Wer bin ich?. Keith Hamaimbo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Keith Hamaimbo
Издательство: Bookwire
Серия: Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429062040
Скачать книгу
Denkweise zu bedienen100, fordert er die moderne Kritik heraus, „Evagrios aus sich selbst zu verstehen und nicht durch die Brille seiner späten Benutzer zu lesen, deren Lehren uns zudem nur aus der Darstellung ihrer Gegner bekannt sind.“101 Anhand eines Briefes von Evagrios an Gregor zeigt Bunge, dass er die gleiche geistige und theologische Gesinnung wie Gregor hatte, was dafür spricht, dass er eher in der ‚Tradition’ Gregors als in der des Origenes stand.102 Diesbezüglich schreibt Bunge: „Nirgends erweckt Evagrios ja den Eindruck, neuartige und den Lesern unbekannte Lehren zu vertreten. Diese Feststellung ist für den Charakter und die Herkunft des ‚Origenismus’ unseres pontischen Mönchs nicht ohne Bedeutung.“103 An vielen Stellen bezieht sich Evagrios auf diejenigen Lehrer, zu denen er sich selbst auch ohne Vorbehalt bekennt, zum Beispiel seinen ‚geistlichen Vater Basilius’.104 Im Allgemeinen ist er bemüht zu zeigen, dass er nur ein Teil der Kette der Tradition sei und seine Aufgabe darin bestehe, das weiterzugeben, was von den Älteren gelehrt worden sei. Auch wenn es um geistliche Methoden ging, sah er sich lediglich als derjenige, der die alten Weisheiten systematisierte, damit sie besser verstanden werden könnten.105 Damit untermauert er nicht nur seine Rechtgläubigkeit, sondern auch seine Verbundenheit zu der christlichen Lehre und mit denjenigen, die für ihn direkt oder indirekt LehrerInnen waren.106 In Bezug auf 1Joh 1, 1-4107 und Evagrios sagt daher Bunge:

      Traditionsgebundenheit ist also nicht einfach Beharren auf dem Hergebrachten, sondern Bewahrung eines lebendigen Zusammenhanges mit dem, auf den der Weg des Lebens zurückgeht, Christus. Ganz biblisch besteht Evagrios darauf, dass dies nur möglich ist auf dem ‚Umweg’ über die lebendigen und verstorbenen Glieder der Traditionskette.108

      Die Selbstdarstellung des Evagrios passt nicht dazu, dass er später als Häretiker bezichtigt wurde. Daher kann gefragt werden: Wie kann es sein, dass Hieronymus, der als großer Verehrer des Gregor von Nazianz gilt, Evagrios nicht zu Lebzeiten Gregors verurteilt hat, obwohl Evagrios Gregors Diakon war und seine Theologie sogar sehr von ihm beeinflusst wurde? Hinzu kommt, dass auch Hieronymus Gregor als theologischen Lehrer sogar aufsuchte!109 Bedeutet diese Zusammenarbeit von Gregor und Evagrios nicht etwa, dass eine gegenseitige Akzeptanz zwischen ihnen und ihren Denkweisen herrschte? Hat Evagrios etwa erst später neue origenistische Ideen entwickelt? Nach Bunge war die Verurteilung des Evagrios durch Hieronymus und Theophilos – Patriarch von Alexandria –, die auch Johannes Chrysostomos als Übeltäter hinstellen sollten, von unreinen, wahrscheinlich machtpolitischen Absichten durchdrungen.110 Nach ihm war das ganze Geschehen „offensichtlich von so persönlichen und nicht sehr edlen Motiven geprägt, dass es schwerfällt, die vorgeschobenen dogmatischen Bedenken ernst zu nehmen.“111 Es ergibt nämlich keinen Sinn, dass Evagrios von Personen so vehement ‚verfolgt’ wurde, die „selbst überzeugte ‚Origenisten’ [waren], wenn gleich auf recht verschiedene Weise“112. Hier sind Hieronymus und Theophilos gemeint.113

      Mit den neuen Kenntnissen über Evagrios’ Theologie und die Auseinandersetzung mit der damaligen Zeit gibt es Stimmen, die dafür plädieren, dass Evagrios eine offizielle Rehabilitation erwarten dürfte. Die zahlreichen Argumente von Bunge, die hier verwendet wurden, untermauern dies. In diesem Sinne schreibt Christoph Joest in Bezug auf Benjamin Drewery:

      Es ist nicht genug zu sagen, dass in Bezug auf die „Theologie der Wüste“ die Bezeichnung „Origenismus“ nicht negativ verstanden werden sollte. Vielmehr darf die Frage, die B. Drewery in Bezug auf Origenes stellt, mit gleichem Recht auf Evagrios angewandt und positiv beantwortet werden: ‚The condamnation: should it be reversed?’114

      Dafür spricht, dass der Einfluss von Evagrios Lehre in der Kirchengeschichte groß ist, obwohl sein Name nicht damit (in dem Zusammenhang) tradiert wurde.115

