Wer bin ich?. Keith Hamaimbo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Keith Hamaimbo
Издательство: Bookwire
Серия: Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429062040
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So beschreibt Anselm Grün den Willen Gottes nicht als etwas Fremdes, was uns aufoktroyiert wird, „sondern er entspricht unserem innersten Wesen. Der Wille Gottes bringt unserer Seele Nutzen, er bringt uns unserem wahren Selbst näher.“149 Um den Gotteswillen zu kennen, muss eines als Kriterium gelten, so Anselm Grün: dort „wo ich mich lebendiger fühle, freier, echter, authentischer, wo sich neue Räume in mir auftun.“150 Diese Fähigkeit zu unterscheiden „verlangt ein ehrliches Ringen mit sich selbst, einen jahrelangen Kampf um die Reinheit des Herzens, um die Leidenschaftslosigkeit (apatheia).“151 „Apatheia heißt nicht nur Freiheit von Leidenschaften, sondern auch von den Projektionen, die uns den Blick für den anderen verstellen.“152

       1.4.4 Die Leidenschaften

      Evagrios’ Lehre kreist um die Lehre der Leidenschaften.153 In seinem Kommentar zu dessen Erklärung zur Praktike: „Die Praktike ist eine geistliche Methode, die den leidenschaftlichen Teil der Seele gänzlich reinigt“154, sagt Bunge: „In dieser äußerst knappen ‚Definition’ der Praktike ist im Kern schon die ganze evagrianische Lehre von dem, was wir ‚geistliches Leben’ zu nennen pflegen, enthalten.“155 „Evagrios verwendet fast unterschiedslos die Bezeichnung ‚Dämon‘, ‚Leidenschaft‘ und ‚Gedanke‘ für dieselbe Wirklichkeit, obgleich er sie natürlich sehr wohl unterscheidet.“156

      Die Auseinandersetzung mit dem Thema der Leidenschaften bei Evagrios im Kontext dieser Arbeit soll die Verbindung des Enneagramms zu seiner Lehre aufzeigen. Rohr und Ebert zeigen dies, indem sie im folgenden Text die einzelnen Leidenschaften bei Evagrios den Enneagramm-Mustern zuordnen. Ausführlich schreiben sie:

      Evagrius entwickelte eine Liste von acht (bzw. an einer Stelle – in der Schrift ‚De vitiis quae opposita sunt virtutibus’ – sogar neun) Lastern bzw. ablenkenden ‚Gedanken’, die den Weg zu Gott und zu leidenschaftsloser Herzensruhe behindern. Ausgangspunkt war für ihn jenes seltsame Jesuswort Matthäus 12, 43-45: ‚Wenn ein böser Geist einen Menschen verlässt, dann schweift er über ödes Land und sucht nach einem Ruheplatz. Wenn er keinen findet, sagt er sich: ‚Ich will in mein Haus zurückkehren, das ich verlassen habe!’ Also geht er zurück – und findet das Haus leer, sauber und geordnet vor. Dann geht er und bringt sieben andere böse Geister mit, die noch schlimmer sind als er selbst, und sie kommen und wohnen hier. So befindet sich der Mensch am Ende in einem schlimmeren Zustand als am Anfang.’ Nach Evagrius ist der erste böse Geist die ‚Völlerei’, die sich schließlich die sieben weiteren Laster ‚einverleibt’, sodass es zur Achtzahl kommt. Die acht Laster sind: Zorn (EINS im Enneagramm), Hochmut (ZWEI); Eitelkeit bzw. Ruhmsucht (DREI), Traurigkeit (im Sinne von Selbstmitleid) bzw. Neid (VIER), Habsucht (FÜNF), Völlerei (SIEBEN), Wollust (ACHT) und Trägheit bzw. ‚Akedia’ (Neun). Die ‚Furcht’, die im Enneagramm Typ SECHS zugeordnet wird, fehlt. Papst Gregor I. hat diese Liste später auf die bis heute gängige Liste der sieben klassischen Hauptsünden reduziert, bei der Eitelkeit und Traurigkeit_wegfallen, sodass Zorn, Hochmut, Neid, Habsucht, Völlerei, Wollust und Trägheit übrig bleiben.157

