und ihnen stifte; den technischen, der lediglich von der Notdurft der sachlichen Verständigung eingegeben ist; und den dialogisch verkleideten Monolog, in dem zwei oder mehrere im Raum zusammengekommene Menschen auf wunderlich verschlungenen Umwegen jeder mit sich selber reden.

      Außerhalb der Philosophie wurden Besprechungen lange nicht thematisiert. Erst Gregory Bateson, einer der Erfinder der Kybernetik, setzte sich ab 1948 mit der Frage auseinander, wie Inhalt und Struktur eines Gesprächs miteinander verbunden sind. Im Jahre 1972 prägte er schließlich den Begriff Metalog.8 Ein Metalog, so Bateson, ist ein Gespräch über ein problematisches Thema. In diesem Gespräch sollten die Teilnehmer nicht nur das Problem diskutieren, sondern die Struktur des Gesprächs als ganzes sollte auch für eben dieses Thema relevant sein. Ähnlich wie Nelson war Bateson an der Frage interessiert, wie Ideen entstehen und in Wechselwirkung zueinander treten. Neu war indes sein Gedanke, dass die Struktur eines Gesprächs von Bedeutung ist. Struktur verstand Bateson dabei im systemtheoretischen Sinne, das heißt als Charakteristiken bzw. Muster der Interaktionen zwischen den an einem Gespräch teilnehmenden Personen, welche den Fortgang des Gesprächs bestimmen. Batesons Entdeckung, dass jedes Gespräch immer auf zwei Ebenen abläuft, nämlich auf einer inhaltlichen Ebene, also worüber gesprochen wird, und auf einer Meta-Ebene, also wie im Gespräch die Personen miteinander interagieren, ohne dies jedoch explizit in Worte zu kleiden, schuf ein neues Aufmerksamkeitsfeld.

      In den 80er-Jahren schließlich erreichte die Frage der Gesprächsführung die unternehmerische Wirklichkeit. Chris Argyris, Professor für Erwachsenenbildung an der Harvard Business School, beobachtete und analysierte akribisch Besprechungen von Führungspersonen in Unternehmen. Er stellte dabei fest, dass solche Besprechungen selten zur Klärung eines Problems beitrugen. Dies brachte Argyris dazu, zwei bis dato unbekannte Phänomene von Besprechungen zu benennen: Abwehrroutinen (defensive routines) sowie professionelle Unfähigkeit (skilled incompetence).9 Unter professioneller Unfähigkeit versteht Argyris ein Verhalten in Besprechungen, das einerseits professionell ist in dem Sinne, dass die Personen authentisch, mit bester Absicht und aus Erfahrung heraus agieren. Andererseits zeigen die Personen Unfähigkeit in dem Sinne, dass sie nicht imstande sind, ein gemeinsam angestrebtes Besprechungsziel, z.B. eine gemeinsame Vision oder eine gemeinsame Strategie, zu erreichen. Abwehrroutinen wiederum entstehen, so Argyris, wenn Personen in einer Besprechung mit einem Thema konfrontiert werden, das für sie peinlich oder bedrohlich ist, sie diesem Thema ausweichen und sie dieses Ausweichen vertuschen. Ein solches Verhalten führt dazu, dass die Gründe der Peinlichkeit oder der Bedrohung nicht besprochen und deshalb nicht aus der Welt geschafft werden. Dass