Der Verlag Hier und Jetzt wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.
Mit weiteren Beiträgen haben das Buchprojekt unterstützt:
Dr. Adolf Streuli-Stiftung Pro Helvetia Kairo
Dieses Buch ist nach den aktuellen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate werden jedoch in originaler Schreibweise wiedergegeben. Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit […] gekennzeichnet.
Umschlagbild: Ausschnitt aus der Karte von Ceylon aus dem «Zee-Atlas» von Hendrick Doncker.
Lektorat: Stephanie Mohler, Hier und Jetzt
Gestaltung und Satz: Büro 146. Maike Hamacher, Valentin Hindermann, Madeleine Stahel, Zürich
Bildbearbeitung: Benjamin Roffler, Hier und Jetzt
ISBN Druckausgabe 978-3-03919-528-2
ISBN E-Book 978-3-03919-974-7
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
© 2021 Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Zürich, Schweiz
Inhalt
Vorwort - Familiäre Verwicklungen, globale Verstrickungen
Spur I - Die drei Sebastians und ihre Geschäfte 16. / 17. Jahrhundert
Spur II - Anna Margaretha und die Gewürze 1652–1701
Spur III - Salomon, die Stoffe und das Land 1744–1825
Spur IV - Armin und die Mumie 1851–1891
Nachwort - Die Kitts und die Sklaverei
Vorwort
Familiäre
Verwick-
lungen,
globale
Verstri-
ckungen
Salomon war mein Stolperstein. Eines Tages strauchelte ich sozusagen über seinen Namen. Ein gewisser Salomon Kitt sei in der Karibik in koloniale Geschäfte verwickelt gewesen, las ich in einem Buch des Historikers Hans Conrad Peyer. Meine Zürcher Grossmutter hiess Kitt. So viel wusste ich. Ihre Familiengeschichte kannte ich so gut wie gar nicht. War einer meiner Vorfahren tatsächlich ein Kolonialherr gewesen? Möglicherweise ein Plantagenverwalter? Gar ein Sklavenhändler? Noch bevor der Gedanke Form annehmen konnte, wischte ich ihn zur Seite. Was kümmert mich die familiäre Vergangenheit, dachte ich und stürzte mich in die Aufarbeitung aktueller Themen. Doch die Vorstellung, dass meine Familie vor 250 Jahren in schmutzige Geschäfte verstrickt gewesen sein könnte, liess sich gleich einer lästigen Fliege nicht so einfach verscheuchen. Wenn etwas dran wäre? Womöglich profitierten Salomons Nachkommen, seine Kinder und Kindeskinder, Nichten und Neffen bis hin zu meiner Grossmutter und mir, von seinen kolonialen Machenschaften – und tun es noch heute. Die Idee beschämte mich.
Lange verband ich ausschliesslich die Familie meiner niederländischen Mutter mit dem Kolonialismus, nicht aber die Familie meines Schweizer Vaters. Bei meinen holländischen Verwandten erfuhr ich paradoxerweise als Erstes, dass die gewaltsame Expansionspolitik Kolonialherren im positiven Sinn verändern kann. So ist es von Vorteil, über den Tellerrand zu schauen. Ich erlebte, dass ihr Horizont weit ist – weiter, als es sogar die flache Landschaft im platten Land erlaubt. In ihren Häusern spürte ich auch zum ersten Mal das Aroma der Fremde auf der Zunge. Ich erinnere mich an die Geschmacksexplosion in meinem Mund, als ich hausgemachten Speculaas ass, das flache Gebäck aus viel Butter, ebenso viel Zucker und einer Unmenge an exotischen Gewürzen. Die Niederländer behaupten, es erfunden zu haben. Ich erfuhr jedoch auch von den weniger appetitlichen, den abscheulichen Seiten der niederländischen Kolonialherrschaft. Manchmal, selten, schnappte ich Erinnerungsfetzen auf. Vom Militärdienst in Indonesien. Von Kriegsgefangenschaft. Von der Flucht durch einen eiskalten Fluss. Mit gedämpfter Stimme sprachen die Männer auch von Erschiessungen.
Ich wäre nie auf den Gedanken verfallen, dass auch Schweizer Verwandte eine koloniale Vergangenheit haben könnten. Schliesslich besass die Schweiz keine Kolonien. Dabei standen im Haus meiner Zürcher Grossmutter Gegenstände, die von einer globalen Geschichte zeugten. Ich hätte sie nur zu lesen brauchen. Zum Beispiel eine Kopie der Büste der Nofretete. Ich wusste zwar, dass Hedwig Kitt ihre ersten Kindheitsjahre in Ägypten verbracht hatte, aber die schöne Pharaonin verführte mich nicht dazu, tiefer zu graben.
Doch eines Tages siegte die Neugier. Ich begann, an einem Faden zu ziehen, von dem ich annahm, dass er mich zu Salomon Kitts Vergangenheit führen könnte. Tatsächlich. Am Fadenende ein erstes Fundstück: ein Testament von 1785, das im Staatsarchiv von Maryland in Annapolis liegt. Es dauerte nicht lange, und ich hatte weitere Trophäen aufgestöbert: etwa Briefe, die Salomon als junger Mann an seinen Zürcher Busenfreund Johann Heinrich Füssli geschrieben hatte. Bald hatte mich das Jagdfieber fest im Griff. Ich flog ins Ungewisse und folgte Salomons Spur auf St. Eustatius, einer heute unbedeutenden Insel in der Karibik, damals das Zentrum der westlichen Welt. Auch in den Jagdgründen der südlichen USA nahm ich Fährte auf, mit einigem Erfolg: So fand ich beispielsweise in Baltimore in der Maryland Historical Society Dokumente, die Aufschluss gaben über einen Kaufmann von zweifelhaftem Ruf.
Mit der Zeit reichte mir der Beutezug in Salomons Gefolge nicht mehr. Allmählich begann ich, mein Revier auszuweiten und auch andere Mitglieder der Stadtzürcher Familie Kitt in den Blick zu nehmen, und nach und nach dehnte ich meine Zeitreise immer weiter aus. Mein Leitmotiv blieb die Frage nach einer Verbindung mit jener Welt, die ausserhalb der eidgenössischen Grenzen und Europas lag. So wurde aus dem Stolperstein Salomon der Stein, der meine weitreichenden Recherchen ins Rollen brachte, der Auslöser für meine persönlich und politisch motivierten Nachforschungen zu einem Thema, das zunehmend in den Fokus der schweizerischen Öffentlichkeit und der Geschichtswissenschaft gerät: die globale und koloniale Vergangenheit der Schweiz.
Ich wusste nicht, wohin mich meine Neugier führen würde. Nicht in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir ausgemalt, einst auf einer einsamen Insel zu landen. Ich hatte auch nicht geahnt, welch grosse Welt sich in einem Kochbuch verbirgt. Und nie wäre mir in den Sinn gekommen, mich an die Fersen von Mumien zu heften. Es lohnte