Am Rande des Sturms: Das Schweizer Militär im Ersten Weltkrieg / En marche de la tempête : les forces armées suisse pendant la Première Guerre mondiale. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия: ARES
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783039199457
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generell angewiesen» und deshalb «in besonderem Mass exponiert gegenüber Druck oder Nötigung mit wirtschaftlichen Mitteln».53 Zwar wäre es «strategisch, ordnungs- und sicherheitspolitisch falsch, die Schweizer Aussenpolitik einseitig auf die Rohstoffbedürfnisse der Wirtschaft auszurichten»; daraus folge aber «keineswegs, dass sich die Aussenpolitik nicht dafür einzusetzen hätte».54 Eine solche «in einem weiten Sinne verstandene» Sicherheitspolitik, welche die Abhängigkeitsmatrix der Volkswirtschaft und den Manövrierspielraum international tätiger Unternehmen angemessen berücksichtigt, bleibt jedoch unvermeidlich einem nationalen Paradigma verhaftet; es geht darum, «die Sicherheit eines Staates» zu verknüpfen mit «seiner Fähigkeit, die Lebensqualität seiner Bevölkerung und seine eigene Unabhängigkeit aufrechtzuerhalten».55 Dass die Vorbereitung auf einen Krisen- und Kriegsfall a priori nicht auf einen nationalen Handlungsraum beschränkt bleiben kann, wird durchaus mitgedacht. Doch die weitreichenden Konsequenzen dieser Einsicht bleiben auch hier unterbelichtet.

      Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im «kurzen 20. Jahrhundert» – also in der Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende des Kalten Krieges – die für die nationale Selbstbehauptung der Schweiz als Kleinstaat im europäischen und internationalen Massstab so wichtige Wirtschaft ein blinder Fleck oder zumindest eine stark ausgeklammerte Dimension der «schweizerischen Erfahrung»56 war. Dies verfestigte in einer longue durée die immer wieder prekären Asymmetrien in der Landesverteidigungskonzeption. Es liegt hier allerdings ein Problem vor, das nicht einfach «lösbar» ist, denn die Aporie einer nationalen Antwort (wie sie im Begriff einer «Landesverteidigung» angelegt ist) auf eine transnationale Problemlage (wie sie in Begriffen wie «Verflechtung», «Abhängigkeit» und «Verletzbarkeit» zum Ausdruck kommen) lässt sich grundsätzlich nicht aufheben.

      Anmerkungen

      1 Siehe dazu: Herren, Madeleine; Zala, Sacha: Netzwerk Aussenpolitik. Internationale Kongresse und Organisationen als Instrumente schweizerischer Aussenpolitik 1914–1950, Zürich 2002; Herren, Madeleine: Hintertüren zur Macht: Internationalismus und modernisierungsorientierte Aussenpolitik in Belgien, der Schweiz und den USA, 1865–1914, München 2000; Ernst, Andreas; Wigger, Erich (Hg.): Die neue Schweiz? Eine Gesellschaft zwischen Integration und Polarisierung (1910–1939), Zürich 1996.

      2 Zu den ausserordentlichen Vollmachten, die später unter dem Begriff «Vollmachtenregime» gefasst wurden, vgl. Schneider, Oliver: «Diktatur der Bürokratie? Das Vollmachtenregime des Bundesrates im Ersten Weltkrieg», in: Rossfeld, Roman; Buomberger, Thomas; Kury, Patrick: 14/18. Die Schweiz und der Grosse Krieg, Baden 2014, S. 48–71; ders.: Die Schweiz im Ausnahmezustand. Expansion und Grenzen von Staatlichkeit im Vollmachtenregime des Ersten Weltkriegs, 1914–1919, Diss. (im Erscheinen), Zürich 2018.

      3 Cornaz, Max: Zum Problem der Wirtschaftsneutralität. Die Handelsverträge der Schweiz im ersten Weltkrieg, Zürich 1952, S. 4–6.

      4 Cornaz, Wirtschaftsneutralität, S. 8 f.

      5 Cornaz, Wirtschaftsneutralität, S. 10. Zu den Schweizer Unternehmen während der Kriegszeit vgl. Rossfeld, Roman; Straumann, Tobias (Hg.): Der vergessene Wirtschaftskrieg. Schweizer Unternehmen im Ersten Weltkrieg, Zürich 2008; zur Aussenwirtschaftspolitik vgl. Ochsenbein, Heinz: Die verlorene Wirtschaftsfreiheit 1914–1918. Methoden ausländischer Wirtschaftskontrollen über die Schweiz, Bern 1971.

      6 Zum Wandel der Neutralitätskonzeptionen vor und während des Ersten Weltkrieges vgl. Abbenhuis, Maartje M.: An age of neutrals: great power politics, 1815–1914, Cambridge 2014; Kruizinga, Samuël: «Neutrality», in: Winter, Jay M. (Hg.): Cambridge History of the First World War, Bd. 2 (The State), Cambridge 2014, S. 542–575.