       1.4.1. Lehre und Praxis

      Obwohl die Texte von Evagrios hauptsächlich für Mönche der damaligen Zeit verfasst wurden,116 können Mönche von heute diese auch für sich verstehen und nutzbar machen – aber ebenso auch alle anderen Menschen.117 So ist „der moderne Leser […] aufgefordert, sich nicht mehr als nötig bei dem Wüstenkolorit der evagrianischen Schriften aufzuhalten, will er ihren geistlichen Gehalt für sich fruchtbar machen, und auf die Stimme seines Herzens zu hören.“118

      Bunge spricht über die Präsenz der evagrianischen Lehre in der Geschichte, dass sie „die gesamte christliche Spiritualität in Ost und West, über alle konfessionellen Grenzen hinweg [… so] geprägt [hat], dass man mit Fug und Recht von einer ‚evagrianischen Spiritualität’ sprechen muss“.119 Was macht die Lehre Evagrios so aktuell, dass sie von einer großen Anhängerschaft immer noch mit Interesse nachgeahmt und, akzentuiert für den jeweiligen Lebensweg, für nützlich gehalten wird? Einer der Gründe dafür ist Evagrios’ Fähigkeit, tief religiöses Wissen mit menschlichem Verstand in einer besonderen Zusammensetzung von Weltweisheiten und Spiritualität neu zu interpretieren. In der patristischen Denkweise war dies keine Seltenheit. So stand es zum Beispiel für Evagrios außer Frage, seine Theologie mit einigen philosophischen Gedanken zu erklären, und dies in einer christlich geprägten Weise.120 Dies erklärend schreibt Driscoll: “If the wisdom is genuine, then the connection is not to be wondered at. If it is truth, then it is truth valid for all. It is this that explains Evagrius’ synthesis between the wisdom of the Greek philosophical tradition and the wisdom in desert monasticism.”121

      Ein weiterer Aspekt der Arbeitsweise der Mönche jener Zeit war der Bezug zur Bibel. Dies spiegelt sich auch im Stil von Evagrios’ Texten wider. Allerdings bedeutet bei den Mönchen ein direkter Bezug zur Bibel keine direkte Einschränkung der Sprache in der ‚geistlichen Menschenführung’. Dies war Charakteristikum der monastischen Tradition, die allerdings dadurch zum Ausdruck kam, dass die Mönche das Wissen und die Weisheit der heiligen Schrift so verinnerlicht hatten, dass ihre Sprache davon durchgedrungen war, ohne dass die üblichen ‚biblischen’ Anspielungen die Oberhand gewannen.122

      Ein Beispiel für den Umgang mit der Bibel finden wir in einer Erzählung über den Wüstenvater Poimen:

      Der Fremde begann zu reden von der Schrift, von geistlichen und himmlischen Dingen. Da wandte Abbas Poimen sein Haupt ab und gab ihm keinerlei Antwort. Als der Einsiedler sah, dass er nicht mit ihm sprach, ging er betrübt davon und sagte zu dem Bruder, der ihn hergebracht hatte: ‚Ich habe diese ganze Wanderung umsonst gemacht. Denn ich kam zu dem Greis, aber siehe, er will nicht mit mir reden!‘ Da ging der Bruder zum Altvater Poimen hinein und sagte: ‚Vater, deinetwegen kam dieser Mann, der in seiner Gegend ein so großes Ansehen besitzt. Warum hast du denn nicht mit ihm gesprochen?‘ Der Greis gab zur Antwort: ‚Er wohnt in den Höhen und spricht Himmlisches, ich aber gehöre zu denen drunten und rede Irdisches. Wenn er von den Leidenschaften der Seele gesprochen hätte, dann hätte ich ihm wohl Antwort gegeben. Wenn er aber über Geistliches spricht, so verstehe ich das nicht.‘ Der Bruder ging nun hinaus und sagte zu dem Einsiedler: ‚Der Greis redet nicht leicht von der Schrift, aber wenn jemand mit ihm von den Leidenschaften der Seele spricht, dann gibt er ihm Antwort.‘ Er besann sich und ging zu ihm hinein und sprach zu ihm: ‚Was soll ich tun, wenn die Leidenschaften der Seele über mich Macht gewinnen?‘ Da achtete der Greis freudig auf ihn und sagte: ‚Jetzt bist du richtig gekommen, nun öffne deinen Mund für diese Dinge, und ich werde ihn mit Gütern füllen.‘ Der aber hatte großen Nutzen und sagte: ‚Wahrhaftig, das ist der rechte Weg!‘ Und mit Dank gegen Gott kehrte er in sein Land zurück, weil er gewürdigt worden war, mit einem solchen Heiligen zusammenzutreffen.123

      Hier wird gezeigt, welche Stellung Menschenkenntnis, in diesem Fall das Wissen über die Leidenschaften, in geistlichen Reden innehat, ohne dabei den Bezug zu Gott zu verlieren. Auch den Wüstenvätern und -müttern ging es darum, dass dem Ratsuchenden Übungen angeboten werden, die ihm dazu verhelfen, das eigene spirituelle und persönliche Wachstum zu ermöglichen. Dies geschieht, indem der Ratsuchende sein ganzes menschliches Dasein vor Gott ‚entblößt‘. Obwohl nach Grün diese Methode von manchen als ‚nicht genuin christlich’ erachtet