      Der Text „De vitiis quae opposita sunt virtutibus“ (ca. Über die Laster im Gegensatz zu den Tugenden), worauf Rohr und Ebert sich beziehen, ist an einen Mönch namens Eulogios adressiert. Unterteilt in neun Abschnitte, werden in jedem der Abschnitte die gegenseitigen Pole eines Lasters und einer Tugend dargestellt.158 Auffallend ist, dass Evagrios die Beschreibung der Laster, im Gegensatz zu seiner ‚normalen’ Achtzählung der Laster in seinen anderen Schriften, in neun Kapitel einteilt, Die Reihenfolge in diesem Schreiben ist so wie in den anderen Werken des Evagrios,159 allerdings gibt es einen Einschub des ‚Neids’ zwischen Hochmut und Stolz.160 Ein Vergleich der Laster im Enneagramm mit denen in De vitiis quae opposita sunt virtutibus des Evagrios zeigt, dass die im Enneagramm dem Muster Vier zugeschriebenen Laster (Traurigkeit und Neid) zwei Mal vorkommen. Bei Evagrios werden die Traurigkeit und der Neid als einzelne Laster gezählt. Mit der Liste der neun Leidenschaften im Text von Evagrios kann zwar wegen der Zahl der Neunteilung eine Verbindung zum Enneagramm hergestellt werden, dies aber stellt noch keinen überzeugenden Beweis dar, weil die Liste der Leidenschaften bei Evagrios nicht genauso im Enneagramm zu finden ist. Die Furcht als Leidenschaft wird in dem Text nicht eindeutig als solche genannt, was aber notwendig wäre, um die Liste des Evagrios in Bezug auf das Enneagramm zu vervollständigen. Interessant ist aber, dass das Wort Furcht (φόβος) in dem Text auch vorkommt, zwar nicht als Leidenschaft, sondern als eine falsche Haltung. „Ὑπομονὴ, άκηδίας διακοπὴ, λογισμῶν κατακοπὴ, θανάτου μέριμνα, σταυροῦ μελέτη, καθηλωμένος φόβος, τυπτόμενος χρυσὸς, θλίψεων νομοθήκη, βίβλος εύχαριστίας, θώραξ ἡσυχίας, πόνων ὅπλον, άναζέουσα καλλιπονία, άρετῶν ύπογραφή.“161 Wie auch in diesem Motiv erkennbar wird, ist Furcht bei Evagrios ein wichtiger Begriff. Denn jemand, der mit φόβος bezeichnet wird, kann Vertrauen in Gott nicht zulassen. Dieser steht im Gegensatz zum Glauben. (2Tim 1,7; Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.).φόβος wird interessanterweise in Verbindung mit Akedia (Trägheit) verwendet, und zwar unter den Gegenbeispielen (Tugenden) der Trägheit. Die englische Übersetzung der oben angegebenen Stelle lautet: “Perseverance is the severing of acedia, the cutting down of thoughts, concern for death, meditation on the cross, fear firmly affixed, beaten gold, legislation for afflictions, a book of thanksgiving, a breastplate of stillness, an amour of ascetic works, a fervent work of excellence, an example of the virtues.”162 φόβος kann in diesem Satz zweideutig verstanden werden: Im Sinne von passender, angebrachter Angst oder als eine starke unangebrachte Angst. Obwohl Angst und Furcht synonym verwendet werden, ist es bezeichnend, dass bei Evagrios die Furcht eher verwendet wird als die Angst. Der Religionswissenschaftler Günter Lanczkowki beschreibt den Unterschied zwischen Angst und Furcht so, „dass unter Angst eine unbestimmte, auf nichts Konkretes gerichtete Gemütsverfassung verstanden wird, während Furcht eine objektivierte Macht als auslösendes Moment dieser Gefühlsreaktion voraussetzt“163. Jemand, der sich fürchtet, steht vor einer Gefahr, die in seiner Sicht bedrohlich erscheint. Obwohl diese Gefahr nicht unbedingt bedrohlich sein mag, für den Betroffenen ist die Angst real. „Damit können dem Begriff der Furcht ebenso wie dem griechischen Etymon φόβος die Begleitmotive des Schauers, der dämonischen Scheu und des panischen Schreckens eigen sein.“164 Für die Stoa galt die Furcht als ein „Grundübel“, das die Freiheit der Person bedroht und daher nicht nur zwingend abgetötet, sondern gar ausgerottet werden muss.165

      Bei Evagrios werden die Gedanken als Synonym für die Dämonen angesehen, allerdings nicht im Sinne von intellektuellen Gedanken, sondern diejenigen, die emotionsbetont sind.166 In Anlehnung an Evagrios schreibt Grün: „Die Gedanken, die von den Dämonen stammen, betrachten die Dinge immer mit Leidenschaft und Emotionen. Sie überlegen z.B., wie man die Dinge besitzen könne, welche Vergnügen sie bereiten und ob sie einem Ruhm verschaffen können.“167 Diese Gedanken beeinflussen die Person auf dreifache Weise (platonische Dreiteilung der Seele). „Die ersten drei Laster werden dem begehrlichen Teil (epithymia), die nächsten drei dem erregbaren oder emotionalen Teil (thymos) und die letzten dem geistigen Teil (nous) zugeordnet.“168

       1.4.5. Definition und Näheres zu den Leidenschaften

      Weil die Leidenschaften den Weg zum persönlichen und spirituellen Wachstum erschweren oder gar verhindern,169 sind sie eine Form von „Desintegration der menschlichen Persönlichkeit.“170 Sie sind die „Arten, wie wir unsere Mitte verlieren und in unserem Denken, Fühlen und Handeln irregeleitet werden.“171 Das, was als zu unseren Gunsten