      7 Diese nationale Orientierung stabilisiert sich immer nur in transnationalen Austauschprozessen. Dabei ist die Imitation von Vorbildern ebenso wichtig wie das Lernen vom Gegner. Vgl. Aust, Martin; Schönpflug, Daniel (Hg.): Vom Gegner lernen: Feindschaften und Kulturtransfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2007.

      8 Böschenstein, Hermann: «Bundesrat und General im Ersten Weltkrieg», Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Nr. 4 (1960), S. 515–532, hier S. 517.

      9 Mach, André et al.: Schweizer Wirtschaftseliten 1910–2010, Baden 2017; theoretisch noch immer massgeblich: Kriesi, Hanspeter: Entscheidungsstrukturen und Entscheidungsprozesse in der Schweizer Politik, Frankfurt a. M. 1980; für Teilaspekte interessant: Cassis, Youssef; Debrunner, Fabienne: «Les élites bancaires suisses, 1880–1960», Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 40 (1990), S. 259–273; Tanner, Albert: Arbeitsame Patrioten – wohlanständige Damen. Bürgertum und Bürgerlichkeit in der Schweiz, 1830–1914, Zürich 1995; Gruner, Erich: Politische Führungsgruppen im Bundesstaat, Bern 1973.

      10 Tanner, Jakob: Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, München 2015, S. 184 ff.

      11 Hoefliger, Walter:, Die finanzielle Kriegsbereitschaft der schweizerischen Eidgenossenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Schweizerischen Nationalbank, Zürich 1914, S. 16 f.

      12 Aust, Schönpflug (Hg.), Vom Gegner lernen.

      13 Jaun, Rudolf: Preussen vor Augen. Das schweizerische Offizierskorps im militärischen und gesellschaftlichen Wandel des Fin de siècle, Zürich 1999.

      14 Zur Beurteilung der Armee durch General Ulrich Wille vgl. ders.: Bericht an die Bundesversammlung über den Aktivdienst 1914 bis 1918 (= Generalsbericht; 3. unveränderte Auflage 1926).

      15 Böschenstein, Bundesrat und General, S. 522.

      16 Hier zitiert nach: Böschenstein, Bundesrat und General, S. 519–521. Böschenstein druckt den Brief in seinem Aufsatz integral ab.

      17 Böschenstein, Bundesrat und General, S. 520.

      18 Schweizerisches Bundesarchiv Bern, Protokolle des Bundesrates (E1005#4), Protokoll der 92. Sitzung des Schweizerischen Bundesrates, 25. Oktober 1912. Vgl. die Zitate weiter unten.

      19 Ehrbar, Hans Rudolf: Schweizerische Militärpolitik im Ersten Weltkrieg, Bern 1976, S. 94 f.; zu Hoffmann vgl. die Biographie von Widmer, Paul: Bundesrat Arthur Hoffmann. Aufstieg und Fall, Zürich 2017, welche die der Schweiz zugeneigte Seite des Magistraten hervorhebt.

      20 Ochsenbein, Die verlorene Wirtschaftsfreiheit, S. 331.

      21 Frey, Julius: «Die finanzielle Kriegsbereitschaft der Schweiz», in: Raschers Jahrbuch, Hg. Konrad Falke, Zürich 1910, S. 143–165, hier S. 143 f.

      22 Frey, Kriegsbereitschaft, S. 165.

      23 Frey, Kriegsbereitschaft, S. 144.

      24 Frey, Kriegsbereitschaft, S. 147 und 151. Einen ähnlich eingeschränkten Fokus nimmt eine weitere Studie aus dem Jahre 1914 ein: Hoefliger, Die finanzielle Kriegsbereitschaft der schweizerischen Eidgenossenschaft.

      25 Jöhr, Adolf: Die Volkswirtschaft der Schweiz im Kriegsfall, Zürich 1912, S. 3.

      26 Jöhr, Volkswirtschaft der Schweiz, S. 77 f.

      27 Jöhr, Volkswirtschaft der Schweiz, S. 235.

      28 Jöhr, Volkswirtschaft der Schweiz, S. 237 f.

      29 Vgl. dazu: Tanner, Jakob: «Maximum slaughter at minimum expense. Die ökonomische Logik der Kriegsführung und die Rolle der Kriegswirtschaft», in: Thier, Andreas; Schwab, Lea: 1914, Zürich 2018 (im Erscheinen).

      30 Traugott Geering: «Von der Exportstruktur der schweizerischen Volkswirtschaft», in: Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft 27 (1913), S. 178–203, hier S. 187.

      31 Geering, Exportstruktur, S. 191.

      32 Geering, Exportstruktur, S. 193.

      33 Geering, Exportstruktur, S. 196.

      34 Geering, Exportstruktur, S. 196 ff.

      35 Ochsenbein, Die verlorene Wirtschaftsfreiheit.

      36 Ochsenbein, Die verlorene Wirtschaftsfreiheit, S. 47.

      37 Somary, Felix: