Weltwärts. Ina Boesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ina Boesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783039199747
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alt="sonderz"/>lt in, wo msonderzglich.

      Gib so wenig Ding uss, als du kanst.

      Züch fleissig die Schulden ein.

      Wartt niemand über dz Zil.

      Es ist alle Zeitt besser, du handlist

      mit deinem Gsonderzlt, dan dz enthlenti Gsonderzlt nit jedem gůt thůt.40

      Nimm keine Kredite auf.

      Gib so wenig aus, wie du kannst.

      Treibe die Schulden fleissig ein.

      Sei sparsam und schiesse nicht übers Ziel hinaus.

      Investiere das Geld, das du verdient hast.

      Mit diesen Leitsätzen orientierte sich Sebastian an einer Arbeitsethik, die sich aus dem Protestantismus speiste. 300 Jahre später wird der Soziologe Max Weber Sparsamkeit, Genügsamkeit, Disziplin und Fleiss als die geistigen Triebfedern des Kapitalismus definieren.

      Sebastian hatte Erfolg mit seinem Rezept. Das Geschäft, das er mit seinem Bruder betrieb, lief gut. Jedes Jahr steigerte die Handelsfirma der «Herren K.» ihr Vermögen um 1000 bis 3000 Gulden. Als die Brüder 1646 ihre geschäftlichen Tätigkeiten auseinanderdividierten, bekam nach der Teilung jeder 23 000 Gulden. Und als Sebastian 1651 starb, hinterliess er ein Vermögen von 32 000 Gulden.41 Damit gehörte er zu den wohlhabenden, aber bei Weitem nicht zu den betuchtesten Bürgern der Stadt. Die reichsten Familien besassen mindestens drei Mal grössere Vermögen. Schon allein wegen der Zinsen wuchs ein Kapital dieser Grössenordnung jährlich um die Hälfte.42

      Vermitteln

      Als Sebastian im Juli 1641 den Brief öffnete, hatte er bestimmt einen der üblichen Berichte aus Amsterdam erwartet. Was jedoch sein Geschäftsfreund, Isaak Hattavier, ihm und seinem Bruder Caspar schrieb, betraf etwas Privates: Er war in Sorge wegen der «Brüeder» in Zürich.

      Die Stadt an der Limmat gilt auch heute noch als die Wiege der Täufer, hier hat der radikale Flügel der Reformation seine Wurzeln.43 Als Weggenossen von Huldrych Zwingli die Bibel sehr genau – penibler als er – lasen, entdeckten sie, dass im Neuen Testament nirgends von der Säuglingstaufe die Rede ist. Während der Reformator an der Kindertaufe festhalten wollte, plädierten die Täufer für die Erwachsenentaufe und damit für eine freiwillige Mitgliedschaft in der Kirche. So kamen die Abtrünnigen zu ihrem Namen. Als Richtschnur nahmen sie die Bergpredigt, in der Jesus verkündet hatte, worauf es im Zusammenleben der Menschen ankomme. Ihr zufolge entsagten sie der Gewalt und verweigerten Eide wie auch den Militärdienst. Einige legten den Gewaltverzicht sogar so radikal aus, dass sie eine Karriere als Politiker oder Richter ausschlossen.

      Kein Wunder, waren die Täufer der Obrigkeit ein Dorn im Auge. Systematisch verfolgte die Regierung die Andersgläubigen, ohne jedoch die Bewegung zerstören zu können. Immer wieder kam es zu massiven Verfolgungen, so auch zu jener Zeit, als Isaak Hattavier seinen besorgten Brief schrieb. Obwohl damals der weiterhin wütende Dreissigjährige Krieg die Eidgenossenschaft kaum tangierte, betrachtete die Regierung die dienstverweigernden Täufer als Gefahr. Als die Getreidepreise in die Höhe schnellten und die Landbevölkerung Hunger litt, als zudem eine weitere Pestwelle übers Land rollte, boten sich die Täufer – neben den Hexen – als die perfekten Sündenböcke an.

