Mitte Dezember nahm Hans Sebastian Stellung zu den Vorwürfen:
Er habe nicht gewusst, welch übel beleumdete Leute in seinem Haus wohnten.
Er habe auch nicht gewusst, was dort vor sich ging.
Zudem werde es sich als falsch herausstellen, dass er mit einer Metze Unrechtes getan habe.
Auch wolle er den Mann mit eigenen Augen sehen, der behaupte, er habe die Metze auf seinem Pferd von Zurzach in sein Haus geführt. Er kenne diese Frau nicht.
Nach der ersten Ermahnung durch das Ehegericht habe er seine bisherigen Mieter aus seinem Haus vertrieben und einen ande ren Bewohner aufgenommen. Er habe jedoch nicht gewusst, dass dieser ebenso berüchtigt sei wie die vorherigen Mieter.
Er bitte ergebenst, ihn aus dem Gefängnis zu entlassen.
Und er gelobe, sein Haus künftig nur noch an Leute zu vermieten, die weder den gnädigen Herren noch den Nachbarn Anlass zur Klage gäben.
Bei der erneuten Befragung verliess die Zeugen ihr Gedächtnis, und sie konnten nur noch vage antworten. Insbesondere Zimmermann, der Ältere, und Zimmermann junior bekundeten Mühe, sich an Details zu erinnern. Mag sein, dass sie weder an Amnesie litten noch es ihnen an Kooperationswille mangelte, sondern sie ihre Rollen ausgespielt hatten. Gut möglich, dass sie gegen ihren unliebsamen Nachbarn weniger aus moralischen denn aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen klagten. Vielleicht störte Hans Sebastian ihre Geschäfte, vielleicht wurde er ihnen zu mächtig.
Da befand der Rat, dass Hans Sebastian – was den Ausritt mit der Metze betraf – unschuldig sei. Gleichzeitig auferlegte er ihm eine Busse und ermahnte ihn, fortan nur noch ehrbare Mieter aufzunehmen.
Ein Jahr später starb Hans Sebastian. Seiner Frau Katharina Schüchler und ihren beiden gemeinsamen Kindern Baschi und Ursula hinterliess er ein ansehnliches Vermögen.8 Die Tochter erbte auf den Heller genau 6,093 Pfund, 7 Schilling und 4 Heller, ein astronomisch hohes Vermögen aus der Sicht eines Gesellen. Auch aus der Perspektive eines Landvogts ein nicht zu verachtender Betrag; er entsprach achtzehn Jahreseinkommen eines Territorialverwalters.9 Der Sohn bekam 1,200 Pfund sowie zwei Häuser – worunter sich die Hölzin Kilch befunden haben dürfte.
Offenbar hatte Hans Sebastians Ruf wegen des Prozesses um das «Hausgesindel» keinen Schaden genommen, und das Erbe war nicht zu verachten. Beide Kinder verbanden sich später mit Abkömmlingen aus der angesehensten Familie Zürichs.10 Ursula heiratete den Fabrikanten Heinrich Werdmüller – bald darauf der reichste Mann der Stadt. Baschi vermählte sich mit Regula Werdmüller, einer Grosscousine von Heinrich. Während Regulas Grossvater als Säckelmeister und Ratsherr zu den bedeutenden Zeitgenossen zählte, war ihr Vater lediglich ein «bescheidener» Händler.11 – Wie sein Vater und sein Schwiegervater begann Baschi, als Kaufmann zu arbeiten.
Freie Ware
Nach der Hochzeit wohnte Baschi mit Regula bei seiner Schwiegermutter – damals nicht unüblich für junge Männer. Die Frau des «bescheidenen» Händlers brauchte Hilfe im Haus, das in der sogenannt Kleinen Stadt am Münsterhof stand. Sie suchte aber auch Unterstützung im Laden, den sie nach dem Tod ihres Mannes weiterhin von der Stadt mietete und der auf der Rathausbrücke beim Richthaus lag. Dort durfte Baschi Ware verkaufen, die sie nicht selbst im Angebot hatte.12
Er hielt unter anderem Pelze feil, die er in Lyon bezog. Wie die meisten Kaufleute aus Zürich, St. Gallen oder Bern und wie seine Verwandten, die Werdmüllers, kaufte Baschi seine Ware vor allem in der französischen Handelsmetropole ein. Die Stadt, bei der Saône und Rhône zusammenfliessen, lag günstig zwischen dem Mittelmeerhafen Marseille und Paris, mit Verbindungen nach Spanien und in dessen Kolonien, mit einem starken Bezug zu Italien und dem Levantehandel und mit engen Beziehungen zu Genf und der Eidgenossenschaft. Ihre besondere Stellung verdankte sie einem exquisiten Faden: Zu Tausenden webten Heimarbeiter die seidenen Stoffe, die am französischen Hof in Paris ebenso begehrt waren wie in Marseille, Zürich und anderen Städten. Baschi reiste regelmässig dorthin – trotz des gefährlichen Wegs: Einmal überfielen ihn Reisläufer und raubten ihn aus.
Er hatte jedoch nicht nur mit Wegelagerern zu kämpfen, sondern auch mit Leuten aus den eigenen Reihen. Wegen seiner Ware kam Baschi, Mitglied der klassischen Krämerzunft, der Zunft zur Saffran, ab und an in Konflikt mit Mitgliedern anderer Zünfte.13 Als Berufsorganisationen wahrten die Zünfte die Interessen ihrer Mitglieder und funktionierten häufig wie Kartelle. Baschi verkaufte Ware, auf die andere Zünfte ein Vorrecht hatten – zumindest sahen einige Zunftmitglieder das so.14 Im Herbst 1597 berichteten die Glasermeister dem Rat von Zürich von folgendem Ereignis: Das Klirren des Glases in seinem Handwagen kündigte die Ankunft des Fremden an. Schnell schickte Baschi einen seiner Knaben los, den «Welschen» abzufangen und zu seinem Haus zu führen. Die Zünfter warfen Baschi vor, die Ware nicht – wie für alle Kaufleute vorgeschrieben – zuerst ins sogenannte Kaufhaus gebracht zu haben, um sie dort zu wägen und zu verzollen. Der «Grempler» habe ihr Monopol missachtet, klagten sie.
Er habe den Glasern nicht schaden wollen, entgegnete Baschi dem Rat. Die Ware habe er in Lyon bestellt und sie auch schon bezahlt. Einen Teil der Glasware brauche er in seinem grossen Haushalt, den Rest wolle er hier und anderswo verkaufen, führte er weiter aus. Man könne ihm dieses Geschäft nicht verbieten, da das Glas «ein frye kauffmanschatz» sei, eine Ware, die Kaufleute ohne Einschränkungen handeln dürften. Und er betonte: Andere Händler täten es ihm gleich. Der Rat entschied, dass Baschi Glas kaufen und verkaufen dürfe – unter der Bedingung, dass er das Glas wie alle Händler über das Kaufhaus einführe.
Immer wieder musste der Rat Streitigkeiten zwischen Zünften schlichten. Auch wenn die Standesorganisationen das wirtschaftliche Leben ihrer Mitglieder zu regeln hatten, war es die Obrigkeit, welche die Leitlinien vorgab. Im Ernstfall entschied sie für oder gegen den Markt, pro oder kontra Regulierung. Im Fall des Streits um das Glas hatte sie sich für den Wettbewerb ausgesprochen.
Nur einige Monate zuvor hatte der Rat ganz anders entschieden. Im Frühling 1597 hatten die Kürschnermeister geklagt, dass Baschi und weitere Händler Felle und Pelze verkauften. Sie schadeten damit der Zunft zur Schneidern, betonten sie und beschrieben die Ware: In ihren Häusern und Läden würden die Kaufleute Wolfsfelle versilbern, ebenso «auf romanische Art» gefärbte Felle, auch Schlaf- und Unterröcke aus Pelz.15 Der Rat verteidigte das Monopol der Kürschner und gab den Klägern recht. Er verbot Baschi und den anderen den Verkauf von Fellen und Pelzen. Gegen den Kauf für den Eigengebrauch hatte er jedoch nichts einzuwenden.
So schlug sich Baschi mit der Obrigkeit und den Zünften herum und bemühte sich zusammen mit seiner Frau Regula, durch den Verkauf ihrer Ware die materielle Grundlage ihres Haushalts zu sichern. Mit einem Darlehen des Thalwiler Junkers Max Vogel wollte er sich mehr Spielraum verschaffen.16 1400 Sonnenkronen hatte er aufgenommen, was 27 Jahreslöhnen eines Zimmermeisters entsprach. Als Pfand setzte er das am Münsterhof gelegene Haus zum Bärenberg samt Nebengebäuden ein.
Doch er schaffte es nicht, den Wucherzins zu bezahlen, geschweige denn das Darlehen zurückzuerstatten. Als ihm 1602 das Wasser bis zum Hals stand, floh er aus der Stadt. Nach seiner Flucht drohte die Schliessung des Ladens.
Gewürze verstecken
Schwer wog der Zucker. Davon hatte Vater Baschi am meisten an Lager. Insgesamt 45 Kilogramm, die 20 Kilo Kandelzucker mitgerechnet. Er hatte sich offensichtlich gute Absatzchancen ausgemalt. Auch schwarzen Pfeffer hatte er massenhaft eingekauft. Ingwer gab es ebenfalls mehr als genug. Wo sollte er die Ware nur verstecken?
Nachdem sich Baschi aus dem Staub gemacht und seine Frau mitsamt den Kindern ihrem Schicksal überlassen hatte, zögerte sein zweitältester