      Die Amsterdamer Täufer hätten gehört, dass man in Zürich «etlicher ihrer brüederen gfangen» genommen habe, las Sebastian in Hattaviers Brief. Der Amsterdamer Kaufmann hatte die Limmat-Stadt und deren Bewohner während seiner Ausbildung kennengelernt und war auf dem dortigen Fischmarkt Zeuge der Enthauptung des Täufers und späteren Märtyrers Hans Landis geworden. Er habe zudem vernommen, schrieb Hattavier weiter, dass die Glaubensgenossen «in ewige gefangenschaft» verurteilt worden seien und dass man sie vor «hunger sterben» lasse.44 Er bat Sebastian und Caspar, ihm die «fürnämbsten punckten» für die Inhaftierung der Zürcher Brüder zu nennen.45

      In den 1630er-Jahren hatte ein reicher Bauer und bekennender Anabaptist den Militärdienst verweigert und damit eine Woge von Verhaftungen ausgelöst. Die Häftlinge wurden im ehemaligen Dominikanerinnenkloster Oetenbach eingekerkert, das im Zuge der Reformation geschlossen und zu einem Waisenhaus und Gefängnis umfunktioniert worden war. Im April 1641 sassen dort ein paar Dutzend Männer und Frauen wegen ihres Glaubens in Haft – unter unmenschlichen Bedingungen. Die Verliesse waren feucht. Einige Angeklagte lagen in Ketten. Das Essen bestand aus fast gar nichts.46

      Vier Jahre später, im Februar 1645, bekamen Sebastian und Caspar erneut Post aus den Niederlanden. Der Fall der Zürcher Täufer schlage in Amsterdam hohe Wellen – er sei «mächtig odios», Ärger erregend, schrieb Hattavier. Die holländischen Brüder hätten hundert Reichstaler gesammelt, um das Los der Gefangenen im Oetenbach zu erleichtern, berichtete er weiter und bat die beiden, den Häftlingen das Geld und den Brief zu übermitteln. Vergebens. Die Obrigkeit liess die Kollekte und das Schriftstück beschlagnahmen. Einige Monate später stellte Hattavier in einem erneuten Schreiben 200 Reichstaler in Aussicht, falls Zürich den Inhaftierten die Auswanderung nach Amsterdam erlaube. Und zum dritten Mal ersuchte er die Herren Kitt in dieser leidigen Angelegenheit um ihre Hilfe: Die beiden Brüder möchten das Geld vorschiessen. Die Regierung liess auch diesen Brief konfiszieren und beschloss zudem, die lästigen Interventionen aus Amsterdam ein für alle Male zu unterbinden. Die Täuferkommission unter dem Vorsitz des scharfen Statthalters Johann Heinrich Heidegger verfasste eine ausführliche Antwort an Hattavier und seine Mitstreiter, um «der kilchen wie auch der oberkeit ehr» zu retten.47 Die Zürcher versicherten den Amsterdamern, die Gefangenen seien gut versorgt; die Spende fördere lediglich deren Widerspenstigkeit. Gleichzeitig legitimierten sie die Verfolgung und Inhaftierung der irregeleiteten Gläubigen und die Beschlagnahmung ihrer Güter: Die Täufer seien ungehorsam, schlicht Unruhestifter. – Die Kommission hegte offenbar wenig Illusionen bezüglich ihrer Durchsetzungsmacht, sondern traute dem Mittelsmann mehr Autorität zu. Warum Sebastian einwilligte, einen Brief zu unterschreiben, den er nicht verfasst hatte, bleibt offen.

      Sicher ist: Sebastian gehörte nicht zu den Täufern, denn er liess seine Kinder taufen. Doch er und sein Vater scheinen zumindest Sympathien für die radikalen Gläubigen gehegt zu haben. Nicht von ungefähr dürfte Baschi zu den Täufern in Mähren geflüchtet sein, auch wenn er später Solddienst leistete. Und bestimmt kam Sebastians Geisteshaltung den Amsterdamer Brüdern entgegen, als sie ihn zum Vermittler erkoren. Mag sein, dass Sebastians ideelle Nähe zum «linken Flügel der Reformation» ein Grund für seine Abstinenz in der Politik und anderen Gremien war.48

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